Im 2023 stehen der Schweiz einige grosse politische Herausforderungen bevor. Anlässlich der kantonalen Wahlen in Zürich, hat Sotomo im Auftrag von Tamedia die grössten Sorgen der Zürcher:innen erfragt. Wir zeigen, was die Bevölkerung beschäftigt und was sie 2023 in diesen Bereichen unter anderem erwartet.
1 Kampf gegen Klimakrise
Die Tamedia-Umfrage zeigt: die Klimakrise wird in Zürich als grösste Herausforderung wahrgenommen. Hier dürfte es einiges zu reden geben in diesem Jahr. Mit dem breit getragenen Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative hat das Parlament zusammen mit der damals zuständigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga in der letzten Herbstsession einen historischen Schritt für den Klimaschutz und die Versorgungssicherheit verabschiedet. Der Kompromissvorschlag macht rasch wirksame Massnahmen gegen die Klimakrise möglich. Die SVP hat das Referendum gegen das Gesetz ergriffen.
Eine Verzögerung oder vielleicht gar Verhinderung des Gesetzes durch das SVP-Referendum bekommt durch die aktuelle geopolitische Lage eine zusätzliche Dimension. Noch nie war die Abhängigkeit von Gas- und Öllieferungen von Despotien so offensichtlich. In der Schweiz ist die Versorgungssicherheit so stark in Gefahr wie kaum je zuvor. Nur schnelle Massnahmen im Inland können dieses Problem lösen.
Die SVP erhielt nach der Lancierung des Referendums viel Kritik. Unter anderem dafür, dass ihr offenbar Wahlkampfthemen sowie ihre Nähe zu Russland und der Öl- und Gas-Industrie wichtiger sind als der Klimaschutz oder die Souveränität bei der Stromversorgung in der Schweiz. Die Stimmbevölkerung wird voraussichtlich im Juni über das Klimaschutz-Gesetz befinden.
2 Steigende Preise, sinkende Kaufkraft
Krankenkassenprämien und Wohnungspreise rangieren weit oben in der Sorgenliste der Tamedia-Befragung. Die Höhe der Miete nimmt dabei von allen Themen am stärksten an Relevanz zu. Das erstaunt kaum, denn Mieter:innen müssen sich warm anziehen.
Nachdem Mieter:innen in der Schweiz bereits über die letzten 15 Jahre aufgrund illegal hoher Mieten 10 Milliarden Franken zu viel bezahlt haben, müssen sie 2023 mit einem weiteren rasanten Anstieg der Mieten rechnen. Expert:innen gehen von Mietzinserhöhungen zwischen 3,5 und 4 Prozent aus, je nach Region sogar von bis zu 6 Prozent. Während in Spanien eine Mietpreisbremse die Kaufkraft schützen soll, bleiben ähnliche Massnahmen in der Schweiz bisher aus.
Dauerbrenner im Sorgenbarometer sind die hohen Krankenkassenprämien. Hier deckt sich die Tamedia-Umfrage mit einer repräsentativen Studie von «santésuisse». Laut dieser sieht die Schweizer Bevölkerung den mit Abstand grössten politischen Handlungsbedarf bei den Krankenkassenprämien. Diese sind in diesem Jahr im Schnitt um 6,6 Prozent gestiegen.
Wer in der Schweiz mit einem tiefen Einkommen auskommen muss, erhält oft eine individuelle Prämienverbilligung. Doch diese variiert von Kanton zu Kanton und ist oftmals zu knapp bemessen. Eine Vereinheitlichung und Ausweitung dieser Prämienverbilligung erhält derzeit in der Bevölkerung viel Unterstützung. Rund zwei Drittel der von «santésuisse» Befragten spricht sich dafür aus, dass die Beiträge erhöht, auf mehr Menschen ausgeweitet und vereinheitlicht werden sollen. Die Mehrheit der Politiker:innen im Bundeshaus zeigt sich davon unbeeindruckt. In der Wintersession weigerte sich der Ständerat, den Gegenvorschlag zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP zu diskutieren. Eine kurzfristige Erhöhung der Prämienverbilligungen lehnte er ebenfalls ab. Damit politisiert der Rat an den Anliegen der Bevölkerung vorbei. Dies könnte die Chancen der hängigen SP-Initiative deutlich steigern. Die Initiative verlangt, dass keine versicherte Person mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben muss.
3 Gleichstellung und Rentensystem
Leicht weniger sorgenvoll blicken die Zürcher:innen laut Tamedia auf die Gleichstellung und die Altersvorsorge. Dennoch dürfte gerade letzteres in diesem Jahr zu reden geben: Die geplante und lange angekündigte Reform der Pensionskassen droht in einem Scherbenhaufen zu enden.
Ursprünglich lag mit dem sogenannten Sozialpartner-Kompromiss eine Vorlage auf dem Tisch, die für alle Verbesserungen gebracht hätte. Eine Mehrheit der kleinen Kammer will nun eine Vorlage, die nicht wie versprochen zu höheren Frauenrenten führt, sondern Rentensenkungen bringt. Zusätzlich sollen die Netto-Einkommen sinken. Die SP hat bereits angekündigt, dass sie ein Referendum prüft, sollte der Nationalrat die Vorlage nicht korrigieren. Bei einer Volksabstimmung dürfte die BVG-Reform einen schweren Stand haben.
Ausserdem ist für den 14. Juni 2023 ein weiterer feministischer Streik angekündigt. Wie schon 1991 und 2019 wollen Frauen auch im 2023 gemeinsam für ihre Rechte auf die Strasse gehen. Die Forderungen wurden an einer ersten Sitzung bereits diskutiert. Dabei ging es unter anderem um die Altersvorsorge, Gesundheit, Bildung, unbezahlte Care-Arbeit, Erwerbsarbeit, geschlechtsspezifische Gewalt und Mehrfachdiskriminierungen. Hunderttausende Frauen und solidarische Männer werden in der ganzen Schweiz erwartet.