Recht auf Familienzusammenführungen bleibt bestehen

Gute Nachricht für Geflüchtete aus Kriegsgebieten: Familienzusammenführungen sollen weiterhin möglich bleiben. Anders als der Nationalrat hat der Ständerat heute den SVP-Vorstoss abgelehnt. Noch im Herbst hatten alle Polit-Beobachter:innen mit der Annahme des Vorstosses gerechnet. «Direkt» zeigt, wie zivilgesellschaftliches Engagement den Entscheid in letzter Sekunde drehen konnte.

Foto_ Ahmed Akacha (Pexels)

Der SVP-Vorstoss zur Abschaffung der Familienzusammenführungen für Kriegsflüchtlinge ist vom Tisch. Der Ständerat hat diesen heute abgelehnt. Für geflüchtete Familien bedeutet das eine grosse Erleichterung. Das Recht auf Familienzusammenführung hält die Hoffnung aufrecht, die Liebsten irgendwann wieder in Sicherheit bei sich zu haben. Die ganze Geschichte in fünf Kapiteln.

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Der Vorstoss

«Vorläufig Aufgenommene haben kein Recht auf Familiennachzug»: Diese Forderung der SVP hat es in sich. Kriegsflüchtlinge ohne persönlichen Asylgrund, die jedoch wegen Kriegen oder Konflikten nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, soll das Zusammenleben mit der Kernfamilie verwehrt werden. Das widerspricht der Bundesverfassung, den Menschenrechten und der Kinderrechtskonvention. Die SVP hat den extremistischen Vorstoss sowohl im Nationalrat als auch im Ständerat eingereicht.

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Die Kehrtwende der FDP

Eine solch extreme Forderung aus der Feder der SVP erstaunt nicht. Dass sie damit Mehrheiten findet, hingegen schon. Gelungen ist dies dank des Meinungsumschwungs der FDP. Noch vor wenigen Monaten stützte die Partei sogar eine Verkürzung der Fristen bei der Familienzusammenführung für Kriegsflüchtlinge. In einer Stellungnahme betonte sie, dass die Schweiz ihre internationalen Verpflichtungen, insbesondere die aus der EMRK, respektieren und umsetzen müsse. Im Parlament folgte dann unter dem Eindruck des Rechtskurses von FDP-Präsident Thierry Burkart die Kehrtwende.

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Das Desaster im Nationalrat

Der Nationalrat behandelte den Vorstoss zuerst. Die Entscheidung im Ständerat sollte einen Tag später erfolgen. Die Stimmung in der grossen Kammer war gereizt. Wer der SVP zugehört hatte, kam zum Schluss, dass die Schweiz regelrecht von Angehörigen von vorläufig Aufgenommenen «überflutet» werde. Justizminister Beat Jans verwies auf die Realität: Es geht um gerade mal gut 100 bewilligte Gesuche pro Jahr.

Darauf folgte die Ernüchterung bei der Abstimmung: Eine deutliche Mehrheit stimmte dem Vorstoss zu. Nicht nur die SVP, sondern auch die FDP und die selbsternannte Familienpartei Mitte sagten grossmehrheitlich Ja zu einer Forderung, die der Bundesverfassung, den Menschenrechten und der Kinderrechtskonvention widerspricht.

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Der Aufschrei der Bevölkerung

Der Entscheid des Nationalrats löste bei der Bevölkerung grosse Empörung aus: Wie kommt die rechte Mehrheit dazu, einen solch unmenschlichen Beschluss zu treffen? Die SP lancierte einen Appell an den Ständerat, der einen Tag später über das Geschäft befinden musste. Er müsse «den SVP-Angriff auf Flüchtlingsfamilien stoppen». Sage und schreibe 120’000 Menschen unterzeichneten den Appell in weniger als 24 Stunden.

Der Aufschrei zeigte Wirkung: Der Ständerat wollte es genauer wissen und schickte den Vorstoss zur vorgängigen Beratung in die zuständige Kommission.

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Der Schlussentscheid

Eine knappe Mehrheit der Ständeratskommission kam in ihrer Beurteilung zum Schluss, dass die Hürden für eine Familienzusammenführung bereits heute sehr hoch sind und es somit nicht sinnvoll sei, am aktuellen Recht zu schrauben und damit der Bundesverfassung und der EMRK zu widersprechen.

Der Ständerat folgte schliesslich seiner Kommission. Eine Rolle gespielt haben dürften wohl auch die Zahlen zu den Familienzusammenführungen in den letzten fünf Jahren: Im Schnitt wurden gerade mal 107 Gesuche pro Jahr bewilligt. 94 Prozent davon betreffen Frauen und Kinder – die vulnerabelsten Menschen in den Kriegsgebieten und auf den Fluchtrouten. Der Entscheid zeigt, wie mächtig zivilgesellschaftliches Engagement manchmal sein kann.

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