Asti Roesle: «Durch den Schweizer Finanzsektor haben wir einen Hebel mit grossen globalen Auswirkungen.»

In ihrer ersten Kolumne für «direkt» befasst sich die Klimaaktivistin Asti Roesle, die sich bei der Klima-Allianz Schweiz auf die Themen Klima und Finanzsektor spezialisiert hat, mit Fragen rund um die Schweizer Wahlresultate und deren Auswirkungen auf die Klimapolitik. Sie kommt zum Schluss: Klima- und Biodiversitätsschutz müssen entpolitisiert werden.

Bild: zvg

Wie haben Sie den vergangenen Wahlsonntag verbracht? Haben Sie tagsüber die Liveticker verfolgt oder einfach gegen Abend oder am nächsten Morgen mal daran gedacht, die Resultate zu checken? Ich werde den Tag nicht so schnell vergessen. Ich war in der deutschen Stadt Wuppertal, um eine fünfstündige Premierenaufführung der Oper Tristan und Isolde zu besuchen, bei welcher ein alter Freund Video- und Regiearbeit beisteuerte.

Doch die Politik liess Tristan und Isoldes Schicksal verblassen. Meine brennende Frage, was die Wahlresultate nun für den Schweizer Beitrag zum globalen Klimaschutz in den nächsten vier Jahren bedeuten, verdrängte während der Pausengespräche mit einem Schweizer Grüppchen den Opern-Plot.

Die Zeit drängt

Laut der Wissenschaft müssten wir die Treibhausgasemissionen bis 2030 auf Netto-Null bringen, um gefährliche Kipppunkte zu vermeiden. Die Zeit drängt extrem, während unsere politischen Mühlen sehr langsam laufen. Laut dem im letzten November erschienenen Sorgenbarometer 2022 der ehemaligen Credit Suisse ist das Thema Umwelt/Klimawandel die Top-Sorge in der Schweiz, gefolgt von den Themen AHV/Altersvorsorge und Energie. Zu Recht! Jedes Jahr zeigt uns düstere neue Hitze- und Überschwemmungsrekorde.

Haben Sie im Juni mitgekriegt, dass die arktische Eisschmelzprognose korrigiert werden musste, und dass die Arktis nun schon um 2030 herum im Sommer eisfrei sein wird? Diese Nachricht ist höchst alarmierend. Das ist genau einer dieser unheimlichen Kipppunkte. Ebenfalls im Juni dieses Jahres brach die Spitze des Piz Fengas auf der Grenze zwischen dem Unterengadin und Österreich ab. Ein Bergsteigerfreund von mir, mit dem ich vor 15 Jahren auf diesem Gipfel stand, war im März noch oben und entsprechend schockiert ab diesen News.

Aber warum führen all diese deutlichen Zeichen nicht zu wirksamen politischen Massnahmen?

«Finanzflüsse können die herrschenden Missstände verursachen oder verstärken. Sie könnten aber auch Lösungen finanzieren und die Transition ermöglichen.»

So braucht es zum Beispiel dringend Anpassungen in der Regulierung der Finanzmärkte. Ich bin sehr überzeugt, dass wir durch den Schweizer Finanzsektor einen Hebel mit grossen globalen Auswirkungen haben. Finanzflüsse können die herrschenden Missstände verursachen oder verstärken. Sie könnten aber auch Lösungen finanzieren  und die Transition ermöglichen. Eigentlich müsste das Argument, dass es ohne stabiles Klima auch keine Finanzstabilität mehr geben wird, die meisten Menschen im Finanzsektor überzeugen und zum Handeln veranlassen.

Warum erreichen wir nicht genügend Menschen in Bevölkerung und Politik mit der Erkenntnis, dass es Lösungen gibt, welche jetzt dringend angepackt werden müssten, da uns die Zeit für Massnahmen davonrennt?

Fragen über Fragen. Statt ausführlicher Antworten kann ich hier nur ein paar Gedanken dazu liefern, was es meiner Meinung nach dringend braucht.

Alle müssen Beitrag leisten

Es fängt mit den Mindsets der Individuen an. Wir brauchen Wähler:innen, Entscheidungsträger:innen, CEOs, Parlament- und Regierungsmitglieder, Rechtsvertreter:innen und Politiker:innen jeglicher Couleur, die das Thema Nr. 1 im Sorgenbarometer 2022 ernst nehmen. Sie müssen bereit sein, über ihre Schatten zu springen und aufzuzeigen, dass man in jeglichen Funktionen, auf verschiedene Weisen, seinen Beitrag zum Klima- und Biodiversitätsschutz leisten kann.

Ein gutes Beispiel dafür liefern die Entscheidungsträger unserer Nationalbank. Die SNB hat eine von Politik und Regierung unangetastete Macht und auch den Handlungsspielraum in ihrem Mandat zur Gewährleistung der Geld- und Finanzstabilität. Anstatt ihren Spielraum zu nutzen, argumentieren die Verantwortlichen, dass sie im Rahmen ihrer Aufgaben keine Klima- und Biodiversitätspolitik betreiben dürften. Man sei ebenfalls besorgt, aber warte auf die Politik. Die Politiker:innen wiederum argumentieren, dass die Unabhängigkeit der SNB nicht angetastet werden dürfe. Resultat: Wir kommen nicht vom Fleck.

«Ich denke, einer der grundsätzlichen Lösungsansätze wäre es, Klima- und Biodiversitätsschutz zu entpolitisieren. Klimaerhitzung und Biodiversitätsverlust dürften keine Frage der politischen Einstellung mehr sein – es geht schlicht um das Überleben zukünftiger Generationen.»

Weiter geht es mit den Parteiprogrammen: Angesichts der Dringlichkeit sind nun auch sämtliche bürgerlichen Vertreter:innen gefordert. Anstatt Klima- und Biodiversitätsschutz in die Ecke des grün-linken Lagers zu schieben und zu bekämpfen, könnten sie sich frisch überlegen, was in ihren Parteiprogrammen drin liegen könnte. Bäuerinnen und Bauern, Menschen auf dem Land und in den Städten wie auch in Bergregionen – alle werden die Auswirkungen der Klimaerhitzung und des Biodiversitätsverlusts immer stärker zu spüren bekommen.

Keine Frage der politischen Position

Ich denke, einer der grundsätzlichen Lösungsansätze wäre es, Klima- und Biodiversitätsschutz zu entpolitisieren. Klimaerhitzung und Biodiversitätsverlust dürften keine Frage der politischen Einstellung mehr sein – es geht schlicht um das Überleben zukünftiger Generationen.

Aber wie soll diese Entpolitisierung funktionieren, wenn Parteien wie die SVP den Anti-Klimaschutz in ihre Parteiprogramme aufnehmen? Dazu nehme ich gerne Lösungsvorschläge entgegen. Auch wäre ich bereit für konstruktives Brainstorming mit SVP-Vertreter:innen, wie diese Klima- und Biodiversitätsschutz in ihr Parteiprogramm aufnehmen könnten. Überlässt dieses Feld nicht nur den links-grünen Parteien!

 


Asti Roesle ist Koordinatorin bei der Klima Allianz Schweiz zum Thema Finanzsektor und Klima. Die ausgebildete Forstingenieurin und Juristin ist seit über 20 Jahren Klimaaktivistin und arbeitete während 14 Jahren in internationalen Umweltprojekten bei Greenpeace.

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin. 

 

 

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