Rudolf Strahm: «8,1 Milliarden Franken versickern jährlich in der zweiten Säule.»

In seiner dritten Kolumne bei «direkt» befasst sich der ehemalige Preisüberwacher und SP-Nationalrat Rudolf Strahm mit der verunglückten Pensionskassen-Vorlage und erklärt, wo der Reformbedarf bei der zweiten Säule tatsächlich besteht.

Foto von Rudolf Strahm
Foto: A. Boutellier

«Die Jungen zahlen für die Alten.» So lautet das Mantra bei den bürgerlichen Parteien, bei den Pensionskassen und in der Banken- und Versicherungswelt. Mit Milliarden würden demnach die Jungen die Renten der Alten jedes Jahr mitfinanzieren. Damit wollen die genannten Akteure die Senkung des Umwandlungssatzes der Pensionskassenguthaben rechtfertigen. Nächstes Jahr stimmen wir über eine entsprechende Vorlage zum BVG ab.

Mit dem Umwandlungssatz berechnet man die Höhe der jährlichen Rente, ausgehend vom angesparten Vermögen. Ist der Umwandlungssatz tiefer, wird weniger Rente ausbezahlt.

Umverteilung in die andere Richtung

Die Finanzierung der Renten in der zweiten Säule läuft heute allerdings anders. Die Umverteilung von jung zu alt existiert so nicht mehr. Denn mit der höheren Verzinsung (nach einer Periode mit Negativzinsen) hat sich die Umverteilung umgedreht. 2022 wurde erstmals wieder leicht von alt zu jung umverteilt – nicht umgekehrt. Dies zeigen die umfangreichen Jahresberichte zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen der «Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge» des Bundes (OAK BV):


Jahr                                 Umverteilung von Versicherten zu Rentner/innen

2017                                 6,6 Milliarden Franken (Umverteilung von jung zu alt)

2018                                 5,1 Milliarden Franken

2019                                 7,2 Milliarden Franken

2020                                 4,4 Milliarden Franken

2021                                 0,2 Milliarden Franken

2022                                 – 0,2 Milliarden Franken (Umverteilung von alt zu jung)


Die kalkulatorische Umverteilung von jung zu alt hat sich der Gesamtheit aller Pensionskassen also umgekehrt. Doch wie ist dies zu erklären?

Junge BVG-Versicherte mit 30 Jahren haben im Schnitt einige zehntausend Franken Vorsorgegelder angespart, während es bei ältere Personen in der Regel einige hunderttausend Franken sind. Als die Zinsen tief waren – die Nationalbank wandte für Pensionskassen sogar Negativzinsen an – mussten die ausbezahlten Renten aus dem gesamten Kapitalstock ausgeglichen werden. Sprich: Auch die Jungen zahlten mit. Heute, nach dem Anstieg der Zinsen, errechnet die OAK für das Jahr 2022 aber wieder eine leichte Umverteilung von alt zu jung.

Die frühere Umverteilung von fünf bis sieben Milliarden Franken pro Jahr zugunsten der Rentenbezüger/innen war das Hauptargument für die Senkung des Umwandlungssatzes im obligatorischen Bereich (d.h. für Löhne zwischen 22’050 und 88’200 Franken jährlich).

Verschleierung der Fakten

Die bürgerlichen Kämpfer schweigen zu diesem Umstand in allen Landessprachen – und die Schlauen tricksen nun auch noch mit Mehrjahres-Durchschnitten: Letztes Jahr, so rechnen sie vor, habe die Umverteilung zulasten der Jungen im «Fünf-Jahres-Durchschnitt» 3,3 Milliarden betragen, im Jahr zuvor sogar 4,7 Milliarden. Es wird spannend sein, wie sich die Befürworter/innen der verunglückten Pensionskassen-Vorlage im Abstimmungskampf aus der Affäre ziehen wollen.

Acht Milliarden Sickerkosten sind zu hoch

Reformbedarf gibt es bei den Pensionskassen auf jeden Fall. Doch das Problem ist nicht der Umwandlungssatz – wie es die aktuelle Vorlage vorgibt – sondern bei den Sickerkosten der Vermögensverwaltung und bei der mangelnden Rentenbildung der Teilzeitarbeitenden.

Ursprünglich war die zweite Säule als Sozialversicherung mit gemeinnützigen, nicht gewinnorientierten Stiftungen konzipiert – ergänzt mit einem separaten, staatlich überwachten Schalter für Sammelstiftungen bei privaten Lebensversicherungen. Doch durch die Anlagepraxis für über eine Billion Kapitalfranken wurde die zweite Säule zu einem praktisch unkontrollierten Riesengeschäft für eine rührige Szene von Anlageberaterinnen und Vermögensverwaltern sowie für Banken und Fonds des privaten Kapitalmarkts.

Reformbedarf gibt es bei den Pensionskassen auf jeden Fall. Doch das Problem ist nicht der Umwandlungssatz – wie es die aktuelle Vorlage vorgibt – sondern bei den Sickerkosten der Vermögensverwaltung und bei der mangelnden Rentenbildung der Teilzeitarbeitenden.

Die Studien- und Beratungsfirma c-alm hat im Auftrag der OAK BV die Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten für alle BVG-Einrichtungen erhoben und addiert. Die folgenden Zahlen für 2021 sind mit jenen der c-alm aufgerechnet und können als sicher und belastbar gelten.

  • Die Verwaltungskosten der rund 1400 BVG-Einrichtungen beliefen sich auf 981 Millionen Franken.
  • Die gesamten Vermögensverwaltungskosten beliefen sich auf 6,457 Milliarden Franken, wobei die Differenzen zwischen den einzelnen Kassen enorm sind.
  • Die sogenannten Kostenprämien, die einzelne Kassen für die Verwaltung der beruflichen Vorsorgegelder an Lebensversicherer zahlen, betragen weitere 708 Millionen Franken.

Zusammengezählt sind 2021 also total 8,15 Milliarden Franken in der Verwaltung und Vermögensverwaltung aller BVG-Einrichtungen versickert. Im Durchschnitt sind dies 0,62 Prozent der gesamten Anlagesumme – oder 1420 Franken jährlich pro versicherte Person.

Diese jährlich verschwindenden Sickerkosten entsprechen fast jedem fünften Franken der jährlich ausbezahlten Renten- und Kapitalleistungen.

Ich habe nie gefordert, man müsse die Vermögensverwaltungskosten deckeln. Aber es braucht endlich Transparenz, wofür wieviel von unseren Pensionskassengeldern ausgegeben wird! Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat seit Jahren – trotz wiederholter Aufforderung – die entsprechende Weisung versäumt, dass das Bundesamt für Statistik (BFS), es gehört ja zum EDI, endlich die Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten für jede Kasse einzeln publiziert. Kassen mit hohen Kosten unterlägen damit einem Druck für preisgünstigere Anlagen.

Wenn die ungenügende Pensionskassen-Vorlage an der Urne scheitert, muss die Senkung der Einkommensschwelle zur Rentenbildung sofort wieder aufgenommen und diesmal ohne die Senkung des Umwandlungssatzes in Kraft gesetzt werden.

Und was ist mit den tiefen Einkommen?

Der unverzichtbare Teil der verunglückten Pensionskassen-Vorlage ist unbestrittenermassen die sehr deutliche Verbesserung der Rentenbildung bei den Tiefsteinkommen und den Teilzeitarbeitenden – dies aufgrund der tieferen Eintrittsschwelle. Diese Anpassung würde vor allem den Frauen nützen. Wenn die ungenügende Pensionskassen-Vorlage an der Urne scheitert, muss die Senkung der Einkommensschwelle zur Rentenbildung sofort wieder aufgenommen und diesmal ohne die Senkung des Umwandlungssatzes in Kraft gesetzt werden. Dies ist und bleibt der wahre Sanierungsbedarf in der zweiten Säule.


Rudolf Strahm, war SP-Nationalrat, und eidgenössischer Preisüberwacher. Er wirkte vier Jahre als Präsident des bernischen und 13 Jahre als Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (Deutschschweiz).

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung des Autors.


 

 

2 Kommentare

  1. Die 13. AHV-Rente ist finanzierbar, wenn die Mehrheit des Schweizervolkes im März 24 zustimmt. Dies ist genau so möglich wie die bürgerlich organisierten Parteien die Bankenregelung, die FINMA-Kompetenzen oder die Pensionskassenregelung zu ihren eigenen Interessen bzw. Gunsten möglichst schwach und ohne jegliche Kompetenzen in veralteten Gesetzen vor Jahren fest geschrieben und weiter hochhalten will. Eigennützige Schmutzfinanzierungen vor Volkswohl. Dies bei aktuell zunehmend engeren Budgets von zu vielen Menschen in unserer demokratisch organisierten Schweiz entspricht nicht meinem Staatsverständnis.
    Walter Holderegger, Spiez

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