Baustellen bei der Gleichstellung bleiben bestehen

Die Schweizer Wahlberechtigten wählen bald ein neues Parlament. «direkt» blickt zurück, wo es in den letzten vier Jahren bei der Gleichstellung vorwärts ging. Dabei zeigt sich: Neben einigen Erfolgen – beispielsweise der Revision des Sexualstrafrechts – hat sich die Situation für die Frauen insbesondere bei Verteilungsfragen kaum verbessert. Nächstes Jahr kommen diverse Initiativen der SP zur Abstimmung, die dies ändern könnten.

Mehrere tausend Menschen demonstrieren am Frauenstreik in Basel, am Dienstag, 14. Juni 2023. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

✅ Ein zeitgemässes Sexualstrafrecht

Gemäss bisherigem Sexualstrafrecht konnten in der Schweiz nur Frauen eine Vergewaltigung anklagen und dies auch nur, wenn dazu Nötigung oder Gewalt eingesetzt wurde. Das wird nun gemäss dem Entscheid des Parlaments angepasst: Nachdem sich der Nationalrat für eine «Nur Ja heisst Ja»-Regelung ausgesprochen hatte, bot der Ständerat schlussendlich Hand für einen Kompromiss. Neu gilt die «Nein heisst Nein»-Regelung, jedoch wird der Tatbestand der Schockstarre in den Gesetzestext mitaufgenommen, eine wichtige Massnahme zugunsten der Opfer von Sexualverbrechen.

Dieser Kompromiss wäre noch vor ein paar Jahren kaum denkbar gewesen. Ihm ging ein langer Prozess voraus, wobei sich linke Parteien, NGOs, Jurist:innen und Aktivist:innen für eine Zustimmungslösung eingesetzt hatten. Auch wenn es nun bei der Widerspruchslösung mit Zusatz bleibt, ist dies ein bedeutender Erfolg.

«Gemeinsam mit der feministischen Bewegung und unzähligen Betroffenen haben die SP Frauen jahrelang auf der Strasse, in den Medien und im Parlament für diese Gesetzesrevision gekämpft. Mit dieser Revision haben wir zusammen Unglaubliches auf die Beine gestellt!»

Tamara Funiciello, Co-Präsidentin SP Frauen und SP-Nationalrätin (BE)

 

✅ Krisenzentren für Gewaltopfer in allen Regionen der Schweiz

Sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat haben sich dafür ausgesprochen, dass in allen Regionen der Schweiz Krisenzentren für Gewaltopfer eingerichtet werden. Dies fordern Motionen von SP-Nationalrätin Tamara Funiciello und der damaligen SP-Ständerätin und heutigen Tessiner Regierungsrätin Marina Carobbio Guscetti.

Wer in der Schweiz Opfer von sexualisierter oder geschlechtsbezogener sowie häuslicher Gewalt wird, findet heute oft keine spezialisierte medizinische oder psychologische Soforthilfe. Auch eine Sicherung von Gewaltspuren am eigenen Körper ist nicht in allen Regionen garantiert. Der Mangel an Beweisen schmälert die Chancen für eine erfolgreiche Strafverfolgung.

«Opfer von Gewalt sind auf sofortige Hilfe angewiesen – überall und bedingungslos. Dieser Meinung ist auch das Parlament. Nun gilt es, in den Kantonen vorwärts zu machen!»

Marina Carobbio, Alt-Ständerätin und SP-Regierungsrätin Tessin

✅ Gezielte Forschung zu Frauenkrankheiten

Die Schulmedizin ist auf Männer ausgerichtet. Krankheiten, an denen vor allem Frauen leiden, sind wenig erforscht, verursachen aber grosses Leid bei den Betroffenen. Frauen, die an der sehr schmerzhaften Unterleibskrankheit Endometriose leiden, müssen im Schnitt fünf Jahre auf eine Diagnose warten. Auch mögliche Therapiemassnahmen stecken noch in den Kinderschuhen.

Das soll sich ändern: Das Parlament hat anerkannt, dass es in diesem Bereich mehr Forschung braucht, und stimmte gleich zwei Motionen zu. Der Bundesrat wird damit beauftragt, die Früherkennung der Endometriose zu fördern und den Schweizerischen Nationalfonds mit einem Forschungsprogramm zu frauenspezifischen Krankheiten zu mandatieren.

«Fast jede zehnte Frau ist von der chronischen Krankheit Endometriose betroffen. Je früher Endometriose diagnostiziert und behandelt wird, desto eher lassen sich der oft schwere chronische Verlauf und die jahrelangen starken Schmerzen eindämmen.»

Gabriela Suter, SP-Nationalrätin (AG)

 

Tamara Funiciello, SP-BE, und ihre Kolleginnen und Kollegen der SP sitzen hinter „Gleichstellung jetzt!“ Plakaten, die sie auf ihren Computern montiert haben, waehrend der ausserordentlichen Session zum Thema Gleichstellung, in der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 14. Juni 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

❌ Strukturelle Lohndiskriminierung der Frauen

2021 verdienten Frauen in der Schweiz 17,7 Prozent weniger als Männer. Die Schweiz belegt damit den drittletzten Rang im europaweiten Vergleich. Doch damit nicht genug: Der geschlechterspezifische Lohnunterschied hat seit 2012 sogar um 0,3 Prozent zugenommen.

Gemäss dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellung ist rund die Hälfte des Lohnunterschieds zwischen Frauen und Männern nicht erklärbar, d.h. nicht auf Unterschiede in Ausbildung oder Erfahrung zurückzuführen. Die strukturelle Benachteiligung der Frauen zeigt sich aber auch in den erklärbaren Faktoren: Berufliche Stellung, Dienstjahre oder Ausbildungsniveau sind häufig davon abhängig, wer die Sorgearbeit in der Familie übernimmt. Diese unbezahlte Arbeit wird immer noch grösstenteils von Frauen erledigt. Das führt dazu, dass Frauen oft in schlechter bezahlten Berufen bleiben und unfreiwillig Teilzeit arbeiten.

«Es sind immer noch die Frauen, die einen Grossteil der Sorgearbeit leisten. Wir brauchen jetzt endlich wirksame Lohnkontrollen, mehr Kita-Plätze, Elternzeit und Mindestlöhne in allen Branchen.»

Mattea Meyer, Co-Präsidentin SP Schweiz und SP-Nationalrätin (ZH)

❌ Altersarmut ist weiblich

Die Rentensituation der Frauen hat sich kaum verbessert. Im Gegenteil: Nach der Annahme der AHV21-Vorlage müssen Frauen nun ein Jahr länger arbeiten. Auch das Versprechen, die Rentensituation der Frauen mit der Pensionskassen-Vorlage zu verbessern, haben die Bürgerlichen gebrochen. Die Pensionskassen-Vorlage verbessert die Rentensituation für Personen mit tiefen Einkommen oder Angestellten in Teilzeitpensen nicht. Das betrifft vor allem Frauen, die deutlich häufiger in Tieflohnbranchen und/oder Teilzeit arbeiten als Männer. Genau hier hätten Rentenzuschläge die finanzielle Lage von Menschen mit tieferen Löhnen deutlich verbessern sollen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Vorlage führt zu Rentenkürzungen. Gewerkschaften und SP haben deshalb dagegen das Referendum eingereicht. Nächstes Jahr kann die Stimmbevölkerung über die Vorlage abstimmen. 2024 kommen auch weitere Rentenvorlagen wie die Initiative für eine 13. AHV zur Abstimmung.

«Erwerbsunterbrüche wegen Kinderbetreuung werden in der zweiten Säule – im Unterschied zur ersten Säule – nicht durch Erziehungs- und Betreuungsgutschriften kompensiert. Um die Rentensituation der Frauen effektiv zu verbessern, müssen wir die AHV stärken. Das können wir mit der Initiative der Gewerkschaften und der SP für eine 13. AHV-Rente tun. Im 2024 stimmen wir darüber ab.»

Flavia Wasserfallen, SP-Nationalrätin (BE)

❌ Ständerat blockiert Kita-Finanzierung

Die Schweiz bildet das europäische Schlusslicht, wenn es um die Kita-Finanzierung geht. Der Nationalrat wollte dies ändern. Im März hat er beschlossen, dass der Bund im Mittel 20 Prozent der Kosten für einen Kita-Platz übernimmt. Die bürgerliche Mehrheit in der zuständigen Ständeratskommission hat diesen Entscheid jedoch vertagt. Es ist zu befürchten, dass es sich um ein taktisches Manöver handelt, um das Geschäft nach den Wahlen zu versenken. Damit warten Familien weiter vergebens auf eine Entlastung bei der familienergänzenden Kinderbetreuung.

Für die Kita-Finanzierung gibt es aber noch Hoffnung: die Kita-Initiative. Die Initiative fordert mehr bezahlbare Betreuungsplätze in der ganzen Schweiz und bessere Arbeitsbedingungen für die Kita-Angestellten. Bis ein Entscheid zur Initiative vorliegt beziehungsweise die Stimmbevölkerung darüber befinden kann, wird es aber noch dauern.

«Gute Kinderbetreuung ist im Interesse aller: der Eltern, der Kinder, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Der Bund muss die familienergänzende Kinderbetreuung endlich stärker unterstützen.»

Min Li Marti, SP-Nationalrätin (ZH)

2 Kommentare

  1. Die Frauen haben noch Zeit um sich für diese Themen und Sachen in Bewegung zu setzen.Die ältere Generation haben über längeren Zeit aneinander für Themen sich eingesetzt.Deshalb ist es in Verhältnis nicht zu viel verlangt das die junge Frauen sich von den älteren Generation anregen lassen.Dann wäre und wird alles komplett bis und mit nächstes Jahr.

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