Rudolf Strahm: «Bürgerliche sabotieren Kampf gegen Hochpreisinsel»

In der Juni-Session lanciert eine Mehrheit der Wirtschaftskommission im Nationalrat einen Fundamentalangriff gegen die Wettbewerbskommission und sabotiert damit deren Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz. Der ehemalige SP-Nationalrat und spätere Preisüberwacher Rudolf Strahm beschreibt in seiner Kolumne die Doppelbödigkeit der Bürgerlichen, wenn es um den Wettbewerb geht.

Foto: A. Boutellier

Jede Schweizerin und jeder Schweizer kennt die Hochpreisinsel und hat schon erfahren, dass wir hier für gleiche Markenprodukte viel mehr bezahlen als im Ausland. Doch was bedeutet die Hochpreisinsel Schweiz für die Kaufkraft?

Das Hochpreisproblem in der Schweiz bedeutet für die Konsumentinnen und Konsumenten, dass Produkte aus dem Ausland in der Schweiz mit einem kartellbedingten Preiszuschlag 30 bis 50 Prozent (in Extremfällen bis 100 Prozent) teurer verkauft werden. Das gilt selbst dann, wenn man die höheren Vertriebskosten in der Schweiz und die unterschiedlichen Mehrwertsteuern in Rechnung stellt. Für Gewerbetreibende und KMU bedeutet das, dass ihre importierten Werkzeuge, Maschinen und Zulieferungen gegenüber den ausländischen Katalogpreisen überteuert mit einem Schweiz-Zuschlag geliefert werden. Insgesamt ist die Überteuerung eine enorme Kaufkraftabschöpfung durch (meist ausländische) Lieferanten bei Markenprodukten, Haushaltgütern und Betriebsmitteln, inklusiven Fahrzeugen.

Bei Güterimporten spielt der Preiswettbewerb trotz unserer Integration in den europäischen Binnenmarkt nicht. Man spricht von Vertikalbindungen oder Vertikalabreden im Importhandel. Das heisst, dass vertikal, entlang der Lieferkette, wettbewerbsschädigende Vorschriften und Preisbindungen diktiert werden.


Wie funktioniert die vertikale Wettbewerbsbehinderung – und wer profitiert davon? Vier Methoden von Vertikalbindungen und Beispiele Nivea, Elmex, Autos, Ersatzteile und Co.

1. Ausschliesslicher Alleinimporteur für die Schweiz

Ausländische Produkte können vom Schweizer Importeur nicht direkt bezogen werden, sondern mit Schweiz-Zuschlag über einen Alleinimporteur. Solche Exklusiv-Lieferbindungen werden historisch seit Jahrzehnten praktiziert.

Migros, Coop, Denner können in der Regel Nivea-Kosmetika nicht direkt ab Fabrik in Deutschland beschaffen, sondern nur über die Allein-Vertriebsgesellschaft Beiersdorf bei Basel. Das Resultat dieser exklusiven Lieferung erhöht den Produktepreis um 20 bis 50 Prozent, je nach Sortiment und Vertrieb. Denner hat jüngst eine Kartellklage gegen Nivea eingereicht.
Auf Markenprodukte wie Nivea können Denner und Co. in ihrem Ladensortiment aber nicht verzichten, diese gelten als unverzichtbare «Must-in-Stock-Produkte». Nivea gilt deshalb als Lieferantin mit «relativer Marktmacht» und deren Lieferbindung verstösst gegen das Kartellrecht. (Diese Marktpraktiken führte schon vor 20 Jahren zur Forderung nach einer «Lex Nivea».)

2. Lieferpreis-Vorschriften für den Schweiz-Vertrieb

Die ausländische Lieferantin bestimmt nicht nur den Alleinimporteur in der Schweiz, sondern verpflichtet diesen beim Weitervertrieb zur Fixierung fester Preise.

Denner konnte Elmex-Zahnpasta nicht direkt beim Hersteller in Österreich bestellen. Und Elmex schrieb dem Alleinimporteur Gaba in der Schweiz gleich auch die Lieferpreise für Denner vor. Dies führte nach jahrelanger Prozedur zum historischen Bundesgerichtsentscheid von 2016, der die Busse der Wettbewerbskommission (Weko) gegen Elmex/Gaba bestätigte. Dieser gilt seither als Leitentscheid für alle Vertikalbindungen.

Eine recht häufige, spezielle Art von wettbewerbsbehindernder und verteuernder Marktstrukturen praktiziert die Galenica als Alleinvertreiberin importierter Apotheken- und Drogerieprodukten wie Kosmetika, Parfumerieartikel und nichtkassenpflichtige Medikamente. Galenica ist einerseits Besitzerin hunderter von Apotheken (u.a. Amavita mit 180 Apotheken, Sun-Store mit 80 Apotheken) und anderseits funktioniert sie als Importeurin für freie Apotheken. Durch diese komplexe Struktur kann sie mit (relativer?) Marktmacht das hohe Preisniveau der Branche diktieren.

3. Exklusiv-Lieferverträge mit unsichtbaren Sanktionen

Ausländische Produzenten oder schweizerische Alleinimporteure können einen Schweizer KMU-Chef informell abstrafen oder drangsalieren, wenn dieser bestimmte Produkte direkt bei ausländischen Lieferketten günstiger beschafft.

Jahrzehntelang (teilweise noch heute) konnte eine VW-Garage die nötigen VW-Ersatzteile nur bei der Alleinvertreterin AMAG Schweiz beziehen und zwar viel teurer als nach Katalogpreis in Deutschland. Wer aber direkt bei einem deutschen Händler VW-Ersatzteile bezog, wurde informell abgestraft, zum Beispiel durch kleinere Rabatte oder verspätete Auslieferung der Neumodelle. Heute besteht immer noch die unnötige Praxis, dass auf der Rechnung das «Originalprodukt» bestätigt werden muss.

Die Besitzerfamilie Haefner des Alleinimporteurs AMAG (VW-Gruppe) mit heute rund sechs Milliarden Vermögen, oder die Besitzerfamilie Emil/Walter Frey des Auto-Alleinimporteurs (Toyota, British Leyland u.a.) mit rund fünf Milliarden Vermögen oder die Besitzerfamilie Stüber als Mercedes-Importeurin mit über einer Milliarden Vermögen: Sie alle konnten ihr (geerbtes) Familienvermögen durch jahrzehntelange Marktabschottung mit spezifischen Alleinimportverträgen aufbauen.

Erst in den letzten zwei Jahrzehnten konnte die Weko den Autoimporthandel teilweise liberalisieren und Schweizer:innen können Autos direkt in Deutschland beschaffen.

4. Geoblocking bei Online-Bestellungen im Ausland

Wer aus der Schweiz ein Produkt direkt online über eine Webseite eines ausländischen Produzenten oder Lieferanten bestellen will, wird direkt auf die diesbezügliche Schweizer Webseite umgeleitet, über die das gleiche Produkt in Franken und mit einem Schweiz-Zuschlag ausgeliefert und fakturiert wird. Ausländische Firmen-Webseiten werden somit für Schweiz-Besteller geografisch blockiert (Geoblocking).

Diese Wettbewerbsbehinderung ist seit der Umsetzung der Fair-Preis-Initiative 2022 verboten. Allerdings kann das Verbot nur durchgesetzt werden, wenn ein Kläger oder eine Klägerin und ein Beweis vorhanden ist. Es braucht noch griffige Verfahren der Weko zur Durchsetzung.


Wettbewerbsrecht: Vom zahnlosen Tiger zur respektierten Regulatorbehörde

Im Jahr 1990 gab es in der Schweiz rund 1000 Kartelle. Es gab die horizontalen Preisabsprachen unter Baumeistern, Spenglern, Zementfirmen, Banken (sog. Zinskonvenien). Und es gab die Vertikalbindungen zum Beispiel bei der Alleinlieferung einer Biermarke an Restaurants, beim Autoimport und bei der Beschaffung von Autoersatzteilen. Die damalige Kartellkommission konnte Kartelle kaum verbieten, sie konnte nur die Vor-und Nachteile abwägen (Saldo-Methode).

1995 wurde im Rahmen der Swisslex im Gefolge des EWR-Neins ein neues Kartellgesetz beschlossen, das zwar Sanktionen vorsah, aber zum Beispiel Vertikalkartelle nicht klar sanktionierte. In Folge wurden aber hunderte von (meist horizontalen) Kartellen aufgelöst. Die neu gebildete Weko und ihr Sekretariat blieben aber ziemlich zögerlich und zahnlos. Sie begnügten sich mit dem publikumswirksamen Aufdecken verbliebener lokaler Kartellchen unter Baumeistern oder Asphaltfirmen.

2002 wurde das Kartellgesetz verschärft und es definierte die verbotenen Vertikalabsprachen präziser und wirksamer. In der Folge gab es einige Untersuchungen von Vertikalbindungen (Nivea, Gartenscheren, Swisscom, BMW, Elmex-Gaba).

Der Bundesgerichts-Leitentscheid 2016 zugunsten der Weko im Fall Elmex/Gaba ermöglichte die verstärkte Aktivität der Weko gegen Vertikalabsprachen. Erstmals gab es auch eine Untersuchung gegen Preis- und Lieferbindungen einer Schweizer Firma (Stöckli Ski). Verstärkt wurde der Druck gegen Vertikalkartelle durch die Fair-Preis-Initiative von Gastrosuisse, andern Gewerbeverbänden und der Stiftung für Konsumentenschutz (diese Koalition besteht immer noch). Das Parlament zimmerte einen indirekten Gegenvorschlag im Kartellgesetz, weil es eine Annahme der Initiative befürchtete. Die Initiative wurde daraufhin zurückgezogen.

Auf Anfang 2023 wurde nach einer langen Reihe von eher zögerlichen Wirtschaftsprofessoren erstmals eine Frau und Rechtanwältin zur Präsidentin der Weko gewählt: Laura Baudenbacher gilt seither als zielstrebige und auch streitresistente Weko-Präsidentin. Wenn eine Regulatorbehörde nicht streitresistent ist, wird sie in der Wirtschaft und vom Markt nicht respektiert! (Dies gilt für Weko, Preisüberwachung, Comcom, Elcom, Finma und Co.)

Die strengere Gangart und häufigeren Kartellverfahren der Weko gegenüber den Vertikalkartellen rief bald auch den Widerstand von betroffenen Kartell-Nutzniessern und Kartell-Gewinnerinnen und die entsprechenden Lobbys auf den Plan. Dies ausgerechnet auch bei den verbalen Bekennern für den Wettbewerb.

2018 ritt der freisinnige Waadtländer Ständerat Olivier Français die erste Attacke mit einer Motion, mit der der Bundesrat verpflichtet werden sollte, die strenger gewordene Weko-Praxis aufzuweichen und die Weko mit parlamentarischem Missvergnügen einzuschüchtern. Die Motion Français wurde gegen den Willen des Bundesrats als Drohkulisse angenommen und seit fast fünf Jahre ist nun diese Kartellgesetz-Revision hängig.

Der Bundesrat präsentierte pflichtgemäss eine kleine Revision des Kartellgesetzes. Aber der Ständerat akzeptierte die Abschwächung des Kartellgesetzes nicht. Dagegen konzentrierte sich das Lobbying der Weko-Gegner und Gegnerinnen für eine Kartellgesetz-Abschwächung auf die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats. Eine WAK-Mehrheit beantragt nun dem Nationalrat für die Juni-Session 2025 die folgenden zwei fundamentalen Abschwächungen des Kartellgesetzes.


Wie die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats – das Kartellgesetz schwächen und die Weko abstrafen will

Erstens sollen bei einem Vertikalkartell nicht nur – wie heute gemäss Leitentscheid des Bundesgerichts  – die Kartellabreden bewiesen werden, sondern in Zukunft müssen zwecks Relativierung in einer «Gesamtbeurteilung» auch «Erfahrungswerte und quantitative Elemente in Form von konkreten Umständen auf dem relevanten Markt» einbezogen werden. Eine extreme Minderheitsgruppe Bürgerlicher will sogar noch weiter gehen und jedes Mal die Schädlichkeit im konkreten Fall beziffert haben, was meist nicht möglich ist.

Zweitens will die WAK-Mehrheit die Weko verpflichten, die Missbräuchlichkeit durch marktbeherrschende oder relativ marktmächtige Unternehmen zu relativieren und nur noch dann festzustellen, wenn der Missbrauch «einzelfallweise in einer Gesamtbeurteilung anhand von Erfahrungswerten und von den konkreten Umständen auf dem Markt» nachweisbar wird. Die extreme WAK-Minderheitsgruppe, will sogar die Schädlichkeit in jedem konkreten Fall bewiesen haben.


Diese Relativierungen enthalten viele Fussfesseln. Die Weko muss nicht mehr – wie heute – nur die Wettbewerbsabrede beweisen (zum Beispiel durch Kronzeugen oder Klägerfirmen und durch Dokumenten-Beschlagnahmung). Sie muss auch «quantitative» Elemente wie Preise und Erfahrungswerte, Marktumstände, Gesamtbeurteilungen. Schadensausmasse und weitere Ermessensfragen einbeziehen. Diese Fussfesseln in der Gerichtsprozedur öffnen den Wirtschaftsanwälten und -anwältinnen Tür und Tor für ewige Prüfbegehren, Beweisanträge, Einsprachen, Preisanalysen – wer kennt dies nicht von ewig dauernden Baubewilligungen oder Haftungsprozessen? Ein Eldorado für Wirtschaftsanwaltskanzleien!
Was die WAK-Nationalrat anstrebt, ist eine Totalerschwerung des Sanktionsverfahrens, indem die Weko oder der Staat zuerst einen Schaden der Gesetzesverletzung beweisen und beziffern muss.

Zum Verständnis: Wer mit dem Auto eine Kreuzung bei Rotlicht überfährt und geblitzt wird, bei dem genügt dieser Beweis für eine saftige Busse. Niemand kann sich herausreden, es sei kein Schaden verursacht worden. Im Analogiefall zum WAK-Vorschlag zur Kartellrevision müsste der Staat für die Bestrafung des Verkehrssünders zuerst einen Schaden und andere Ermessensbelege nachweisen. Das ist eine Aufweichung des Kartellverbots.

Dies bedeutet: Die Mehrheit der WAK-Nationalrat will durch diese Kartellgesetzrevision die Weko einschüchtern und ihre Rechtsprechung lahmlegen, die Verfahren verkomplizieren und verzögern.

Und im Effekt wird der Kampf gegen die Hochpreisinsel blockiert oder zumindest stark erschwert. Das rechtsbürgerliche WAK-Rezept ist ein Rückschritt in die unwirksame Saldo-Methode der Zeit vor 1995.

Fünf frühere Weko-Präsidenten hatten in einer gemeinsamen öffentlichen Stellungnahme vor dieser fundamentalen Schwächung des Kartellrechts durch die WAK-Anträge gewarnt. Sie warnen vor einer «Erschwerung des Kampfs gegen Marktabschottung und Hochpreisinsel Schweiz».

Dieser Kampf gegen die Weko und ihre Praxis hatte eine parlamentarische Parallele: Die Finanzmarktaufsicht (Finma) wurde durch parlamentarische Vorstösse und Gesetzesänderungen so lange eingeschüchtert und bei der Bankenaufsicht geschwächt, bis es bekanntlich im CS-Debakel endete. Eine politische Einschätzung:

 1 

Der Befund: Vertikalabreden schaffen die Hochpreisinsel

Laut der europäischen Statistik Eurostat liegt das Preisniveau in der Schweiz um 74 Prozent über dem Durchschnitt der EU-Länder. Nur ein Teil dieser Preisüberhöhung ist durch die Vertikalkartelle bei Schweizer Importen bedingt. Höhere Löhne, höhere Liegenschaftspreise, höhere Infrastrukturen und protektionistische Agrarpreise spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Doch die Verteuerung der Importprodukte allein aufgrund von Vertikalbindungen und kartellistischen Schweiz-Zuschlägen führt bei die Importen in der Schweiz zu einer Kaufkraftabschöpfung von mindestens 10 bis 15 Milliarden Franken.
Dabei sind die unterschiedlichen Mehrwertsteuerniveaus schon bereinigt. Und im Warenimportvolumen von total 220 Milliarden Franken (2024) sind die Schweiz-Zuschläge auf Dienstleistungsimporten (Media, Netflix, Google etc.) nicht berücksichtigt. Die Warenimporte mit Wettbewerbspreisen (etwa Erdöl, Rohstoffe) und die administrierten Importe von Landwirtschaftsprodukten sind ausgenommen.

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Vertikalkartelle sind unsozial und wirtschaftsschädigend

Die Verhinderung der Weko-Praxis gegen die Hochpreisinsel ist unsozial und wirtschaftsschädigend! Betroffen von der Hochpreisproblematik sind Haushalte, KMU und viele gewerblichen Betriebe. Die multinationalen Konzerne in der Schweiz sind wenig betroffen, weil sie ihre eigene Import-Beschaffung und Logistik über ihre ausländischen Tochterfirmen konzernintern abwickeln.

Die existierende kartellistische Importverteuerung durch mangelnden Wettbewerb trifft daher die Haushalte und Familien stark. Grenznahe und/oder finanzschwache Haushalte weichen deshalb seit langem auf Wocheneinkäufe im grenznahen Ausland aus. Den «Einkaufstourismus» will man jetzt zum Schutze des Schweizer Detailhandels stärker unterbinden, indem man beim Grenzeintritt die mehrwertsteuerbefreite Einkaufssumme auf 150 Franken pro Person halbiert.

«Wir sind gezwungen, auf der andern Seite der Grenze einzukaufen. Wir würden sonst finanziell abrutschen», sagt J.R., Mutter von zwei kleinen Töchtern dieses Jahr gegenüber der NZZ.

Ebenfalls betroffen und geschädigt von der kartellistischen Hochpreisproblematik sind KMU und Gewerbebetriebe (besonders die grenznahen). Deshalb hatten Gastrosuisse und andere Gewerbezweige zusammen mit der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) die Fair-Preis-Initiative lanciert, die dann wie bereits erwähnt aufgrund eines indirekten Gegenvorschlags zurückgezogen werden konnte.

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In der Wettbewerbspolitik steckt viel Verlogenheit

Die Kartellgewinner, die Hintermänner und Lobbyisten der Attacke der Bürgerlichen in der WAK-Nationalrat gegen die Weko und gegen die Kernbestimmungen des Kartellgesetzes outen sich nie namentlich und öffentlich. Die WAK-Mehrheit verbietet die Kartelle nicht. Aber sie bringt ins Kartellgesetz so viele perfide Fussfesseln, dass kaum mehr Sanktionen möglich sind. In der Wettbewerbspolitik versteckt sich viel Verlogenheit!

Die konzernnahe Economiesuisse als selbsternannte Hüterin der Marktwirtschaft hat die vorgeschlagenen Anträge der WAK-Nationalrat ausdrücklich unterstützt. Dies manifestiert die ordnungspolitische Doppelbödigkeit des liberalen Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse augenscheinlich!

Die rechtsbürgerlichen Wirtschaftskreise sind Sonntagsliberale: Am Sonntag predigen sie der Öffentlichkeit freie Marktwirtschaft und Wettbewerb. Und vom Montag bis Freitag tun sie alles, um ihn zu behindern. Das Schimpfwort «Sonntagsliberale» stammt übrigens vom ehemaligen liberalen Wirtschafsprofessor und Präsidenten der alten Kartellkommission Hugo Sieber.

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Politische Konstellation im Wettbewerbsrecht

Der Bundesrat wird die Schwächung des Kartellrechts im Nationalrat bekämpfen. Wie weit sich die WAK-Mehrheit im Nationalrat durchsetzen kann, ist schwer vorhersehbar. Die Fraktionen müssen sich noch positionieren.

Die SVP stand der Wettbewerbspolitik und der Weko immer feindlich gegenüber (obschon gewerbliche Kreise unter den Hochpreisimporten leiden).

Die FDP war in den 1990er Jahren noch ziemlich wettbewerbsfreundlich und unterstützte das neue Kartellgesetz. Heute unterliegt sie dem Wirtschaftslobbying aus dem wettbewerbsfeindlichen Lager.

Die frühere CVP war in den 1990er Jahren zusammen mit der Linken die treibende Kraft zur Stärkung der Weko. Wie sich die heutige Mitte wettbewerbspolitisch positioniert, ist offen. Im Ständerat folgten bei der Attacke gegen die Weko die heutigen Mitte-Politiker mehrheitlich dem Bundesrat mit Ablehnung der Weko-Demontage.

Die SP (und später auch die Grünen) unterstützten das Kartellgesetz 1995 und kämpften auch dafür. In der aktuellen WAK-Debatte haben Mitglieder von SP und Grünen die Demontage-Anträge mit Minderheitsanträgen bekämpft. Doch bisher hat die SP diese WAK-Attacke gegen das Kartellgesetz und die Weko nicht öffentlich thematisiert.

In den Gewerkschaften gab es früher eine gewisse Skepsis vor allem gegen die Aufhebung von horizontalen Kartellen, weil sie einen Lohndruck in den Betrieben befürchteten. Bezüglich der Vertikalkartelle sind sie aber angesichts der manifesten Schädigung der Kaufkraft der Konsumenten und Konsumentinnen gegen eine Schwächung der Weko (auch Gewerkschaftsmitglieder kaufen im Ausland ein!).

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Die Referendumsfrage

Wird es, wenn sich die WAK-Nationalrat durchsetzen würde, zu einem Referendum kommen? Die seinerzeitigen Protagonist:innen der Fair-Preis-Initiative sind aufmerksam und begleiten die Parlamentsdebatte aktiv.

Eine Kartellgesetz-Demontage und die Lähmung der Weko mit den beantragten Fussfesseln der WAK-Nationalrat käme einer Akzeptanz der Hochpreisinsel und Schwächung der Kaufkraft gleich.

Ein Referendum gegen die Kartellgesetzrevision hätte angesichts der hohen Sensibilität in der Bevölkerung in Sachen Preise und Kaufkraft grosse Chancen. Jede Schweizerin und jeder Schweizer weiss heute, dass vergleichbare Markenartikel in der Schweiz viel teurer importiert und verkauft werden.


Rudolf Strahm, war SP-Nationalrat, und eidgenössischer Preisüberwacher. Er war sieben Jahre SP-Zentralsekretär wirkte vier Jahre als Präsident des bernischen und 13 Jahre als Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (Deutschschweiz).
Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung des Autors.


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