«direkt»: Herr Rechsteiner, Sie lehnen die BVG-Vorlage ab. Warum?
Paul Rechsteiner: Am Schluss ist es einfach und viel weniger komplex als in der Propaganda der Befürworter:innen immer dargestellt. Bei einer Rentenreform zählen zwei Dinge: Wie viel kostet die Vorlage und wie wirkt sie sich auf die Renten aus. Bei der Initiative für eine 13. AHV-Rente im März war klar: Die Einführung einer zusätzlichen Rente kostet etwas, aber das Resultat für die Menschen und ihre Altersvorsorge ist positiv. Die 13. AHV-Rente ist für die heutigen und künftigen Rentner:innen ein substanzieller Fortschritt.
«direkt»: Und bei der BVG-Vorlage?
Paul Rechsteiner: Bei der BVG-Vorlage stimmt das Preis-Leistungsverhältnis hinten und vorne nicht. Die Vorlage ist sehr teuer – das heisst, die Versicherten zahlen durch die Reform deutlich mehr ein. Doch auf der anderen Seite erleiden viele einen massiven Rentenverlust. Bei einem Monatseinkommen von 6000 Franken führt diese Vorlage zu 3000 Franken weniger Rente im Jahr. So ein Rentenverlust der Bevölkerung kann nur mit einem Nein auf dem Stimmzettel beantwortet werden.
«Die Pensionskassenrenten sinken seit Jahren. Die Versicherten haben bereits heute massiv verloren und das soll nun fortgesetzt, ja sogar beschleunigt werden. Diese Richtung ist komplett falsch, die Menschen müssen von ihren Renten anständig leben können.»
«direkt»: Dennoch wirkt die BVG-Vorlage kompliziert. In wenigen Worten: Wer profitiert und wer verliert bei einem Ja am 22. September?
Paul Rechsteiner: Die Verlierer:innen dieser Vorlage sind ganz klar Menschen mit tieferen und mittleren Einkommen. Sie zahlen mehr ein und erhalten dafür weniger Rente. Ganz grosse Gewinnerin der Vorlage ist die Finanzindustrie – also Banken und Versicherungen. Die Finanzindustrie war es auch, die die ursprünglich ausgewogene Vorlage in Komplizenschaft mit den bürgerlichen Parlamentarier:innen – man muss es so sagen – zerschlagen hat.
«direkt»: Sie reden vom Sozialpartnerkompromiss.
Paul Rechsteiner: Genau. Der Kompromiss, der von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ausgehandelt und vom Bundesrat eins zu eins übernommen wurde. Diese Vorlage hätte nicht zu einem Rentenverlust geführt. Die bürgerliche Mehrheit im Parlament folgte aber den Vorgaben der Finanzindustrie. Das führt zu einem harten Rentenabbau.
«Die zweite Säule ist eine Sozialversicherung, die teilweise zu einem grossen Businessmodell für die Finanzindustrie verkommen ist.»
«direkt»: Im Zentrum der BVG-Vorlage steht die Senkung des Umwandlungssatzes: Was bedeutet diese konkret für die Versicherten?
Paul Rechsteiner: Ist der Umwandlungssatz tiefer, wird weniger Rente ausbezahlt. Am besten lässt sich dies mit einem Monatseinkommen von rund 6000 Franken pro Monat veranschaulichen. Mit der Vorlage erhalten diese Einkommensklassen 3000 Franken weniger Rente im Jahr, das sind 250 Franken im Monat. Und diese Senkung wird völlig ungenügend kompensiert. Hinzu kommt: Die Pensionskassenrenten sinken seit Jahren. Die Versicherten haben bereits heute massiv verloren und das soll nun fortgesetzt, ja sogar beschleunigt werden. Diese Richtung ist komplett falsch, die Menschen müssen von ihren Renten anständig leben können.
«direkt»: Wenn die Bevölkerung die BVG-Vorlage ablehnt, kann ein neuer Vorschlag ausgearbeitet werden. Welche sinnvollen Massnahmen braucht es für eine gelungene Revision der zweite Säule?
Paul Rechsteiner: Längerfristig müssen wir den Schutz des Obligatoriums ausdehnen, damit mehr Menschen dadurch geschützt sind. Zudem müssen wir die paritätische Mitbestimmung in den Pensionskassen ausbauen, die heute insbesondere von den Versicherungen hintertrieben wird. Und wir müssen verhindern, dass die Finanzindustrie weiterhin im grossen Stil Gewinne eintreibt. Die zweite Säule ist eine Sozialversicherung, die teilweise zu einem grossen Businessmodell für die Finanzindustrie verkommen ist. Weil sich für substanzielle Verbesserungen mit den aktuellen politischen Verhältnissen im Bundeshaus kaum Mehrheiten finden werden, steht bei der zweiten Säule derzeit die Verteidigung der bestehenden Garantien im Vordergrund.
«Eine vernünftige Politik in der Altersvorsorge bedeutet daher, die AHV zu stärken, wie es jetzt mit der 13. AHV-Rente geschieht und die misslungene BVG-Vorlage abzulehnen.»
«direkt»: Das klingt sehr pessimistisch.
Paul Rechsteiner: Pessimistisch bei der zweiten Säule, aber optimistisch bei der AHV! Die Kassen könnten übrigens bei der zweiten Säule bereits heute etwas gegen die sinkenden Renten tun. Dafür braucht es keine BVG-Revision. Sie können auch die Renten in der beruflichen Vorsorge der Teuerung anpassen. Das Geld dafür wäre in den geäufneten Reserven vorhanden. Angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse ist es insgesamt bei der zweiten Säule zentral, die gesetzlichen Garantien zu verteidigen und nicht zu verschlechtern. Die grosse Musik spielt bei der AHV. Denn dort ist das Preis-Leistungs-Verhältnis für die grosse Mehrheit der Bevölkerung am besten. Nur über die AHV kann das Rentenversprechen der Verfassung kostengünstig umgesetzt werden. Eine vernünftige Politik in der Altersvorsorge bedeutet daher, die AHV zu stärken, wie es jetzt mit der 13. AHV-Rente geschieht und die misslungene BVG-Vorlage abzulehnen. Es braucht eine klare Kurskorrektur gegenüber der unvernünftigen Rentenpolitik im Bundeshaus.
«direkt»: Das Ja zur 13. AHV-Rente war ein Meilenstein.
Paul Rechsteiner: Die Annahme der 13. AHV-Rente in der Volksabstimmung war ein historischer Entscheid, dass jetzt die Zeit gekommen ist, die AHV wieder zu stärken. Das Nein zur verunglückten BVG-Vorlage ist ein klares Zeichen dafür, dass die Renten der Pensionskassen nicht weiter verschlechtert werden dürfen. Wie schon 2010, als eine Rentensenkung in der zweiten Säule ebenfalls klar verworfen wurde.
Es wäre von Vorteil, wenn Rechsteiner ausführt, wie die CHF 3’000 zustande kommen. Ebenfalls, wieso die Banken, Versicherungen etc. an dieser Vorlage Geld verdienen. Es ist wirklich nicht jeder Zahlenafin.