Wer derzeit als politisch interessierter oder engagierter Mensch in den sozialen Medien unterwegs ist oder andere Medien konsumiert, erfasst das Gefühl, dass sich überall Gräben auftun. Menschen und Gruppen stehen sich scheinbar unvereinbar und unversöhnbar gegenüber, hacken erbarmungslos aufeinander herum – sei es zu Themen wie Nahost, zu Minderheitenanliegen und Geschlechterfragen, zu Migration oder Klima.
Wir werden nicht einfach Zeug:innen von Meinungsunterschieden, sondern von unverhohlener Verachtung. Die Art und Weise, wie viele Themen diskutiert werden, vertieft die Gräben. Das hat verschiedene Gründe: Erstens mischen in den sozialen Medien oft Menschen mit, die eine dezidierte Meinung haben und diese gern laut äussern. Zweitens erfordert die Social-Media-Logik, Themen zuzuspitzen und zu verkürzen. Drittens befeuert die Anonymität einen raueren und absoluteren Ton als im direkten Gespräch. Und viertens bekommen maximalistische Forderungen und Meinungen am meisten Aufmerksamkeit, weil die Algorithmen bevorzugt die polarisierendsten und wütendsten Positionen ausspielen.
Ein Stück weit ist es normal und wichtig, dass es zu verschiedenen Themen unterschiedliche Meinungen gibt und wir diese Konflikte in einer demokratischen Gesellschaft austragen. Fakt ist zudem, dass Menschen in einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft extrem ungleiche Ausgangslagen in Sachen Macht und Ressourcen haben. Der Kapitalismus produziert dauernd Gegensätze, Konkurrenz, Ausbeutung und Ungleichheit. Manche Menschen müssen besonders laut sein, um überhaupt Gehör zu finden. Wahr ist ausserdem, dass rechte Feindbild-Bewirtschafter:innen besonders gut an diese Strukturen der Ungleichheit andocken können, diese emotionalisieren, individualisieren und personalisieren («Migrant:innen sind schuld»).
Polarisierung durch Pauschalisierung
Die Forschung berichtet aktuell von einer «affektiven Polarisierung», also einer Polarisierung auf der Basis von Emotionen, bei der es weniger um Meinungsunterschiede geht, sondern mehr um eine zunehmend negative emotionale Einstellung der Menschen zueinander. Die gefühlsbasierte Polarisierung betont das Gefühl des feindlichen Getrenntseins von anderen, während mögliche Gemeinsamkeiten vollkommen aus dem Blick geraten.
«Rechte Ideologien beruhen im Kern auf einem negativen Menschenbild, auf einem Überlebenskampf, in dem ‹alle gegen alle› kämpfen und die Stärksten sich am Ende durchsetzen. Es handelt sich um ein nicht-inkludierendes, ausschliessendes Gesellschaftsmodell. Zum ‹Volk› gehören nur manche.»
Die Journalistin und Autorin Gilda Sahebi hat über diese Polarisierung soeben ein Buch veröffentlicht. Sie beschreibt darin, wie mittels pauschalisierender Labels wie «woke», «Islam», «Genderdiktatur» usw. bestimmte Gruppen zu Feindbildern gemacht und dadurch Mauern errichtet werden. Oder wie der Soziologen Steffen Mau es ausdrückt: Viele politische und mediale Akteur:innen behaupten mittels emotionalisierender Rhetorik permanent unvereinbare, maximale Differenzen. Diese Unvereinbarkeit wird durch die dauernde Wiederholung in den Köpfen der Menschen wahr gemacht – wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Die verabsolutierende Einteilung in «gut» und «böse» oder «richtig» und «falsch» ist dabei nicht einfach da, sondern wird politisch oft gezielt eingesetzt, und zwar von allen politischen Lagern. Wie Sahebi und andere aufzeigen, ist die Erzählung der totalen Unvereinbarkeit am meisten bei autoritären, rechtsextremen, rechtspopulistischen Akteur:innen verbreitet. Rechte Ideologien beruhen im Kern auf einem negativen Menschenbild, auf einem Überlebenskampf, in dem «alle gegen alle» kämpfen und die Stärksten sich am Ende durchsetzen. Es handelt sich um ein nicht-inkludierendes, ausschliessendes Gesellschaftsmodell. Zum «Volk» gehören nur manche.
Das Ziel rechter Ideologien ist die Spaltung
Rechte Ideologien erachten Hierarchien als natürliche Ordnung, das heisst, sie gehen von einer natürlichen Gliederung der Gesellschaft aus. Anhänger:innen rechter Ideologien sind der Überzeugung, dass manche Lebensweisen und Menschen mehr wert sind, und deshalb vor den «bedrohlichen anderen» geschützt werden müssen. Anders ausgedrückt: Menschen haben nicht an sich einen Wert, sondern nur in der hierarchischen Abgrenzung zu anderen. Die eigene, höher bewertete Existenz beruht auf der Abwertung anderer. Erst ein Feind macht das «Eigene» zum «Eigenen». Politik ist deshalb nur in der Erzeugung eines Feindes überhaupt vorstellbar. Letzten Endes geht es in der rechts-autoritären Politik nicht darum, Konflikte zu lösen oder Unterschieden zu akzeptieren, sondern die Spaltung selbst ist das Ziel.
Der Soziologe Leo Löwenthal analysierte bereits 1949 (in «Falsche Propheten»), dass faschistische Propagandatechniken inhaltlich und politisch ziemlich leer waren. Er stellte fest, dass faschistische Demagog:innen – anders als reformistische oder revolutionäre Kritiker:innen des Systems – keine wirklichen politischen Alternativen anbieten, um Probleme zu lösen. Vielmehr blieben ihre Vorschläge vage, man forderte lediglich «aufzuräumen» und «durchzugreifen» – ein Versprechen, mit dem auch Donald Trump an die Macht gekommen ist.
Auch die gegenwärtige rechte Polarisierungsbewirtschaftung enthält oft kaum konsistente politische, gesamtgesellschaftliche Ziele. Sie bietet keinen durchdachten Handlungsrahmen, denn gerade ihre diffuse, schwankende und flexible Erregungspolitik ermöglicht die emotionale Mobilisierung der Menschen. Aufhetzung erfordert keine inhaltlichen Programme. Es reicht, Feinde auszumachen und sich als grosser «Aufräumer» zu inszenieren. Das Bild einer tief gespaltenen Gesellschaft macht «autoritäres Durchgreifen» zur einzigen Lösung.
Vom Vorurteil zur Spaltung
Aber warum ist gefühlsbetonte Feindbildpolitik so erfolgreich? Der Philosoph Robert Müller zeigt in seinem Text «Ressentiment und Faschismus», auf welche Weise affektive Polarisierungspolitik an Vorurteile und Ressentiments andockt. Alle Menschen, wirklich ausnahmslos alle, haben Ressentiments. Sie gründen auf dem Gefühl, zu kurz zu kommen, auf Frustration, Ängste, Schwäche, Verbitterung und Wut. Diese Gefühle sind oft berechtigt: Verunsicherung, die Angst, nicht zu genügen, Diskriminierung, Einsamkeit und Prekarität haben eine reale Grundlage. Wahr ist auch, dass Politik tatsächlich oft auf Lügen oder leeren Versprechungen basiert, und dass Menschen vernachlässigt und ausgebeutet werden. In der Logik der gefühlsbetonten Polarisierung werden diese begründeten Empfindungen jedoch in eine falsche, das heisst mit einer vereinfachenden Interpretation von Ursachen und Wirkung in eine Feindbildkonstruktion überführt.
Angeboten wird eine Art Entlastungsgefühl, bei der die Schuld an eigenen schwierigen Erfahrungen und Ängste auf jene projiziert wird, gegen die man ohnehin Vorurteile hegt: Feminist:innen, queere Menschen, Migrant:innen. In der Forschung spricht man auch vom Schüren «projektiver Ängste». Andere werden zur Quelle der persönlichen Not gemacht.
So zersetzend das Ressentiment auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt wirkt, so sehr stärkt es den Zusammenhalt der eigenen Anhängerschaft. Proklamiert wird eine Solidarität, die sich vor allem darüber definiert, wer von ihr ausgeschlossen ist.
Das Schüren projektiver Ängste funktioniert auch im Rahmen von demokratischen Regeln und wird längst auch in der so genannten gesellschaftlichen Mitte aufgegriffen: Man muss keine enthemmten, extremen Dinge sagen, um zu polarisieren. Im Gegenteil: Die Propaganda der Feindbilder gibt sich nicht selten bürgerlich, demokratienah und verfassungskonform. Affektive Polarisierung wird nicht mit Gesetzesbrüchen entfesselt, vielmehr reichen Anspielungen und vage Zuschreibungen. Indem etwa ständig der Verdacht geäussert wird, trans Frauen würden nicht um ihre Rechte kämpfen, sondern ihr eigentliches und primäres Ziel wäre es, cis Frauenräume „einzunehmen“ (Toiletten, Sauna, Sport). Oder indem der Islam und/oder Migrant*innen dauernd mit Rückständigkeit verknüpft werden und auch meist dann über Migration berichtet wird, wenn es Probleme, Konflikte gibt.
«Die rechte Polarisierungsbewirtschaftung zielt auf die Spaltung selbst, darauf, eine Erzählung zu etablieren, in der andere weniger wert sind und pauschal eine Bedrohung darstellen.»
Nochmal: Natürlich müssen sich Parteien und politische Aktivist:innen voneinander abgrenzen. In einem demokratischen Wettbewerb geht es um politische Unterschiede und das Finden der besseren Lösung. Die rechte Polarisierungsbewirtschaftung allerdings zielt auf die Spaltung selbst, darauf, eine Erzählung zu etablieren, in der andere – Parteien, Menschen, Institutionen – weniger wert sind und pauschal eine Bedrohung darstellen.
Rechte Politik erzählt davon, dass wir von Feinden umzingelt sind, dass andere uns an den Kragen wollen, uns etwas wegnehmen, uns auslöschen wollen. Dadurch werden wir offen für Untergangs-, Auslöschungs- und Vernichtungsfantasien. Wenn «der Mensch» so mies ist, kann er untergehen, kann er weg, können manche weg. Es handelt sich, wie die Soziologen Theodor Adorno und Max Horkheimer in ihren Untersuchungen zur autoritären Persönlichkeit herausstellen, um eine Lebenshaltung, die gewissermassen den Untergang will und sich an der Katastrophe ergötzt, dass die Welt schlecht und der Mensch böse sei.
Diese nihilistische Haltung lässt sich aktuell etwa an der Anti-Wokeness-Erzählung aufzeigen, die sich meist explizit oder implizit gegen «Moral» wendet, gegen «Gutmenschentum», «Tugend», «Empfindsamkeit». Die Ablehnung von Werten und Moral ist historisch eine zentrale Figuration rechter Sprache: Schon in der nationalsozialistischen Propaganda waren Humanismus, Moral und Ethik ein Begriffsfeld, das mit Weiblichkeit, Irrationalität und Gefahr gleichgesetzt wurde. Hitler schrieb in «Mein Kampf» gegen den «Humanitätsdusel» an, der Geist und Rationalität sowie soldatische Männlichkeit bedrohe. Auf diese Weise wurden demokratische Ideen wie Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit als moraline Symptome des Zerfalls abgewertet.
Die Gesellschaft wird als unveränderbar imaginiert
«Moral» und «Gutmenschentum» werden auch in bürgerlichen Diskursen mit Bedrohungsszenarien und Irrationalität verbunden – Bücher mit Titeln wie «Tugendterror» oder «Befindlichkeits-Generation» haben in den vergangenen Jahren grosse Erfolge gefeiert. In unzähligen Anti-Woke-Texten inszeniert sich im Feuilleton ein meist männlich-heroisiertes Subjekt, das in den «Anderen» nur die ungezähmten, irrationalen, moralinen und verweiblichten Massen erkennt. Gezeichnet wird das Bild von überempfindlichen jungen Menschen, die nicht rational handeln, sondern moralisierend, «hysterisch» und gefühlsgesteuert.
Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht zum Beispiel plädierte in der NZZ für eine «Rückkehr zum Realismus» und für die «Sehnsucht nach dem, was ist». Der Historiker Egon Flaig wendet sich in der FAZ gegen eine Wissenschaft, die einen «moralischen Kompass» hat. Die Autoren inszenieren sich gegen die irrationale «Moral» als vernünftige Instanzen, die selbst frei sind von jeglichem Ideologieverdacht und darüber urteilen können «was wirklich ist».
Dieses Proklamieren von «Rationalität» und «Realismus» legt letztlich unterschwellig nahe, dass die Gesellschaft «nun mal so ist, wie sie ist»: ungerecht. In der Rhetorik des Realismus zeigt sich oft eine Abwehr einer an gemeinsamen Werten orientierten Gesellschaft, eine Abkehr von «idealistischem Wunschdenken», wie neurechte Denker Gerechtigkeit despektierlich nennen.
«Eine antifaschistische Haltung zu beziehen, bedeutet, trotz Konflikten und Differenzen an der Verbundenheit festzuhalten.»
Die Gesellschaft wird als unveränderbar imaginiert, als ein Ort der Konkurrenz und Ausbeutung, der natürlichen Hierarchien und einer vermeintlich klaren Ordnung des (männlich konnotierten) Stärkeren. Der Verweis auf «die Realität» meint in der neurechten Sprache eine Zurückweisung einer demokratischen Gesellschaft, die auf Gleichberechtigung, Inklusion und soziale Gerechtigkeit hinarbeitet, darauf, dass Menschen einander Sorge tragen.
Es ist eine Absage an den Umstand, dass wir als Menschen auch vieles teilen, etwa Leidensfähigkeit, dass uns etwas verbinden könnte, etwa die Abhängigkeit von anderen, von einer gesunden Umwelt, von Nahrung, Schutz, Fürsorglichkeit, der Wunsch nach Liebe und Sicherheit. Nicht zuletzt ist es eine Absage an die menschliche Fähigkeit, Empathie zu empfinden, zu kooperieren. Die reaktionäre Spaltungserzählung wendet sich gegen jegliche Vorstellung, dass wir uns als Menschen auch auf Werte oder zumindest geteilte Horizonte einigen können, etwa darauf, dass Menschen gleich viel wert sind.
Eine antifaschistische Haltung zu beziehen, bedeutet deshalb, trotz Konflikten und Differenzen an der Verbundenheit festzuhalten. Daran festzuhalten, dass sich Menschen trotz allem dafür entscheiden können, anderen gegenüber wohlwollend zu sein. Letztlich können wir die meisten Konflikte und Problemlagen dieser Welt nur mittels Kooperation und Allianzen lösen oder verbessern. Allein können wir nichts ausrichten. Wir brauchen immer auch die anderen.
«Das bisherige Scheitern, eine gerechte globale Gesellschaft aufzubauen, entlässt uns aber nicht aus der Verantwortung, es weiterhin zu versuchen.»
Wir brauchen auch Perspektiven eines gemeinsamen Menschseins
Es mag naiv klingen, aber gegen Autoritarismus und Rechtsruck hilft es, Modelle von Solidarität und den Willen zur Überquerung von Differenz in die Waagschale zu legen. Wir müssen trotz Unterschieden immer wieder die Perspektiven eines geteilten Menschseins stärken. Und uns davor schützen, den Nihilismus zu übernehmen und in einem Existenzmodus des Kampfes kaputt zu gehen. Wenn wir den Nihilismus der Spaltungsgefühle übernehmen, ist das ein Sieg der rechten Kräfte.
Die Ungleichheiten zwischen den Menschen auf diesem Planeten sind enorm, die intersektionale Perspektive unterschiedlicher und partikularer Positionierung, Privilegien und Betroffenheiten ist zentral. Ebenfalls richtig ist, dass verallgemeinerbare Werte – von Menschenrechten bis hin zu anderen universalistischen Prinzipien – oft ein westliches, patriarchales, koloniales Macht- und Ausbeutungsinstrument waren und sind, und oft nur manche Menschen zugutekamen und kommen. Die feministische und postkoloniale Forschung hat die Missbräuche und Missstände vieler vermeintlich universalistischer Politiken aufgezeigt. Das bisherige Scheitern, eine gerechte globale Gesellschaft aufzubauen, entlässt uns aber nicht aus der Verantwortung, es weiterhin zu versuchen. Wir sollten weiterhin versuchen, gemeinsam noch bessere allgemeine Regeln und Modelle zur Absicherung unser aller Menschseins zu finden.
Verletzungen, Machtunterschiede, Gewalt, Privilegien und Verrat sind real. Wir müssen sie durcharbeiten, benennen, und können sie nicht einfach naiv unsichtbar machen. Gleichzeitig ist es entgegen der reaktionären Spaltungserzählung aber notwendig, eine Vorstellung von geteiltem Menschsein aufrecht zu erhalten. Es braucht die Arbeit an unserem Willen, diesen Planeten gemeinsam zu bewohnen.
Franziska Schutzbach ist Buchautorin, promovierte Geschlechterforscherin, feministische Aktivistin sowie Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. 2021 hat sie den Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» veröffentlicht.
Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin.
