Feministischer Streik: Kürzere Arbeitszeit für bessere Vereinbarkeit

Am 14. Juni gehen die Frauen in der Schweiz erneut für mehr Gleichstellung auf die Strasse. Gewerkschaften, linke Parteien und Kollektive rufen zum feministischen Streik auf und fordern mehr Lohn, Zeit und Respekt. «direkt» begleitet diesen historischen Tag mit drei Beiträgen zu den Hauptforderungen. Teil zwei: Zeit.

Foto: Keystone (Roger Szilagyi)

9,8 Milliarden Stunden an unbezahlter Arbeit leisten Menschen in der Schweiz jährlich. Ein Grossteil davon wird von Frauen übernommen. Sie tragen 60 Prozent der unbezahlten Sorgearbeit. Für den feministischen Streik wird daher mehr Zeit und Geld für Betreuungsarbeit gefordert. Können eine Arbeitszeitverkürzung und mehr familienergänzende Kinderbetreuung hier tatsächlich Abhilfe schaffen.

Arbeitszeitverkürzung – eine alte Idee im Trend

Wir verbringen den Grossteil unseres Lebens mit Arbeit. Gleichzeitig nehmen die gesundheitlichen Probleme am Arbeitsplatz zu. Die Frage nach einer besseren Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit bleibt weiterhin unbeantwortet. Eine traditionelle sozialdemokratische Idee, die Abhilfe schaffen könnte, steht nun wieder vermehrt im Raum: Die Arbeitszeitverkürzung, zum Beispiel in Form einer 4-Tage-Woche.

Solche Forderungen sind nichts Neues: Bereits beim Landesstreik 1918 war die 40-Stunden-Woche eine der zentralen Forderungen der Arbeiter:innenbewegung und der Sozialdemokratie. Die gesetzliche Arbeitszeit wurde nach dem Ersten Weltkrieg auf 48 Stunden gesenkt. Seither ist die Produktivität laut Bundesamtes für Statistik massiv gestiegen, die gesetzliche Arbeitszeit jedoch nur noch wenig gesunken.

Grossangelegte Tests zeigen, dass weniger Stunden Erwerbsarbeit pro Woche einen positiven Effekt sowohl für Mitarbeitende als auch für Unternehmen haben: weniger Stress und mehr Zeit für Familie sowie Freund:innen, während die Arbeitgeber motiviertere Angestellte und höheren Umsatz gewinnen. Entscheidend ist jedoch die Umsetzung. Damit mehr Gleichstellung erreicht werden kann, muss die Reduktion der effektiven Arbeitszeit bei tiefen und mittleren Einkommen zu vollem Lohn erfolgen. Sonst verschärfen sich strukturelle Ungleichheiten.

Europäische Länder machen es vor

Die Arbeitszeitverkürzung in Form der 4-Tage-Woche liegt im Trend. Das zeigt der Blick über die Landesgrenze. Island und Grossbritannien haben bereits grossflächige Pilot-Projekte durchgeführt. In Grossbritannien haben sich 100 Unternehmen der Forderung der Kampagnen-Gruppe «4 Day Week» angeschlossen und sich verpflichtet, die Arbeitszeiten entsprechend zu kürzen. Tausende Beschäftigte werden nun dauerhaft nur noch vier Tage pro Woche arbeiten. All das bei vollem Gehalt. Damit soll eine Wende in der britischen Arbeitswelt eingeleitet werden, berichtet die britische Zeitung «The Guardian». Das Ziel der Kampagne: Bis 2030 soll die 4-Tage-Woche die Arbeitsrealität für alle sein.

Auch Spanien startete im April einen landesweiten Versuch zur 4-Tage-Woche. Zwei Jahre lang soll in kleinen und mittleren Betrieben zehn Prozent weniger lang gearbeitet werden – auch hier bei vollem Lohnausgleich.

Und die Schweiz? Grossangelegte Pilotversuche blieben bisher aus – obschon diese politisch  gefordert werden. Einige Unternehmen haben die Arbeitszeit aber bereits auf eigene Faust verkürzt. Und das mit Erfolg. So beispielsweise die Steger AG. Letzten Oktober ist die Firma mit Sitz im Thurgau und rund 130 Mitarbeitenden auf die 4-Tage-Woche umgestiegen – ohne Lohneinbusse für die Angestellten. Dies berichtete das St. Galler Tagblatt.

Kinderbetreuung als öffentliche Aufgabe

Neben Arbeitszeitverkürzung gibt es aber noch eine weitere Forderung des feministischen Streiks: Die familienergänzende Kinderbetreuung soll Teil des Service public, also eine öffentliche Aufgabe werden. Das entspricht der Kita-Initiative der SP Schweiz.

Mütter verdienen nach der Geburt des ersten Kindes deutlich weniger. Das zeigt eine Studie von Henrik Kleven der Princeton University. Der Studie zufolge ist der Lohn der Mütter nach dem ersten Kind durchschnittlich um 68 Prozent tiefer als der der Väter. Abhilfe schaffen kann hier gemäss derselben Studie der Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung. Diese kann die Unterschiede zwischen den Einkommen der Elternteile auf längere Sicht wieder verringern.

Die Schweiz bildet jedoch das europäische Schlusslicht, wenn es um die Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung geht. Nur 0,1 Prozent des BIP fliesst in der Schweiz in die Kita-Betreuung. Zum Vergleich: Im Durchschnitt geben die OECD-Länder für die Altersgruppe 0 bis 3 Jahre 0,8 Prozent des BIP aus. Damit liegt die Schweiz vor Irland auf dem zweitletzten Platz.

Durch die mangelnde öffentliche Finanzierung hängt an der Kita-Betreuung ein hohes Preisschild. Selbst Eltern mit sehr tiefen Löhnen zahlen je nach Gemeinde bis zu 85 Franken pro Tag für die Kindertagesstätte. Frauen geben deshalb vielfach ihren Job ganz oder teilweise auf, um zuhause ihre Kinder zu betreuen. Das wirkt sich negativ auf ihre Löhne und Renten und damit auf die ganze Volkswirtschaft aus.

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1 Kommentar

  1. Die 4-Tage-Woche ist zu wenig spezifisch… FDP und SVP verlangen sonst, dass wir in 4 Tagen 42h leisten… Wir wollen eine 32-Stunden-Woche!

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