Nicole Stolz: «Durch militärische Aufrüstung und Abschottung wird Migration nicht verhindert»

Der Bund spart bei der internationalen Zusammenarbeit. Eine fatale Entscheidung, findet Nicole Stolz, Abteilungsleiterin Entwicklungszusammenarbeit bei der Stiftung Swissaid.

Nicole Stolz. Foto: zVg

Kein Zugang zu sauberem Trinkwasser oder zu robustem Saatgut: Die Budgetkürzungen des Bundes bei der internationalen Zusammenarbeit (IZA) haben gravierende Folgen für die Menschen im globalen Süden. Nicole Stolz, Abteilungsleiterin Entwicklungszusammenarbeit bei SWISSAID, erklärt, welche Folgen die Kürzungen haben und welche Rolle dabei auch Trumps USAID-Abbau spielt.

«direkt»: Das Parlament hat entschieden: Der internationalen Zusammenarbeit (IZA) soll ein Teil des Budgets für 2025 gestrichen werden, und auch der Finanzrahmen 2025 bis 2028 wird gekürzt – zugunsten der Aufrüstung. Was ging Ihnen nach der Schlussabstimmung kurz vor Weihnachten durch den Kopf?

Nicole Stolz: Ich habe gedacht: Ein nettes Geschenk, dass die reiche Schweiz an die Welt macht. Auch wenn ich verstehen kann, dass es angesichts der Weltlage gezielte Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit braucht, ist es doch fatal, dies planlos und auf Kosten der ärmsten Menschen auf der Welt zu machen. Die Kürzungen sind zudem auch finanzpolitisch unsinnig. Die Schweiz schrieb im letzten Jahr praktisch eine schwarze Null, auch dank des Rohstoffhandels.

«Wir haben nun eine halbe Million weniger zur Verfügung. Das heisst unter anderem, dass ungefähr 200’000 Menschen im Niger keinen Zugang zu robusten Saatgutsystem erhalten.»

«direkt»: Dank des Rohstoffhandels im globalen Süden.

Nicole Stolz: Genau, die Schweiz freut sich über die Steuern von Glencore und Co. Dabei geht es hier um Geld, das aus dem globalen Süden an die Schweizer Regierung fliesst – dort, wo die Menschen massiv unter den Folgen des Klimawandels leiden, den, notabene, hauptsächlich wir im globalen Norden verursacht haben. Es ist unverständlich, dass wir uns mit diesen Menschen nicht solidarisch zeigen und ausgerechnet dort kürzen.

«direkt»: Können Sie bereits abschätzen, was diese Kürzungen für ihre Projekte und vor allem für das Leben der Menschen, denen diese Projekte zugutekommen, bedeuten?

Nicole Stolz: Im Gegensatz zur Schweizer Armee kennen wir unsere Zahlen und unser Budget sehr gut. Wir haben nun eine halbe Million, also mehr als zehn Prozent im Vergleich zum letzten Budgetjahr, weniger zur Verfügung. Das heisst unter anderem, dass ungefähr 200’000 Menschen im Niger keinen Zugang zu robusten Saatgutsystem erhalten, das eine bessere Anpassung an den Klimawandel ermöglichen würde. Und, dass wir weniger Brunnen bauen können und somit weniger Menschen Zugang zu sauberem Trink- oder Bewässerungswasser erhalten.

«direkt»: Hat das auch Einfluss auf die humanitäre Hilfe?

Nicole Stolz: SWISSAID ist in der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit tätig, weniger in der humanitären Hilfe. Wir bauen Perspektiven für Menschen, die in ihren Ländern unter erschwerten Bedingungen leben. Der Klimawandel verschärft ihre Situation zunehmend. So wie jetzt das Entwicklungsbudget zusammengestrichen wird, werden nachhaltige Lösungen verbaut, die bisher Menschen im globalen Süden zu einem Auskommen und genügend Nahrung verhalfen. Aber die Kürzungen betreffen natürlich auch andere Organisationen und damit auch die humanitäre Hilfe.

«Wenn Menschen in miserablen Verhältnissen leben oder den Tod fürchten müssen, werden sie weiterhin versuchen, nach Europa zu kommen.»

«direkt»: Durch die internationale Zusammenarbeit soll den Menschen also eine Perspektive in ihrem Herkunftsland geboten werden. Werden dadurch auch die Fluchtursachen bekämpft?

Nicole Stolz: Ja, die Armut ist auch durch die IZA massiv gesunken und das Bildungsniveau ist gestiegen. Das können wir belegen. Diese langfristige Arbeit an globalen Lösungen vor Ort und an der Eröffnung von individuellen Perspektiven dort führen auch dazu, dass weniger Menschen ihre Herkunftsländer verlassen müssen.

«direkt»: Das wäre eigentlich auch im Sinne jener Parteien wie FDP und SVP, die nun für die Kürzung der Gelder gestimmt haben.

Nicole Stolz: Wer darauf vertraut, dass durch militärische Aufrüstung und Abschottung an den Aussengrenzen die Migration verhindert werden kann, liegt gründlich falsch. Wenn Menschen in miserablen Verhältnissen leben oder den Tod fürchten müssen, werden sie weiterhin versuchen, nach Europa zu kommen. Das lässt sich nur ausbalancieren, wenn das Nord-Süd-Gefälle nachhaltig ausgeglichen wird.

«Die Entwicklungszusammenarbeit und die Solidarität wird es auch in dreissig Jahren noch geben. Denn solange es das Nord-Süd-Gefälle gibt und Menschen verhungern, wird es hier auch Menschen geben, die das nicht hinnehmen wollen.»

«direkt»: Nicht nur in der Schweiz hat die IZA einen schweren Stand. In den USA droht Präsident Trump damit, die Behörde USAID vollständig aufzulösen. Welchen Einfluss hätte dies auf die Arbeit von SWISSAID?

Nicole Stolz: Wir sind nicht direkt betroffen davon, im Gegensatz zu anderen Schweizer NGOs. Indirekt allerdings schon: USAID ist eine extrem wichtige Agentur im ganzen Geflecht der Entwicklungszusammenarbeit und auch in der humanitären Hilfe. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Frühwarnungssystem, das uns zeigt, wo eine nächste Hungerkrise stattfinden könnte. Nun ist das Tool seit etwa drei Wochen nicht mehr zugänglich. Und auch grosse Flüchtlingslager sind betroffen. An der Grenze zwischen Tschad und Sudan zum Beispiel hat USAID einen grossen Teil des Budgets gestemmt. Wenn das jetzt wegfällt, werden diese Camps kollabieren und die Menschen müssen früher oder später die Lager verlassen. Das wird zwangsläufig zu einer Destabilisierung der Lage in der gesamten Region führen. Ob dies gewollt ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist auf jeden Fall eine sehr schwierige Situation für die Betroffenen und für die jeweiligen Staaten.

«direkt»: Die politische Tendenz zeigt klar: Die IZA scheint in vielen Staaten keine hohe Priorität zu haben. Wie blicken Sie aktuell in die Zukunft?

Nicole Stolz: In der Schweiz wurde angekündet, dass der Finanzrahmen nicht stabil sei und wir jährlich mit Kürzungen rechnen müssen – auch bei der Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin deshalb sehr besorgt. Wir versuchen natürlich, andere Einnahmenquellen zu finden – zum Teil von anderen staatlichen Akteuren wie der deutschen sowie der französischen Regierung und durch die Philanthropie. Im Moment können wir unsere Projekte noch stemmen. Aber durch die beschlossenen Kürzungen verliert die Schweiz auch an Einfluss und sendet ein fatales außenpolitisches – und übrigens auch bilaterales –Signal an die Schweizer Partnerländer. Die Entwicklungszusammenarbeit und die Solidarität wird es auch in dreissig Jahren noch geben. Denn solange es das Nord-Süd-Gefälle gibt und Menschen verhungern, wird es hier auch Menschen geben, die das nicht hinnehmen wollen.


Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein