«Entscheidend für dieses Debakel war das Risikoverhalten des Managements»

Sergio Rossi, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Fribourg, ist einer der zehn einflussreichsten Ökonomen der Schweiz. Was sagt er zur CS-Pleite? «direkt» hat mit ihm gesprochen.

Foto: Maurizio Solari

Grosse Risiken in Kauf nehmen, um Boni abzukassieren: Dies sei die Wurzel des Problems bei der Credit Suisse, sagt der Ökonom Sergio Rossi. Doch warum wurde dieser zerstörerische Kreislauf nicht früher gestoppt? Wir haben bei ihm nachgefragt.

«direkt»: Herr Rossi, seit der CS-Rettung fragen sich viele Menschen in der Schweiz: Wie konnte es so weit kommen? Was antworten Sie ihnen?

Sergio Rossi: Nach der Rettung der UBS 2008 wurde die Bank zum Umdenken gezwungen. Sie hat ihr Investmentbanking reduziert. Anders die Credit Suisse, wo sich nichts änderte. Die Bank konnte auf dem Markt weiterhin alles tun. Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Topmanager haben alle Warnsignale gekonnt ignoriert.

Hätte man aus der Krise von 2008 gelernt, wären die Warnsignale schon viel früher erkannt worden.<span class="su-quote-cite">Sergio Rossi</span>

Skandale, Klagen, rechtliche Schritte, riesige finanzielle Verluste und vor kurzem die Probleme der amerikanischen Regionalbanken: Es waren alle Anzeichen vorhanden, um die CS als nächste Bank auf die Liste der Gescheiterten setzen zu müssen. Angesichts des verantwortungslosen Verhaltens sowohl der Bank als auch der Aufsichtsbehörden war ein Eingreifen des Staates unvermeidlich. Hätte man aus der Krise von 2008 gelernt, wären die Warnsignale schon viel früher erkannt worden.

«direkt»: Wer hätte Ihrer Meinung nach eingreifen müssen?

Sergio Rossi: Das wäre natürlich die Aufgabe der Finanzmarktaufsicht FINMA gewesen. Eine Zusammenarbeit mit ihrem amerikanischen Pendant wäre sinnvoll gewesen. Die Übernahme von Risiken durch die CS erfolgte vor allem auf dem amerikanischen Finanzmarkt.

Die FINMA hat die Aufgabe, jede Bank in der Schweiz einzeln zu überwachen. Das bedeutet, dass sie deren Konten, Bilanzen, Aktivitäten, Wertpapierportfolios etc. analysieren muss. Im Fall der CS war eine solch tiefgreifende Analyse gar nicht notwendig: Alle Indikatoren wiesen auf Probleme hin! Vor 2008 galt das Investmentbanking noch nicht als grosses Problem. Seit 2008 wissen aber alle, dass es mit sehr hohen Risiken verbunden ist. Aber die Manager taten so, als wäre nichts geschehen: Da die UBS vom Staat gerettet wurde, waren sie sicher, dass auch die Credit Suisse gerettet werden würde. Und genau das ist jetzt geschehen.

Wichtig erscheint mir auch, dass die FINMA nicht durch öffentliche Gelder, sondern durch die Beiträge der Banken selbst finanziert wird. Dass da ein Interessenskonflikt besteht, ist augenscheinlich.

«direkt»: Demnach hat das bewusste Risikoverhalten des CS-Managements zum Untergang der Bank geführt?

Sergio Rossi: Die Frage nach der Arbeit des Managements ist bei diesem Debakel von zentraler Bedeutung. Die Manager hätten sich von der Doktrin des Gründers der CS, Alfred Escher, inspirieren lassen sollen. Seiner Ansicht nach sollte eine Bank zur Wertschöpfung beitragen, indem sie die inländische Wirtschaft fördert, anstatt auf den internationalen Finanzmärkten zu spekulieren.

Die Gewinnmaximierung auf den deregulierten Finanzmärkten folgte jedoch keiner solchen Logik. Dies führt zu finanzieller Fragilität, ja Instabilität. So kommt es zu Spekulationsblasen, die irgendwann platzen – wie jetzt bei der Credit Suisse.

Es müssen unbedingt vernünftige und einhaltbare Regulierungen eingeführt werden, um die Risiken für das gesamte Wirtschaftssystem zu verringern.<span class="su-quote-cite">Sergio Rossi</span>

«direkt»: Nach 2008 hat die Linke mehrere Massnahmen vorgeschlagen, um zu verhindern, dass sich ein solches Debakel wiederholt. Was halten Sie von Vorschlägen wie dem Trennbankensystem oder einem Boni-Verbot?

Sergio Rossi: Es braucht eine Trennung der verschiedenen Geschäftsbeichen. Das risikohafte Geschäft des Investmentbankings muss vom «Kerngeschäft» einer Bank getrennt werden. Das Kerngeschäft einer Bank umfasst beispielsweise die Vergabe von Krediten an Haushalte oder Unternehmen sowie die Verwaltung von Kund:innengeldern.

Ausserdem sollte eine Grenze für die Bilanzgrösse der Banken eingeführt werden. Mit einer Gesamtsumme von rund 1600 Milliarden Franken ist die Bilanz der UBS nach der Übernahme der CS gigantisch. Sie entspricht dem Doppelten des Bruttoinlandprodukts der Schweiz im Jahr 2022. Ganz zu schweigen von den Vermögenswerten, welche die neue Bank verwalten wird: Diese belaufen sich insgesamt auf fast fünf Billionen. Deshalb müssen unbedingt vernünftige und einhaltbare Regulierungen eingeführt werden, um die Risiken für das gesamte Wirtschaftssystem zu verringern!

 

1 Kommentar

  1. Man wollte die Risiken nicht erkennen. Sie wurden ausgeblendet. Ich habe kein Mitleid für die Aktionäre. Selber schuld. Aktien bedeuten auch immer Risiko. Nach dem Motto: Gewinne privat – Verluste dem Staat.

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