Frontalangriff auf das Schweizer Arbeitsrecht

Einseitige Anordnung der Nacht- und Sonntagsarbeit bei einer Energiemangellage – das will eine Mitte-Motion, die letzte Woche vom Parlament angenommen wurde. Der Haken: Solche Notlagen werden im geltenden Arbeitsrecht bereits abgedeckt. Die Motion verlangt daher vor allem die Schwächung der Rechte der Angestellten und weicht das Gesetz auf.

(KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Der Nationalrat ist letzte Woche dem Entscheid des Ständerats gefolgt und hat eine Mitte-Motion angenommen, die eine «zeitlich befristete Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes im Falle einer Strom- oder Gasmangellage» verlangt. Das deklarierte Ziel der Motion: Bei einer Energiemangellage soll die Nacht- und Sonntagsarbeit angeordnet werden können, sofern die wirtschaftlichen Bedürfnisse dies erfordern. Nur, nach dem gängigen Arbeitsrecht kann das Verbot zur Nacht- und Sonntagsarbeit in einer solchen Lage bereits aufgehoben werden. Dazu braucht es aber eine Bewilligung und das Einverständnis der Angestellten.

Deregulierung der Arbeitszeiten

Artikel 17 und 19 des Arbeitsgesetzes regeln die Ausnahmen vom Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit. Das Verbot kann aufgehoben werden, sofern es sich beispielsweise um Schichtarbeit handelt oder ein dringendes Bedürfnis besteht. Für die Aufhebung des Verbots braucht es jedoch eine Bewilligung und es darf nur im Einverständnis mit dem oder der betroffenen Angestellten aufgehoben werden. Die überwiesene Mitte-Motion schwächt daher in erster Linie den gesetzlichen Schutz der Angestellten und deren Mitwirkung.

SP und Gewerkschaften wehren sich gegen diese Deregulierung der Arbeitszeiten. Ihr Argument: Auch in einer Energiemangellage soll nicht über den Kopf der Angestellten hinweg über ihre Zeit verfügt werden können. Zudem ist wissenschaftlich erwiesen, dass geregelte Arbeitszeiten das wirksamste Mittel gegen Überlastung am Arbeitsplatz ist.

Bevölkerung will weniger lange arbeiten

Während der internationale Trend hin zu kürzeren Arbeitszeiten und 4-Tage-Wochen boomt, steht bei der Mehrheit der bürgerlichen Politiker:innen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit an der Tagesordnung. Neben der Ausweitung der Sonntags- und Nachtarbeit soll mit der Lex Graber auch die Höchstarbeitszeit aufgehoben werden. Dies, obschon die Schweizer:innen laut den aktuellsten Zahlen im Schnitt deutlich mehr Stunden arbeiten als ihre europäischen Nachbaren. Es erstaunt daher nicht, dass kürzere Arbeitswochen in der Schweiz eine breite Zustimmung geniessen. Dies bis weit ins bürgerliche Lager hinein. Es steht somit ausser Frage, dass die bürgerlichen Politiker:innen hier auf unverschämte Weise eine Notlage missbrauchen und mit ihrem jüngsten Entscheid zur Nacht- und Sonntagsarbeit an der Bevölkerung und ihrer eigenen Basis vorbeipolitisieren.

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