«Es ist schlicht vernünftig, die Biodiversität zu schützen.»

Biodiversitätsexpertin Daniela Pauli erklärt gegenüber «direkt», warum ein ausgebauter Biodiversitätsschutz Gelder in Milliardenhöhe einsparen könnte. Ein Gespräch über Schmetterlinge, Aktienportfolios und das Glück.

Foto: Alexander Dietz (Keystone)
«direkt»: Frau Pauli, Bundesrat Albert Rösti sagt, dass er auf der Alp nicht weniger Schmetterlinge sehe wie früher. Haben nur Städter:innen das Gefühl, dass die Biodiversität schwindet?

Daniela Pauli: Es kann gut sein, dass punktuell viele Schmetterlinge anzutreffen sind. Sie gehören dann aber wahrscheinlich der gleichen Art an. Denn die Artenvielfalt der Schmetterlinge hat gerade im Berggebiet stark abgenommen. Da ist sich die Forschung einig. Viele Schmetterlingsarten mit speziellen Ansprüchen sind verschwunden. Der Grund: In den letzten 20 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Nutzung von Bergwiesen stark intensiviert.

Daniela Pauli. Foto: zVg
«direkt»: Warum ist denn der Schutz der natürlichen Vielfalt so wichtig?

Daniela Pauli: Ich sehe drei Hauptgründe. Erstens: Es ist schlicht vernünftig, die Biodiversität zu schützen. Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage. Sie sorgt für fruchtbare Böden und sichert somit langfristig die Nahrungsmittelproduktion. Gewässerorganismen und -ökosysteme reinigen das Wasser. Vielfältige Wälder schützen uns heute und in Zukunft vor Erdrutschen, Überschwemmungen, Murgängen und Lawinen. Das sind nur wenige Beispiele. Sie zeigen aber: Geht die Biodiversität zurück, leidet die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Entwicklung.

«Warum soll sich der Mensch das Recht herausnehmen dürfen, Arten auszurotten, die wie wir auf dieser Erde leben und viel älter sind als wir selbst?»

«direkt»: Und die zwei anderen Gründe?

Daniela Pauli: Biodiversität macht glücklich. Es ist nachgewiesen, dass Menschen zufrieden und entspannt sind, wenn sie Zeit in einer diversen Natur verbringen können. Für die Entwicklung der Kinder ist der Aufenthalt in der Natur zentral. Und da kommen wir zum dritten Grund: Die Biodiversität zu schützen, ist gerecht, auch unseren Kindern gegenüber. Doch es geht nicht nur um Generationengerechtigkeit: Auch der Natur gegenüber ist es gerecht. Warum soll sich der Mensch das Recht herausnehmen dürfen, Arten auszurotten, die wie wir auf dieser Erde leben und viel älter sind als wir selbst?

«Je höher die Biodiversität ist, desto stabiler sind die Ökosysteme. Es ist vergleichbar mit einem Aktienportfolio: Da setzten wir auch nicht auf einen einzigen Titel, sondern auf Diversität. So wird das Risiko vor Verlusten reduziert.»

«direkt»: Wie stehen der Klimawandel und die Biodiversität miteinander in Verbindung?

Daniela Pauli: Der Klimawandel beeinflusst die Biodiversität. Umgekehrt schützt uns eine reichhaltige Biodiversität vor Folgen des Klimawandels. Worüber aber nur wenig gesprochen wird: Die Biodiversität beeinflusst auch das Klima. Moore zum Beispiel sind grosse Wasser- und CO2-Speicher. Werden sie trockengelegt, wird CO2 freigesetzt, das in die Atmosphäre geht und die Klimaerwärmung ankurbelt.

«direkt»: Ein Drittel der Pflanzenarten, Tiere und Pilze in der Schweiz ist bereits ausgestorben oder gelten als gefährdet. Warum ist es ein Problem, wenn es in der Schweiz zum Beispiel keine Laubfrösche mehr gibt?

Daniela Pauli: Wer schon einmal einen der seltenen kleinen, grünen und kletternden Laubfrösche gesehen hat, würde diesen Verlust ausserordentlich bedauern. Kommt hinzu: Wir wissen von vielen Arten nicht, welche Bedeutung sie im Ökosystem haben oder haben werden, wenn sich das Klima noch weiter verändert. Was wir aber wissen: Je höher die Biodiversität ist, desto stabiler sind die Ökosysteme. Es ist vergleichbar mit einem Aktienportfolio: Da setzten wir auch nicht auf einen einzigen Titel, sondern auf Diversität. So wird das Risiko vor Verlusten reduziert.

«direkt»: Der Bundesrat sagt, dass bereits genug für die Biodiversität getan werde. Was würden Sie ihm entgegnen?

Daniela Pauli: Es ist ganz einfach: Wenn genug gemacht würde, wären die roten Listen mit gefährdeten Arten nicht so lang. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass die Schweiz zu wenig für die Biodiversität tut. Es gibt zwar seit 2012 eine Strategie zur Biodiversität, aber die erfolgten Massnahmen reichen bei weitem nicht aus. Ja, es gelingt nicht einmal, die Biotope von nationaler Bedeutung – die noch verbliebenen kleinen Naturperlen der Schweiz – ausreichend zu schützen. Es fehlt an Geld. Kürzlich hat das Parlament jedoch die nötigen Zusatzmittel gestrichen. Es geht also eher rückwärts statt vorwärts.

«Wenn ich die Plakate der Gegenkampagne anschaue, muss ich den Kopf schütteln: ‹Tschüss Schweizer Lebensmittelproduktion, tschüss Schweizer Holz, tschüss Entwicklung im Berggebiet.› Das sind doch gerade die Branchen, die von einer gesunden und reichhaltigen Biodiversität profitieren.»

«direkt»: Ist der Biodiversitätsschwund messbar?

Daniela Pauli: Ja. Zwar zeigen im Vergleich zur Situation vor 20 Jahren einige Indikatoren aufwärts. Dies könnte den Eindruck erwecken, es gehe mit der Biodiversität aufwärts. Aber das Gegenteil ist der Fall: Es sind praktisch überall die gleichen Arten dazu gekommen. Arten, die vom Mensch profitieren: Füchse und Krähen zum Beispiel. Hoch spezialisierte Arten mit hohen Ansprüchen an ihren Lebensraum gehen weiterhin verloren.

«direkt»: Was sind die Folgen, wenn die Initiative abgelehnt wird und der Schutz der Biodiversität weiterhin mangelhaft bleibt?

Daniela Pauli: Es wird teurer. Der Bundesrat rechnet für 2050 mit jährlichen Kosten von bis zu 14 Milliarden Franken, wenn der Biodiversitätsverlust anhält. Deshalb ist es wichtig, dass wir sobald wie möglich handeln – je früher, desto besser.

«direkt»: Diverse Verbände, deren Mitglieder von natürlichen Rohstoffen leben, behaupten, dass die Initiative zu teuer sei. Allen voran der Bauernverband.

Daniela Pauli: Die Initiative geht doch nicht gegen die Landwirt:innen! Für mich ist ihre Argumentation nicht nachvollziehbar. Auch wenn ich die Plakate der Gegenkampagne anschaue, muss ich den Kopf schütteln: «Tschüss Schweizer Lebensmittelproduktion, tschüss Schweizer Holz, tschüss Entwicklung im Berggebiet.» Das sind doch gerade die Branchen, die von einer gesunden und reichhaltigen Biodiversität profitieren. Kürzlich habe ich mit einem Förster über die Initiative gesprochen. Er befürwortet diese ausdrücklich, denn für ihn ist absolut klar, wie wichtig der Schutz der Biodiversität ist. Das sieht er täglich bei seiner Arbeit im Wald. Es ist deshalb auch für ihn absolut unverständlich, dass Wald Schweiz als Verband der Waldeigentümer:innen Teil des Gegenkomitees ist. Man sägt damit am Ast, auf dem man selbst sitzt.

Daniela Pauli

Die Biologin Daniela Pauli ist seit 2023 Abteilungsleiterin für Lebensräume und Schutzgebiete bei BirdLife Schweiz. Zuvor hat sie 24 Jahre das Forum Biodiversität Schweiz der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz geleitet. Promoviert hat Pauli zur Biodiversität in Mooren.


 

1 Kommentar

  1. Was leider zu wenig diskutiert wird, ist der mögliche Beitrag der 97,5 % nicht landwirtschaftlich arbeitenden Bevölkerung für den Artenschutz. Die Gesamtfläche aller Rasenstücke in der Schweiz betrug im Zeitraum 2013/18 um 412 km2 gemäss Bundesamt für Statistik. Das ist ungefähr die zusammengerechnete Landesfläche von Appenzell AR und Appenzell IR. Die Daten für die ganze Schweiz für den aktuellen Zeitraum (2020-2028) sind noch in Bearbeitung. Da liegt ein Riesenpotential für ökologische Aufwertungen. Natürlich sollen Kinder und Sportler:innen nicht auf ihre Rasenplätze verzichten. Aber die meisten Rasenstücken warten noch auf eine mit Schmetterlingen und Bienen bereicherte farbige, möglichst einheimische Blumenpracht. War in den letzten Jahren damit beschäftigt, ausgewählte Stücke in unserem privaten Rasen in einen belebten Lebensraum zu verwandeln. Und es erscheinen nun fliegende Gäste, die vorher in unserem Quartier nie aufkreuzten, wie z.B. der Distelfink oder das Taubenschwänzchen, der einheimische Kolibri.
    Dann sollten ja auch unsere Innenstädte und Dorfkerne wegen der steigenden Temperaturen im Sommer eine Begrünung erhalten. Auch dies schafft grosse Chancen für die Biodiversität.
    Und auch bei den Bauern gibt es da und dort noch Möglichkeiten zu vermehrter Artenförderung, z.B mit guten Agri-PV- Konzepten.
    Mehr Biodiversität ist möglich, aber es kostet einige Fleisstropfen.
    Biodiversität ist eine elementare Lebensgrundlage. Mein Ja steht auf dem Stimmzettel.

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