Bereits 23 Frauen und Mädchen sind in diesem Jahr in der Schweiz von Männern getötet worden. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den letzten Jahren. Die jüngste Kriminalstatistik bestätigt den alarmierenden Trend: Auch schwere Gewaltstraftaten, insbesondere Vergewaltigungen und schwere Körperverletzungen, nehmen weiter zu.
Femizide: Die Spitze der Gewaltspirale und der rechtskonservative Backlash
Femizide geschehen nicht im luftleeren Raum. Sie bilden den tragischen Endpunkt einer Gewaltspirale, die tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Im Zentrum steht eine patriarchale Struktur, die Frauen systematisch abwertet und objektifiziert. Gerade auch durch den aktuellen Aufschwung von Parteien am rechten Rand und den rechtskonservativen Backlash stehen die Rechte von Frauen, queeren und trans Personen immer stärker unter Druck. So wurde in den USA der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen stark eingeschränkt. In Italien dürfen Abtreibungsgegner:innen dank einem neuen Gesetz der Meloni-Regierung nun ungewollt Schwangere direkt vor Kliniken belästigen und einschüchtern.
Auch in der Schweiz ist der rechtskonservative Backlash zu spüren. Seit dem Rechtsruck im nationalen Parlament bei den Wahlen 2023 ist es praktisch unmöglich, Mehrheiten für wichtige gleichstellungspolitische Projekte zu finden. Die Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament gibt lieber Milliarden für die Armee aus. Opfer von sexualisierter und häuslicher Gewalt lässt sie hingegen im Stich, indem sie sich weigert, genügend Geld für Schutz und Prävention bereitzustellen.
Schweiz im Alarmzustand – doch ohne zusätzliche Mittel
Schon im Juli forderten die Gleichstellungsexpert:innen des Bundes angesichts der alarmierenden Zahlen konkrete Massnahmen gegen die wachsende Anzahl der Femizide. Ihr Appell richtete sich an Bund, Kantone und Gemeinden: Nur mit koordiniertem Handeln auf allen Ebenen könne die Gewalt gegen Frauen effektiv bekämpft werden. Geprüft werden derzeit Massnahmen wie verbesserte Risikoeinschätzungen und mehr Gewaltprävention.
Zusätzliche finanzielle Mittel für Frauenhäuser, Präventionsprogramme oder Opferberatung sind dabei nicht vorgesehen. Gerade diese Bereiche sind jedoch chronisch unterfinanziert – und laut Fachpersonen essenziell, um betroffene Frauen zu schützen, bevor es zu einem tödlichen Angriff kommt.
SP-Initiative: Bund soll Verantwortung übernehmen
Angesichts der eskalierenden Lage haben jetzt die SP Schweiz und die SP Frauen die Lancierung einer Volksinitiative angekündigt. Geplant ist ein nationales Gesetz mit drei zentralen Elementen:
Erstens sollen Bund und Kantone in der Verfassung ausdrücklich verpflichtet werden, geschlechtsspezifische Gewalt aktiv zu bekämpfen.
Zweitens fordert die Initiative verbindliche Minimalstandards für Opferschutz und Prävention – ein Schritt, der angesichts der grossen kantonalen Unterschiede längst überfällig ist. Aktuell sind die Kantone für den Schutz von Gewaltbetroffenen zuständig. Das heisst: Heute hängt es stark vom Wohnort ab, ob und wie schnell betroffene Frauen Zugang zu einem Schutzplatz oder einer Beratungsstelle erhalten. In manchen Regionen ist die Versorgung mit Frauenhäusern und Schutzplätzen dramatisch ungenügend.
Drittens soll der Bund die Finanzierung übernehmen. Die SP rechnet mit rund 500 Millionen Franken pro Jahr. Dieses Geld soll unter anderem in Frauenhäuser, Notrufsysteme, Täterarbeit, die Aus- und Weiterbildung von Polizei und Justiz sowie in präventive Bildungsarbeit an Schulen fliessen.
Die Initiative will damit nicht nur auf Gewalt reagieren, sondern die gesellschaftlichen Strukturen verändern, die diese möglich machen.
Spanien: Ein Vorbild im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt
Ein Blick nach Spanien zeigt: Die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt ist möglich. Spanien hat es in den letzten 20 Jahren geschafft, die Zahl der Femizide um ein Drittel zu senken. Der Wendepunkt kam 1997 als die 60-jährige Ana Orantes in einem TV-Interview über die Gewalt ihres Ex-Mannes sprach und wenige Tage später von ihm ermordet wurde. Die landesweiten Proteste führten zur Erkenntnis: Gewalt an Frauen ist kein privates, sondern ein gesellschaftliches Problem.
Im Jahr 2004 stimmte das spanische Parlament einem Gesetzespaket zu, das vor allem strafrechtliche Reformen beinhaltete. Der Staat definierte Gewalt an Frauen als eigene Straftat und verschärfte die Strafen für Täter. Zusätzlich wurden spezialisierte Gerichte – sogenannte «Spezialkammern» – die ausschliesslich Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt verhandeln und mit besonders geschultem Personal besetzt sind, eingerichtet.