Jugendverbände kämpfen gegen Abbauprogramm: «Der Bundesrat zeigt, dass die Jugend für ihn keine Priorität ist.»

Der Bund will die Mittel für Jugendorganisationen kürzen. Diese wehren sich aber dagegen und wollen angehört werden. Ein Recht, das ihnen verwehrt wird.

Pfader:innen in einem Sommerlager. Foto: Geatan Bally (Keystone)

Die konsolidierte Rechnung 2024 weist laut Bundesrat einen Überschuss von über 11 Milliarden aus – ein Drittel mehr als im vorletzten Jahr. Trotzdem warnt die Finanzverwaltung in ihrer Mitteilung vor «finanziellen Schwierigkeiten des Bundes in den nächsten Jahren».

Der Bundesrat hält am Sparpaket fest, das insbesondere im sozialen Bereich kürzen will – darunter auch bei der ausserschulischen Jugendarbeit. Betroffen wären Organisationen wie die Pfadi, Jugendgewerkschaften, Studierendenverbände, der Cevi und viele weitere.

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV) hat in einem offenen Brief an Finanzministerin Karin Keller-Sutter ihre Bedenken geäussert. Sie kritisiert, dass Jugendorganisationen im Vernehmlassungsprozess keine formelle Mitsprache erhalten. «direkt» hat den Präsidenten des traditionsreichen Verbands getroffen.

Jan Burckhardt. Bild: zVg
«direkt»: Herr Burckhardt, die SAJV hat in einem offenen Brief an die Bundespräsidentin und den Bundesrat die Kürzungen der Bundesausgaben kritisiert. Welche Folgen hat das Abbaupaket für junge Menschen in der Schweiz?

Jan Burckhardt: Wir identifizieren im Massnahmenpaket mindestens neun für Jugendorganisationen und junge Menschen schädliche Kürzungen. Drei davon tauchen nicht einmal in der Vernehmlassung auf: Bei der ausserschulischen Kinder- und Jungendförderung, bei Jugend+Sport sowie bei der internationalen Mobilität werden jeweils rund zehn Prozent weggekürzt. Plump gesagt heisst das: Der Zugang zu Bewegung, zu sozialen Kontakten, zu psychischer Gesundheit und zu freiwilligem Engagement wird jungen Menschen erschwert. Die Jugendorganisationen können ihre Funktion als Begleiterinnen junger Menschen nicht mehr im selben Ausmass wahrnehmen.

«Der Zugang zu Bewegung, zu sozialen Kontakten, zu psychischer Gesundheit und zu freiwilligem Engagement wird jungen Menschen erschwert.»

«direkt»: Wie wichtig sind diese Organisationen für die jungen Menschen?

Jan Burckhardt: Ich bezeichne die Jugendorganisationen gerne als Rückgrat der Zivilgesellschaft. Dort lernen junge Menschen wichtige Dinge, die ihre Biografien und die Gesellschaft positiv prägen. Sie erhalten Raum, um Selbstwirksamkeit zu erfahren. Die Kürzungen sind demnach ein Widerspruch zur Jugendpolitik der letzten Jahre, die eine integrative, partizipative Gesellschaft stärken wollte.

«direkt»: Wie viele junge Leute sind von den Kürzungen betroffen?

Jan Burckhardt: Wir gehen davon aus, dass jede dritte junge Person im Verlauf ihres Lebens mit einer unserer Organisationen in Berührung kommt. Darunter gibt es Personen und Organisationen, die durch eine Kombination der Kürzungen gleich mehrfach getroffen werden. Die Kürzungen schwächen uns alle. Auch bei den Universitäten würden 120 Millionen Franken wegfallen. Die Studiengebühren müssten damit verdoppelt bis vervierfacht werden. Sie sehen also: Die Abbaumassnahmen treffen sehr viele junge Menschen direkt.

«Die Qualitätserwartungen an die ausserschulische Jugendarbeit steigen stetig, aber die Finanzierung sinkt.»

«direkt»: Welche denn?

Jan Burckhardt: Jugendorganisationen tragen beispielsweise auch viel zur sozialen Integration von Kindern in einem Dorf bei. Deswegen kann ich es nicht genug betonen: Die ausserschulische Jugendarbeit, Jugendaktivitäten, Jugendverbandstätigkeit werden durch diese Kürzungen geschwächt und angegriffen – damit auch ihre vielen positiven Effekte für die Zivilgesellschaft.

«direkt»: Sie vertreten innerhalb der SAJV den drittgrössten Jugendverband der Schweiz, den Cevi. Konkret: Was steht Ihrem Verband bevor, wenn das Kürzungspaket durchkommt?

Jan Burckhardt: Die genauen Auswirkungen können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Was ich aber sagen kann: Die Jugend+Sport-Gelder sind für alle Organisationen wichtig, die Lager durchführen. Aktuell erhält eine Organisation eine Tagespauschale von 16 Franken pro Kind, wenn sie ein Lager bei Jugend+Sport anmeldet. Bei einer Kürzung von 10 Prozent bleiben davon noch 14,40 Franken. Das führt beispielsweise dazu, dass ein Cevi nach einer Wanderung auf den Badi-Besuch verzichten muss. Oder wir müssen die Lagerbeiträge erhöhen, was einkommensschwächere Familien zusätzlich belastet und Chancenungleichheit verstärkt. Zudem rechnen wir auch mit einem Abbau der Finanzierung von Weiterbildungen und Schulungen. Dort lernt man aber wichtige Sachen: was es für Schutzkonzepte braucht oder wie man sexualisierte Übergriffe verhindert. Die Qualitätserwartungen an die ausserschulische Jugendarbeit steigen stetig, aber die Finanzierung sinkt. Das macht das Engagement schwieriger.

«Wichtige Auswirkungen auf die Jugend und ihre Zukunft werden als simple Haushaltsanpassungen verkauft und in der Budgetdiskussion ausgehandelt.»

«direkt»: Im offenen Brief an Karin Keller-Sutter prangert die SAJV ein Demokratiedefizit bei den Kürzungsmassnahmen an. Wieso?

Jan Burckhardt: Der Bundesrat hat entschieden, das Massnahmenpaket zu zerpflücken und einige für uns wichtige Massnahmen nicht in die Vernehmlassung zu geben. So haben wir als Jugendorganisationen keine Möglichkeit, uns im formellen Prozess zu äussern und unsere Bedenken einzubringen. Wichtige Auswirkungen auf die Jugend und ihre Zukunft werden als simple Haushaltsanpassungen verkauft und in der Budgetdiskussion ausgehandelt. Wir sind aber der Meinung, dass diese eine breitere demokratische Debatte verdienen.

«direkt»: Der Abbau sei nicht nur als finanzpolitische Weichenstellung zu verstehen, sondern auch als gesellschaftspolitische. So steht es im Brief. Welchen Richtungswechsel hat der Bundesrat eingeschlagen?

Jan Burckhardt: Das Abbauprojekt ist nicht einfach Budgetdisziplin, das ist eine neue Priorisierung von staatlichen Aufgaben. Der Bundesrat zeigt, dass die Jugend keine Priorität für ihn ist. Das Signal, das bei uns ankommt, ist: «Wir sprechen kein Geld für die psychische Gesundheit von jungen Menschen, um das Einsamkeits-Problem anzugehen, wir machen nichts zur Förderung von freiwilligem Engagement.» Ich möchte aber noch etwas zum Betrag sagen, der gekürzt werden soll.

«Die Massnahmen, die der Vernehmlassung vorenthalten werden, könnten uns bereits im Budget 2026 treffen.»

«direkt»: Bitte.

Jan Burckhardt: Jugendorganisationen stellen jetzt schon mit sehr wenig Geld sehr viel auf die Beine. Das sind effiziente Franken, die gekürzt werden. Und im Vergleich zum gesamten Abbaupaket ist es ein fast schon lächerlich kleiner Anteil: Die Kürzungen bei der ausserschulischen Jugendarbeit machen für das Jahr 2027 gerade mal rund 10 Millionen aus — in einem Gesamtpaket von 3 Milliarden. Für uns ist es aber überproportional einschneidend, wenn dieses Geld wegfällt.

Protestaktion von der SAJV vor dem Bundeshaus. Foto: zVg
«direkt»: Die Verunsicherung bei den Jugendorganisationen scheint gross zu sein.

Jan Burckhardt: Ja, dieses Signal vom Bund löst grosse Verunsicherung aus. Auch auf die Frage, wie die konkrete Umsetzung geplant ist, haben wir keine Antwort erhalten. Zudem erreichen uns immer wieder gegensätzliche Informationen: Der erste Bericht zu den Kürzungsmassnahmen wollte den Breitensport noch auslassen. Der Bundesrat hat dann aber anderes entschieden. So kommt zur Verunsicherung nun auch noch Verwirrung dazu. Besonders gruselig: die Massnahmen, die der Vernehmlassung vorenthalten werden, könnten uns bereits im Budget 2026 treffen.


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