Rudolf Strahm: «Die stumpfen Waffen der Bankenaufsicht sind politisch gewollt.»

Nach dem Crash der Credit Suisse hagelte es Kritik an der Finanzmarktaufsicht. Der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm erklärt, wie es zum Bashing gegen die Finma kam.

Foto von Rudolf Strahm
Foto: A. Boutellier

Wir erinnern uns alle an das Horror-Wochenende vom März 2023: In nur drei Tagen wurde die zweitgrösste Schweizer Grossbank Credit Suisse in die Monsterbank UBS zwangsintegriert. Heute existiert die CS nicht mehr.

Wer ist schuld an diesem Debakel? Alle prügelten in nachträglich-wohlfeiler Besserwisserei die CS-Oberen. Noch kurz zuvor hatten die meisten Journalistinnen und Journalisten ihnen noch devot gehuldigt.

In diesen Jahren hat die Finma 108 Kontrollen bei der CS vor Ort durchgeführt. Dabei bemängelte sie sage und schreibe 382 Regelverletzungen!

Aber viele Publizistinnen und Publizisten machten auch die Finanzmarktaufsicht Finma für das CS-Debakel mitverantwortlich. Es gab geradezu ein «Finma-Bashing», wie der Basler Finanzprofessor Ivan Lengwiler später bemerkte.

Vergangenen Dezember brach die Finma nun ihr Schweigen. In einem 90-seitigen Bericht «Lessons learned aus der CS-Krise» legt sie akribisch ihre mühsame und letztlich unergiebige Aufsichtsarbeit dar.

Alarmierende Kontrollen

Klar wird darin: Die Finma war nicht untätig. Seit 2012 hatte die Behörde 43 Vorabklärungen für sogenannte Enforcement-Verfahren (Zwangsmassnahmen) gegen die CS durchgeführt. Wegen Regelverletzungen oder kriminellen Handlungen hat sie neun Rügen ausgesprochen, 16 Strafanzeigen erstattet und 14 Zwangsmassnahmen verfügt – die meisten davon in den letzten Jahren vor dem voraussehbaren Kollaps.

In diesen Jahren hat die Finma 108 Kontrollen bei der CS vor Ort durchgeführt. Dabei bemängelte sie sage und schreibe 382 Regelverletzungen! Sie hat übrigens informell auch die Nationalbank über deren genuine Pflichten zur Prävention von Insolvenzen (sog. Public Liquidity Backstop) angemahnt, die erst jetzt, nach dem Debakel, eingerichtet wird.

Warum konnte die Finma nichts ausrichten und den voraussehbaren Absturz nicht verhindern? Der bekannte Wirtschaftsanwalt Peter Nobel in Zürich – ein ehemaliger Juso-Präsident – bezeichnete den Durchsetzungsmangel der Finma als «Zugriffsangst im Governance-Bereich». Im Klartext heisst dies: Die Finma konnte die obersten CS-Verantwortlichen nicht belangen, geschweige denn von ihren Posten entfernen.

Alle diese Mängel der Finma-Gesetzgebung waren politisch gewollt. Das Finanzmarktaufsichtsgesetz von 2007 basierte auf dem neoliberalen, staatskritischen Geist der 1990er-Jahre. Man wollte keinen starken staatlichen Bank-Überwacher.

Die Finma hat von Gesetzes wegen keine Kompetenz, selbst Bussen auszusprechen. Sie kann zwar die «Gewähr für einwandfreie Geschäftsführung» entziehen, aber muss dies diskret abwickeln und darf nichts veröffentlichen. Sie hat keine Handhabe, die obersten Bankverantwortlichen konkret für krumme Touren namentlich zu identifizieren. Denn die internen Bankreglemente delegieren die Verantwortung an untere Chargen oder die Compliance-Juristinnen (interne Rechtskontrolle), damit sich die eigentlich Verantwortlichen in den oberen Etagen aus der Verantwortung stehlen können.

Alle diese Mängel der Finma-Gesetzgebung waren politisch gewollt. Das Finanzmarktaufsichtsgesetz von 2007, entworfen vom ehemaligen Rechtsprofessor und SVP-Ständerat Ulrich Zimmerli, basierte auf dem neoliberalen, staatskritischen Geist der 1990er-Jahre. Man wollte keinen starken staatlichen Bank-Überwacher. Die späteren Revisionen brachten zwar punktuelle Verbesserungen, aber «der freiheitliche Geist» des Gesetzes, wie er von den Liberalen und Libertären gerühmt wurde, blieb in der Grundkonstellation erhalten.

Die Bankenlobby im Bundeshaus

Das ist allerdings erst ein Teil der Geschichte. Der andere, versteckte Teil war das ständige Bashing gegen die Aufsicht seitens der Banken und ihrer parlamentarischen Wasserträger.

Mit der expliziten Forderung nach «einer effektiven Gewährleistung der politischen Steuerung und Kontrolle der Finma» wollte er bewirken, dass der Bundesrat, die Finma kontrollieren kann.

Der Glarner BDP-Nationalrat Martin Landolt, der früher als Berater der UBS gewirkt hatte, lancierte 2017 eine Motion gegen die Finma für eine «klare Verantwortlichkeit zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht». Mit der expliziten Forderung nach «einer effektiven Gewährleistung der politischen Steuerung und Kontrolle der Finma» wollte er bewirken, dass der Bundesrat, die Finma kontrollieren kann. Die Landesregierung unter Federführung des damaligen Finanzministers Ueli Maurer empfahl, zur allgemeinen Überraschung, Annahme der Motion. Dem folgte die bürgerliche Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Einzig die SP mit der damaligen Nationalrätin Susanne Leutenegger-Oberholzer opponierte. Diese Motion Landolt wurde übrigens auch vom SVP- Nationalrat Thomas Aeschi und vom freisinnigen Genfer Steueranwalt Christian Lüscher (und anderen) mitunterzeichnet.

2018 lancierte der Mitte-Ständerat Erich Ettlin eine neue Attacke gegen die Finma in Form einer Motion mit dem Titel «Die Finanzmarktaufsicht soll sich auf ihren Kernauftrag fokussieren». Die Prügel gegen die Finma erfolgte dann wohl in der Wirtschaftskommission und nach gewissen Zusicherungen durch den Bundesrat zog Ettlin schliesslich seine Motion zurück. Die Öffentlichkeit sollte vom Bashing nichts wissen.

All diese Nadelstiche taten ihre Wirkung. Dem damaligen starken Chef der Finma, Mark Branson, wurde vom Finanzdepartement ein politischer Aufpasser bei den Verhandlungen im Basler Ausschuss (internationale Banken-Regulierungsbehörde) zur Seite gestellt. Drahtzieher der Finma-Einschränkungen war der SIF-Staatssekretär (Staatssekretariat für internationale Finanzfragen) Jörg Gasser, der später als CEO zur Schweizerischen Bankier-Vereinigung nach Basel wechselte.

Die stumpfen Waffen der Bankenaufsicht sind politisch gewollt. Ihrer Durchsetzungsfähigkeit wurden so Fesseln angelegt.

Bundesrat Ueli Maurer traf sich zu jener Zeit monatlich zu einer Aussprache mit dem damaligen Präsidenten der Schweizerischen Bankiervereinigung, Herbert J. Scheidt.

Finma-Chef Branson warf 2021 entnervt das Handtuch. Heute ist er der starke Präsident der Bankenaufsicht BaFin in Deutschland.

Schwache Aufsicht ist gewollt

Die stumpfen Waffen der Bankenaufsicht sind politisch gewollt. Ihrer Durchsetzungsfähigkeit wurden so Fesseln angelegt. An sich wäre die Finma gegenüber dem Bundesrat «nicht weisungsgebunden», aber die subtilen Mechanismen über die einschlägigen Netzwerke durch Lobbying und Bashing gegen Behörden wie die Finma schaffen einen schwachen Staat. Die «Kollateralschäden» dieser gewollt schwachen Banken-Aufsicht waren der Absturz der UBS 2008 und der Kollaps der CS 2023. So lief es in der Banken-Schweiz vor 2008 und so läuft es auch heute noch.


Rudolf Strahm, war SP-Nationalrat, und eidgenössischer Preisüberwacher. Er wirkte vier Jahre als Präsident des bernischen und 13 Jahre als Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (Deutschschweiz).

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung des Autors.


 

 

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