Die Initiant:innen präsentieren die Idee des «Service-citoyen» als Mittel zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Gleichstellung. Tatsächlich würde der «Dienst für die Gemeinschaft» jedoch eine Zunahme der unbezahlten Arbeit für Frauen bedeuten: Sie wären gezwungen, wie Männer einen Zwangsdienst zu leisten, obwohl sie bereits heute den grössten Teil der unbezahlten Care-Arbeit leisten und immer noch unter Lohndiskriminierung leiden. Diese ungleiche Verteilung der unverzichtbaren, aber unbezahlten Arbeit wird von der Initiative ignoriert.
Doppelte Belastung für Frauen
Die Anerkennung der Care-Arbeit, die zum grössten Teil von Frauen geleistet wird, ist seit Jahren eine zentrale Forderung. Sie stand im Mittelpunkt der grossen feministischen Streiks von 2019 und 2023. Anstatt die unbezahlte Care-Arbeit endlich aufzuwerten, wird der «Service-citoyen» auch Frauen zu einem Dienst zwingen, zusätzlich zur unbezahlten Arbeit.
Dieser Dienst wird grösstenteils in den Bereichen Pflege, Bildung oder Soziales geleistet werden – alles Branchen, die derzeit erhebliche Investitionen in bessere Arbeitsbedingungen benötigen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ein massiver Zustrom von unqualifiziertem und schlecht bezahltem Personal wirkt diesen Bestrebungen diametral entgegen und wird nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Fachkräfte führen – im Gegenteil. Gegner:innen der Initiative weisen darauf hin, dass das Lohndumping in diesen Branchen vor allem Frauen treffen wird, weil diese überproportional in diesen Bereichen arbeiten.
Frauen werden also zum einen unter schlecht bezahlter Pflichtarbeit und zum anderen unter Lohnkürzungen in diesen Bereichen leiden und verlieren mit einem Ja zur Initiative gleich doppelt.
Potenziell rechtswidrig?
Der obligatorische Dienst, der bei einem Ja zur Initiative für alle jungen Menschen in der Schweiz eingeführt wird, ist zudem potenziell rechtswidrig. Expert:innen warnen, dass dies einen erheblichen Eingriff in die persönliche Freiheit und die Grundrechte jedes Einzelnen darstellt. Ein Pflichtdienst würde gegen das im Völkerrecht vorgesehene Verbot der Zwangsarbeit gemäss dem UNO-Pakt II und der Europäischen Menschenrechtskonvention verstossen. In der UNO-Menschenrechtscharta heisst es: «Niemand darf zu Zwangs- oder Pflichtarbeit verpflichtet werden.»
Der Militärdienst stellt hier bislang eine Ausnahme von dieser Regel dar. Das Angebot eines zivilen Ersatzdienstes zum Militärdienst ist hierbei obligatorisch. Ein allgemeiner Bürger:innendienst, wie er in der Initiative gefordert wird, fällt aber nicht darunter.
Ob die Schweizer Bevölkerung für diese Argumente empfänglich sein wird, zeigt sich am 30. November.



