«Wir leben in einer Zeit, in der Faschismus möglich ist.»

Rechte bis rechtsextreme Parteien gewinnen in ganz Europa Wähler:innen-Anteile dazu. Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl erklärt im Interview mit «direkt», woran das liegt und was wir dagegen tun müssen – bevor es zu spät ist.

Foto: Christopher Glanzl
«direkt»: Was hat dazu geführt, dass rechtsextreme Parteien wieder gewählt werden?

Natascha Strobl: Es gibt eine Vielzahl von Gründen, die zusammenkommen. Zum einen sorgen verschiedene Krisen für eine starke Verunsicherung bei den Menschen. Zum anderen ist ein Vertrauensverlust zu beobachten, der durch das Nichtlösen oder durch einseitiges Lösen von Krisen entsteht. Nach der Finanzkrise 2008 gab es einen Einbruch des Vertrauens in die staatlichen Institutionen. Gleichzeitig arbeitet die extreme Rechte schon lange daran, solche Debatten für sich zu vereinnahmen. Sie versucht vor allem über kulturelle Auseinandersetzungen – Stichwort Kulturkampf – unseren Diskurs zu bestimmen.

«Das Gute ist: Es ist nicht festgeschrieben, was die Zukunft bringen wird.»

«direkt»: Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Denken Sie, die Rechtsaussen-Parteien werden noch weiter zulegen können?

Natascha Strobl: Man darf nicht fatalistisch werden, aber man muss ehrlich sein: Wir leben in einer Zeit, in der Faschismus möglich ist. Und dem muss man realistisch und mit der nötigen Ruhe begegnen, ohne sich zu Schnellschüssen verleiten zu lassen. Es braucht aber auch die Entschlossenheit, das verhindern zu wollen. Das Gute ist: Es ist nicht festgeschrieben, was die Zukunft bringen wird.

«direkt»: Das Problem ist, das dieses Abdriften nach Rechtsaussen ein schleichender Prozess ist. Irgendwann ist es zu spät, um zu reagieren. Gibt es nicht schon jetzt zahlreiche Hinweise darauf, wohin das führen kann?

Natascha Strobl: Ich glaube schon, dass wir ganz viele Hinweise haben. Wir müssen zum Beispiel aufmerksam werden, wenn Parteien in dieser rechtspopulistischen Rhetorik zu sprechen beginnen: «Wir sind unterdrückt» oder «Uns wird etwas weggenommen, was uns zustehen würde». Mit «wir» ist «das nationale Volk», «die Nation» oder «die Kultur» gemeint. Dabei wird ein Bild gezeichnet, bei dem alles immer schlechter wird. Dazu kommen Gruppen, die ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben oder neu definieren müssen. Solche Gruppen können sich schnell radikalisieren. Und das kann zu Gewalt führen. Aktuell zum Beispiel gibt es viele frustrierte junge Männer.

«direkt»: Das zeigen auch die Nachwahlbefragungen in Ostdeutschland. Die AfD ist besonders bei jungen Wählern beliebt. Was bieten die rechten Parteien diesen jungen Männern im Gegensatz zu anderen Parteien?

Natascha Strobl: Schauen wir uns das Beispiel Maximilian Krah an. Er war AfD-Spitzenkandidat bei den Europawahlen, bevor er über eine Spionage-Affäre gestolpert ist. Krah hat auf seinem TikTok-Kanal eine bestimmte Message verkündet: «Du wirst Familie haben.» Damit erreicht er junge Männer, die ihren Platz suchen, die frustriert sind, die zum Beispiel nicht mehr sicher sind, ob sie eine ausreichende Rente haben werden. Diesen jungen Männern wurde erzählt: «Schau, die Frauen und der Feminismus sind schuld, aber ich verspreche dir jetzt, du wirst dieses gesicherte Leben haben, wo du der Familienvater bist, der sagt, wo es lang geht. Du wirst eine Machtposition haben, du wirst bestimmen können, du wirst abgesichert sein, du wirst dieses Leben, von dem man dir erzählt hat, dass es erstrebenswert ist, das du jetzt gerade nicht erreichen kannst: dieses Leben wirst du haben.» Das kommt an und das funktioniert.

«Wenn die AfD regiert, wird sie grossen Schaden anrichten. Egal, wie man sich das schön redet, egal, was man glaubt, verhindert zu haben. Der Schaden wird enorm sein.»

«direkt»: Indem die AfD den jungen Männern ihre Zukunftsträume konkret visualisiert und verspricht?

Natascha Strobl: Genau. Ihnen wurde erzählt, dass ihr Platz gesichert sei, und weder die Frauen noch die «Woken» ihnen diesen Platz streitig machen können.

«direkt»: Im deutschen Bundesland Thüringen ist die AfD nun stärkste Kraft geworden. Bisher haben alle demokratischen Parteien eine Koalition mit ihr ausgeschlossen. Welche Gefahren bringt diese aktuelle Situation mit sich?

Natascha Strobl: Die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt klar: Man kann rechtsextreme Parteien nicht demaskieren, indem man sie einbindet. Trotzdem wird sich die Frage der Einbindung in Deutschland früher oder später stellen, weil es auch um den Machterhalt der anderen Parteien geht. Wenn eine Partei in der Regierung bleiben kann, dadurch, dass die AfD auch den einen oder anderen Minister:innenposten kriegt – denkt sich diese «warum nicht?» Ich weiss nicht, wie es herauskommen wird in Thüringen, aber eins ist klar: Wenn die AfD regiert, wird sie grossen Schaden anrichten. Egal, wie man sich das schönredet, egal, was man glaubt, verhindert zu haben. Der Schaden wird enorm sein.

«direkt»: Und wenn die AfD als stärkste Kraft nicht mitregieren kann, wird sie alles verhindern und dann bei den nächsten Wahlen erfolgreich sein?

Natascha Strobl: Genau, hier müssen sich die anderen Parteien fragen, was sie für ihr Bundesland wollen: Will man die Hälfte der Leute aufgeben oder kommt zum Schluss, dass man ohne die AfD nichts verändern kann – dann sollte man das so ehrlich sagen. Aber hier muss man natürlich im Bereich des Möglichen dagegen arbeiten, indem man so pragmatisch wie nötig und so radikal wie möglich ein Projekt findet, in dem sich die demokratischen Parteien zusammentun und sich fragen, was wollen wir denn – wie wollen wir leben?

«Wir dürfen jetzt nicht verzweifeln. Wir müssen einfach wegkommen von dem Glauben, dass wir den allerschlimmsten Nazi, der irgendwo an einem Stammtisch sitzt, überzeugen müssen.»

«direkt»: Es ist also noch nicht alles verloren?

Natascha Strobl: Nein! Man darf nicht fatalistisch sein. Man darf nicht glauben, die Zukunft sei schon festgeschrieben und alles werde furchtbar. Dafür haben wir gar keine Zeit. Die Lage ist viel zu ernst für solche Befindlichkeiten. Denken wir zurück an den Anfang dieses Jahres: Da gingen Millionen Menschen in Deutschland auf die Strasse, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Sie mobilisierten sich von einem Tag auf den anderen, weil sie empört waren, weil sie es nicht auf sich sitzen lassen wollten, dass irgendwo Menschen über «Remigration» diskutieren – also über nichts anderes als über gewaltvolle Abschiebungen bis hin zu ethnischer Säuberung von Menschen auch mit deutschem Pass.

«direkt»: Sie sprechen die Geheimtreffen in Potsdam im November 2023 an. Hochrangige Personen der AfD, Neonazis und Unternehmer:innen sprachen da über die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland.

Natascha Strobl: Genau, und die Proteste dagegen zeigen doch: Es ist was da! Wir dürfen jetzt nicht verzweifeln. Wir müssen einfach wegkommen von dem Glauben, dass wir den allerschlimmsten Nazi, der irgendwo an einem Stammtisch sitzt, überzeugen müssen. Damit kommen wir nicht weit. Aber es gibt ganz viele Leute, die ungefähr wissen, was sie wollen oder vielleicht auch einfach nur, was sie nicht wollen. Die wissen auch nicht, wie es weitergeht. Was ist mit denen, die genau an der Kippe sind zum Abrutschen, aber noch nicht abgerutscht sind? Diese Menschen müssen erreicht werden, darum muss es in einem politischen Projekt gehen. Und die Lösung kann nicht sein, einfach selbst auch rechter zu werden.

Natascha Strobl

Natascha Strobl ist österreichische Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie ist Expertin für Rechtsextremismus und die Neue Rechte. Ihr 2021 erschienenes Buch «Radikaler Konservatismus. Eine Analyse» wurde mit dem Anerkennungspreis des Bruno-Kreisky-Preises für das Politische Buch 2021 ausgezeichnet.

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