Feministischer Streik: Nulltoleranz bei sexualisierter Gewalt

Am 14. Juni gehen Frauen und solidarische Menschen erneut für mehr Gleichstellung auf die Strasse. Gewerkschaften, linke Parteien und Kollektive rufen zum feministischen Streik auf und fordern mehr Lohn, Zeit und Respekt. «direkt» begleitet diesen historischen Tag mit drei Beiträgen zu den Hauptforderungen. Teil drei: Respekt.

Foto: Keystone (Walter Bieri)

Frauen sind in der Schweiz ungleich stärker von Gewalt betroffen. In mehr als zwei Drittel der Fälle von häuslicher Gewalt richtet sich diese gegen Frauen. Rund jede zweite Woche wird eine Frau durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn getötet.

Auch das Arbeitsumfeld ist für viele Frauen kein sicherer Ort. In der Schweiz erlebt jede dritte Frau im Verlauf ihrer Erwerbstätigkeit sexuelle Belästigung. Die Formen sind sehr unterschiedlich und reichen von anzüglichen Sprüchen und beiläufigen Berührungen bis hin zu sexualisierter Gewalt.

Allgemein sind in der Schweiz erschreckend viele Frauen Opfer sexualisierter Gewalt: Jede fünfte Frau hat in ihrem Leben einen sexuellen Übergriff erlebt. Mehr als jede zehnte Frau erlitt eine Vergewaltigung.

Patriarchale Gesellschaftsordnung

Das zeigt deutlich: Gewalt an Frauen hat System. Sie ist das Resultat einer patriarchalen Gesellschaft. Männer können öffentlich zu sexuellen Übergriffen aufrufen, ohne dafür sanktioniert zu werden, wie im Fall des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Auch die jüngsten Vorwürfe an die Adresse von Rammstein-Sänger Till Lindemann zeigen exemplarisch die frauenverachtenden Auswirkungen unserer aktuellen Gesellschaftsordnung. Gemäss Aussagen von zahlreichen Betroffenen habe Lindemann ein System aufgebaut, worin er junge Frauen, teilweise auch unter Einfluss von verabreichten Betäubungsmitteln, sexualisierte Gewalt antun würde. Trotz grossem öffentlichem Druck wird Rammstein voraussichtlich am kommenden Wochenende zwei Konzerte in der ausverkauften PostFinance-Arena geben – business as usual.

Neben anderen prominenten Beispielen bilden diese zwei Fälle die Spitze des Eisbergs. Viel öfter spielt sich sexualisierte Gewalt im näheren Bekanntenkreis oder in der Familie ab. Die Dunkelziffer ist riesig. Nur gerade acht Prozent der betroffenen Frauen zeigen eine Tat an, wie eine repräsentative Studie von gfs.bern zeigt. Täter bleiben in den allermeisten Fällen unbestraft.

Zeitgemässes Sexualstrafrecht

Dazu beigetragen hat auch das veraltete Schweizer Sexualstrafrecht. Gemäss diesem können in der Schweiz aktuell nur Frauen eine Vergewaltigung anzeigen und dies nur, wenn die Täter dabei Zwang oder Gewalt eingesetzt haben. Diese Voraussetzungen treffen auf viele Vergewaltigungen nicht zu. Zudem können auch Männer Opfer einer Vergewaltigung werden.

Nun soll die Schweiz endlich ein zeitgemässes Sexualstrafrecht erhalten: Nachdem sich der Nationalrat in der Wintersession 2022 für eine «Nur Ja heisst Ja»-Regelung ausgesprochen hat, bot der Ständerat in der Frühlingssession Hand für einen Kompromiss. Neu soll im Gesetz eine «Nein heisst Nein»-Regelung verankert werden. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass viele Opfer in eine Schockstarre fallen und sich nicht aktiv wehren können. Zudem wird die Formulierung geschlechtsneutral. Diesen Freitag findet die Schlussabstimmung über die Gesetzesrevision statt.

Noch vor wenigen Jahren wäre diese Revision undenkbar gewesen. Sie ist das Resultat des unermüdlichen Einsatzes von feministischen Organisationen und Aktivist:innen. Auch der feministische Streik 2019 und der höhere Frauenanteil im National- und Ständerat seit den letzten Wahlen haben dazu beigetragen.

Krisenzentren für Gewaltopfer

Auch beim Opferschutz soll es nun vorwärts gehen: In der aktuellen Legislatur hat das Parlament entschieden, dass in allen Regionen der Schweiz Krisenzentren für Gewaltopfer eingerichtet werden sollen. Der National- und Ständerat folgten damit einer Motion von SP-Nationalrätin Tamara Funiciello und alt SP-Ständerätin und heutige Tessiner Regierungsrätin Marina Carobbio Guscetti. Die beiden Parlamentarierinnen forderten, dass Opfer von geschlechtsbezogener, sexualisierter oder häuslicher Gewalt in der ganzen Schweiz medizinische sowie psychologische Soforthilfe erhalten. Gerade bei der Sicherung von Gewaltspuren am eigenen Körper ist es wichtig, dass dies unmittelbar nach der Tat geschieht. Ansonsten sinken – aus Mangel an Beweisen – die Chancen auf eine erfolgreiche Strafverfolgung.

Das alles sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Ein effektiver und umfassender Schutz vor Gewalt erfordert jedoch weitere Massnahmen. Die patriarchale Gesellschaftsordnung ist ein zähes Gebilde. Die meisten Frauen erleben nach wie vor praktisch täglich übergriffiges Verhalten. Deshalb gilt weiterhin Nulltoleranz bei sexualisierter Gewalt.

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