«Service Citoyen»: Initiative für unsozialen Bürgerdienst eingereicht

Die Volksinitiative für einen obligatorischen Bürger:innendienst – auch «Service Citoyen» genannt – wurde diese Woche eingereicht. Was auf den ersten Blick sympathisch wirkt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als unsozial: «direkt» zeigt auf, warum die Initiative zu Lohndumping führt und allenfalls sogar gegen den UN-Menschenrechtspakt verstösst. Pikant: Die Initiative konnte nur dank massiven Ausgaben für bezahltes Unterschriftensammeln zustande gebracht werden.

Foto: Keystone (Christian Beutler)

Der Verein «Service Citoyen» hat diese Woche über 107’000 Unterschriften für die Volksinitiative für einen obligatorischen Bürgerinnendienst eingereicht. Die Initiative fordert, dass jede:r Bürger:in mindestens einmal im Leben einen Dienst zugunsten von Gesellschaft und Umwelt leistet. Konkret würde dies bedeuten, dass alle Schweizer:innen Militärdienst oder einen gleichwertigen Milizdienst leisten müssten. Der Dienst müsste gemäss den Initiant:innen so ausgestaltet sein, dass der Sollbestand der Armee garantiert bleibt.

Unbezahlte Care-Arbeit wird nicht anerkannt

Der Vorschlag klingt eigentlich nicht unsympathisch: Anstelle der obligatorischen Männer-Wehrpflicht wird ein Dienst eingeführt, der allen Geschlechtern offensteht und an den sich verschiedene Formen des «Miliz-Engagements» anrechnen lassen. Bei genauem Hinsehen wird aber schnell klar: Ein solcher Dienst würde nicht zu mehr Gleichstellung beitragen. Bereits heute leisten Frauen den Löwinnenanteil der unbezahlten Care-Arbeit und somit einen wichtigen «Dienst an der Gesellschaft». Nur wird dieser nicht als solcher anerkannt. Deshalb setzten sich feministische Parteien wie die SP dafür ein, dass diese Care-Arbeit endlich den Stellenwert erhält, den sie verdient. Die Idee des «Service Citoyen» greift diese Leistungen jedoch an, anstatt sie zu stärken.

Dazu kommt: Mit einem solchen Dienst würden Tausende von tendenziell schlecht bezahlten Zwangsjobs in Bildungsinstitutionen oder im Pflegebereich geschaffen. Echte Investitionen, faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen in diesen zentralen Bereichen unserer Gesellschaft blieben auf der Strecke. Denn mit der Initiative würde die Zahl der Stellungspflichtigen mehr als verdoppelt. Weshalb sollte eine Spitaldirektorin einen Pfleger für 7’000 Franken anstellen, wenn es auch Zwangspersonal aus dem Bürger:innendienst-Pool für die Arbeit am Krankenbett gibt?

Zwangsarbeit für alle

Ein Zwangsdienst würde – wie die Männer-Wehrpflicht auch – die Menschen einschränken und verpflichten, «freiwillig» Care-Tätigkeiten zu übernehmen. Eine allgemeine Dienstpflicht ist kein Anreizsystem für «mehr gegenseitige Hilfe und Solidarität», wie die Argumentation für einen Service Citoyen glauben macht, sondern das Gegenteil davon. Denn ein obligatorischer Milizdienst hätte fatale Auswirkungen auf andere Freiwilligen-Einsätze, die viele junge Menschen bereits heute leisten. Was würde überhaupt als «Milizarbeit» gelten, die dem Bürger:innendienst anzurechnen wäre? Diese Definition müsste bei einer Annahme das bürgerliche Parlament übernehmen. Es ist davon auszugehen, dass weder das Engagement bei der Klimajugend noch die regelmässige Organisation des 1.-Mai-Festes vor Ort dann zur anrechenbaren Milizarbeit zählen würden.

Gegen UN-Menschenrechtspakt?

Fraglich ist, ob ein obligatorischer Dienst für Bürger:innen nicht auch dem Zwangsarbeitsverbot des UN-Menschrechtspakts widerspricht. Dieses lautet wie folgt: «Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.» Eine Ausnahme davon bildet bis heute der Militärdienst, wobei das Angebot eines zivilen Ersatzdienstes zum Militärdienst Pflicht ist. Doch ein Bürger:innendienst, wie ihn die Volksinitiative vorsieht, ist kein ziviler Ersatzdienst zur Wehrpflicht. Er zwingt vielmehr jedes Jahr um die 80’000 junge Menschen, zu tendenziell tiefen Löhnen und an teilweise sicherlich fragwürdigen Einsatzstellen einen «Dienst an der Allgemeinheit» zu leisten. Der emeritierte Völkerrechtsprofessor Rainer J. Schweizer liess sich denn auch folgendermassen zitieren: «Mit einem Bürgerdienst Lücken füllen zu wollen in Bereichen, in denen Manpower fehlt, da habe ich Bedenken.» Diese Bedenken müssen ernst genommen haben – und sie könnten auch juristische Folgen haben.

7 Kommentare

  1. Die sogenannt „unbezahlten Care-Arbeit“ gibt es praktisch gar nicht! In einer Beziehung, in der ein Partner sich um Kinder / Eltern / etc. kümmert, gehört das Einkommen beider Partner allen und wird halbe halbe aufgeteilt. Die Care-Arbeit ist also bezahlt!

  2. Der Titel dieses Artikels ist wenig reflektiert. Wieso sollte es unsozial sein, wenn alle Bürger:innen solidarisch einen Dienst für die Allgemeinheit leisten? Aus linker Optik ist es ausserdem wesentlich wünschenswerter, dass ein Teil der steigenden Gesundheitskosten durch einen mit Steuergeldern finanzierten Bürgerdienst abgefedert wird, anstatt über die tatsächlich unsozialen Kopfprämien.

  3. Sollte Ihre Aussage „Eine Ausnahme davon bildet bis heute der Militärdienst, wobei das Angebot eines zivilen Ersatzdienstes zum Militärdienst Pflicht ist.“ wirklich stimmen, wäre der Zivilschutz gesetzeswidrig… Ich wäre dagegen mit der Initiative sogar weiter gegangen: „Jede Bürgerin und jeder Bürger soll eine bestimmte Anzahl Dienst für die Gemeinschaft leisten. Und zwar in allen Organisationen, die für die Sicherheit und das Funktionieren der Gemeinschaft nötig sind. Die Dienstdauer beträgt insgesamt 300 Tage und ist – je nach Organisation – auf unterschiedliche Dienstjahre zu verteilen.“ Zu diesen Organisationen gehören aus meiner Sicht z. B. (nicht abschliessend): Armee, Katastrophenschutz (heutige Zivilschutz- und Ziviildienstleistende), Feuerwehr, Alpine Rettung, REDOC, Seerettungsdienst, Samaritervereine, u.s.w., die bisher mit freiwilligen Helfern funktioniert haben.

  4. Dann müsste die heutige (ebenfalls sexistische) Schutzdienstpflicht wohl auch gegen jenes UN-Zwangsarbeitsverbot verstossen, oder?
    Alternativ müsste halt die Militärdienstpflicht auf alle ausgeweitet werden (eine Armeeabschaffung ist ja erwiesenermassen für etwa 3/4 der Stimmberechtigten kein Thema). Wärt ihr dann da dafür? Oder wenigstens Ersatzabgabepflicht für alle, die nicht Militärdienst leisten?

    Und ist es nicht ebenfalls praktisch und ökonomisch das Gleiche wie Zwangsarbeit, wenn mensch unter Zwang für gewisse staatliche oder staatlich vorgeschriebene Tätigkeiten und Ausgaben bezahlen muss, die mensch ablehnt oder nie selbst nutzen können wird (z. B.: Abtreibungen; Mutterschaftsversicherung; Mutterschafts-/Vaterschaftsurlaub; die zig Kindersubventionen; Gleischstellungsbüros, die selten etwas pro-Mann* machen; Serafe-Zwangsgebühren; Kulturförderung; Sportförderung etc.)?
    Oder nennt ihr das dann Solidarität? Dann frage ich mich: Wo ist eure Solidarität mit denen, die für euch schon heute Zwangsdienst leisten und im Kriegsfall ihren Kopf für euch hinhalten müssen?

    Hand aufs Herz und Hosen runter, liebe Frauen* und Feminist*innen: Nun müsst ihr endlich zeigen, ob es euch jeweils um Gleichberechtigung ging und geht, oder ob ihr nur euch selbst/Frauen* besserstellen und mehr Macht geben wollt(et).

    PS: Wär cool, wenn ihr wenigstens dieses Mal meinen kritischen Kommentar aufschaltet.

  5. Ich (w) bin grundsätzlich dafür das Geschlecht vor dem Staat keine Rolle spielen sollte. Gleiche Regeln für alle. Wehrpflicht, Rentenalter sollte für alle gleich sein. Dann will ich aber auch nicht den Frauenobolus bei der Krankenkasse zahlen! Und Verhütungsmittel müssen vom der Krankenkasse übernommen werden. Vor allem wenn wir hoffentlich bald eine staatliche Krankenkasse haben. Und Tampons/Binden sollten gratis sein.

  6. Zuerst ‚mal Dienstpflicht für alle, dann können wir über solche Details reden.Und Männer* zahlen übrigens höhere Versicherungsgebühren z. B. bei der Autoversicherung, ebenfalls weil sie statistisch gesehen im Schnitt grössere Risiken bedeuten…

    Schon ‚mal daran gedacht, dass Frauen* mit rund vier Jahre längerer Lebenserwartung (alles davon AHV-Jahre, die – Stand heute – hauptsächlich von Männern* bezahlt werden) villeicht nicht schlecht bedient sind, wenn sie etwas mehr KK-Prämeien bezahlen müssen, weil sie mehr Kosten verursachen?
    Schon dass Abtreibungen von der KK bezahlt werden, ist eine Benachteiligung der Männer*: Nicht nur, dass diese selbst keine beziehen können, sondern ihnen kann gegen ihren Willen ein Kind angehängt werden, obwohl sie für die Abtreibungen anderer mitzahlen müssen – und dadurch kann der Mann* dann schön 18–25 Jahre lang blechen. Männer* haben in diesem Land nur eine zweitklassige Selbstbestimmung und nur sehr eingeschränkt Möglichkeiten in und fast keine Rechte bei Familienplanung – abgesehen vom Militärzwang: der unfreiwilligen Aufopferung des eigenen Lebens für die Frauen*, die keinen Dienst leisten.Aber darüber können wir dann zu gegebenem Zeitpunkt gerne diskutieren.

    Gratis Verhütungsmittel und Hygieneprodukte sind v. a. feministischer Un-/Eigensinn: Ersteres hat nichts mit de Geschlecht zu tun bzw. selbst schuld, wenn die Frau alles alleine zahlt! Und letzteres sind irrelvant kleine Beträge und ausserdem die Büchse der Pandorra: Männer haben im Schnitt übrigens einen deutlich höheren Nahrungsbedarf, was über das Jahr bestimmt mehr ausmacht. Und Frauen mögen’s lieber wärmer: also Heizkostenzuschlag.

  7. Da werden querbeet so viele verschiedene, meist abwegige Argumente gegen die spannende Idee eines “Service Citoyen“ vorgebracht, dass man sich unwillkürlich fragt, was denn wohl die wahren Gründe für diese vehemente Ablehnung sind?

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