Innerhalb eines Monats kündigte die TX Group die Kürzung von insgesamt 80 Stellen in der Deutschschweiz und in der Romandie an. Betroffen sind sowohl Bezahlzeitungen als auch das Gratismedium «20 Minuten» sowie weitere Gratismedien. Bereits in den vergangenen Jahren hat der Konzern zahlreiche Stellen gestrichen. «direkt» hat bei Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin der Mediengewerkschaft syndicom und Leiterin des Sektors Medien, nachgefragt, welche Auswirkungen der Stellenabbau auf die Schweizer Medienlandschaft hat.
«direkt»: Stephanie Vonarburg, letzte Woche protestierten Journalist:innen vor den Redaktionen der Zeitungen der TX Group. Was ist passiert?
Tamedia, Teil der TX Group, hat erneut einen grossen Personalabbau angekündigt – primär bei den Redaktionen. In der Deutschschweiz sind es rund 20 Stellen von Festangestellten und 20 regelmässige freie Journalist:innen, deren Vertragsverhältnis mit Tamedia aufgelöst wird. In der Romandie geht es um 28 Stellen. Hinzu kommt ein weiterer Abbau bei «20 Minuten». Das war der Auslöser für die Proteste in Lausanne und Zürich. Es war das erste Mal, dass diese gleichzeitig auf beiden Seiten des Röstigrabens stattfanden. Dies zeugt von einer sprachübergreifenden Solidarität.
«Die Empörung über diesen Abbau ist verständlicherweise in der ganzen Branche gross.»
«direkt»: Viele Journalist:innen haben auch auf den Sozialen Medien zu medienübergreifender Solidarität und zum Protest aufgerufen.
Ja, auch viele Medienschaffende von anderen Verlagshäusern haben an den Protesten teilgenommen. Die Empörung über diesen Abbau ist in der ganzen Branche gross, zudem führen auch andere Medienunternehmen Sparmassnahmen durch.
Die Empörung gegenüber dem Grossverlag ist besonders heftig, dies vor dem Hintergrund, dass der TX-Konzern seit Jahrzehnten immer wieder massenweise Stellen abbaut und dabei die höchsten Gewinne macht. Es wird restrukturiert, zusammengespart und fusioniert. Das ist jetzt der nächste, einschneidende Schub. Zwischen den alle zwei, drei Jahre inszenierten Abbauschritten gibt es aber auch regelmässig sogenannt kalten Abbau: Wenn Kolleg:innen gehen, werden die Stellen nicht wieder ersetzt. Das erhöht den Druck auf das Personal massiv.
«Angesichts der Tatsache, dass die TX Group immer noch grosse Gewinne erzielt, wirft der anhaltende Stellenabbau grosse Fragen auf.»
«direkt»: Was fordern Gewerkschaften und das Personal jetzt?
Zuerst einmal den sofortigen Stopp des ständigen Personalabbaus. Dieser schafft viel Unruhe und Unsicherheit bei der Belegschaft. Immer wieder hängt das Damoklesschwert über den Angestellten und die Frage, ob es sie oder eine Kollegin trifft. Ist der Schock verdaut, stellt sich dann die Frage, wie die Arbeit mit weniger Mitarbeitenden bewältigt werden kann. Denn der Qualitätsanspruch bleibt natürlich gleich hoch – auch von den Journalist:innen an sich selbst.
«direkt»: Welche Massnahmen braucht es längerfristig?
Das Personal hat einen offenen Brief an die Konzernleitung geschrieben. Diesen haben die Angestellten an der Protestaktion vorgelesen. Darin fordern sie mehr Transparenz, Reduktion der Dividendenausschüttung und eine Perspektive, wo der Konzern künftig hinwill. Das beinhaltet auch die Offenlegung der detaillierten Geschäftszahlen – zumindest intern. Angesichts der Tatsache, dass die TX Group immer noch grosse Gewinne erzielt, wirft der anhaltende Stellenabbau grundsätzliche Fragen auf.
«direkt»: Die Konzernleitung der TX Group erklärte diesen Abbau als Notwendigkeit, um das Überleben der konzerneigenen Medien zu sichern. Also alles nur vorgeschoben?
Der geplante Abbau zeigt, dass diese Erklärung hinkt und die Entscheide der Konzernleitung absolut unverständlich sind. Gerade der angekündete Abbau bei «20 Minuten» und «20 minutes» verdeutlicht dies. Die Gratiszeitungen waren und sind die Cashcows der TX Group. «20 Minuten» zum Beispiel weist immer noch eine im Branchenvergleich hohe Gewinnmarge aus und liefert damit auch viel Gewinn an die TX Group ab. Dieser fliesst dann in die Dividenden, die in zweistelliger Millionenhöhe an die Aktionär:innen ausgeschüttet werden. 2022 waren dies 47 Millionen Franken.
«direkt»: Ist es also tatsächlich eine Geldfrage oder eine Frage der Priorisierung?
Rein mit dem Mediengeschäft verdient Tamedia verglichen mit früheren Zeiten weniger Geld. Das liegt vor allem am digitalen Umbruch. Das stellt niemand in Abrede. Aber die TX Group verdient immer noch ordentlich Geld. Da stellt sich die Frage: Wo sind die Prioritäten und wo wird investiert? Hier fehlt klar die Wertschätzung gegenüber den Medienschaffenden und eine Vision der Konzernleitung für die Zukunft.
Die TX Group hat in den letzten 20 Jahren viele andere Verlage aufgekauft, deren Titel behalten, aber die Redaktionen dahinter zusammengespart. Publizistisch haben sie damit maximal leicht adaptierte Inhalte über die ganze Schweiz gestülpt. Damit wird die Medienvielfalt Schritt um Schritt abgebaut.
«direkt»: Die Medienvielfalt gerät durch diese Abbaumassnahme noch weiter unter Druck. Wie schätzten Sie die aktuellen Entwicklungen ein?
Die Vielfalt bei den Zeitungen ist drastisch zurückgegangen. Es gibt zwar spannende neue Medienprojekte. Diese haben aber Mühe, eine Reichweite zu erreichen, die ihre Existenz sichert, auch wenn sie publizistisch sehr wertvoll sind. Neue Medien sind meist ohne Printvariante als reine Online-Medien unterwegs. Damit fallen zum Beispiel die Druckkosten weg. Trotzdem muss eine gesamte neue Leser:innenschaft aufgebaut werden, die bereit dazu ist, für den Inhalt zu bezahlen.
«Die Informationsfreiheit ist ein verfassungsmässiges Recht. Damit ist auch ein Auftrag verbunden.»
Diese Bereitschaft hat aber in den letzten Jahren stark abgenommen. Kostenlose Informationen auf Internetplattformen, aber auch von Medien, die ihre Inhalte für mehr Reichweite gratis anbieten, haben zugenommen. Gratis sind diese aber natürlich auch nicht: Wir bezahlen indirekt mit unseren Daten.
«direkt»: Die vierte Gewalt hat einen wichtigen Stellenwert in unserer Demokratie. Wird letztere durch diese Entwicklungen gefährdet?
Die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit sind verfassungsmässige Rechte. Damit ist auch ein Auftrag verbunden. Gerade in einer direkten Demokratie, wie wir sie in der Schweiz haben, müssen wir informiert sein und Zugang zu Hintergrundwissen über aktuelle Geschehnisse haben. Wenn wir abstimmen sollen, dann müssen wird auch gut und kritisch informiert sein. Das gilt auf Bundesebene, in den Kantonen und in den Gemeinden. In diesem Sinne müsste es eigentlich auch im Interesse des Staates sein, dass es funktionierende Medien gibt, die diesem Anspruch gerecht werden. Somit ist es auch begründet, dass es eine öffentliche Unterstützung für Medien mit professionellen Standards gibt.
«SVP-Medienminister Albert Rösti schenkt der Medienförderung allgemein kaum Interesse.»
«direkt»: Das Medienpaket, das eine solche Unterstützung vorsieht, hat die Stimmbevölkerung 2021 an der Urne abgelehnt. Welche politischen Massnahmen sollten Ihrer Meinung nach jetzt ergriffen werden, um die Qualität und Vielfalt der Medien zu gewährleisten?
Unsere Hoffnung ist, dass jene Teile des Medienpakets, die kaum umstritten waren, schnell wieder vorgelegt und umgesetzt werden können. Das betrifft beispielsweise die Aus- und Weiterbildung für Journalist:innen, den Presserat und die Förderung der Agenturleistungen wie bei der Nachrichtenagentur SDA. Diese Massnahmen kommen allen Medien zugute. Auch wenn sie eher kleinere finanzielle Auswirkungen haben, sind sie für die Medienvielfalt sehr wichtig.
Leider bin ich weniger zuversichtlich, was die direkte Medienförderung angeht. Diese würde vor allem bei den Online-Zeitungen dringend benötigt. Dort spüre ich vom SVP-Medienminister Albert Rösti überhaupt keine Signale, dass ihm das wichtig wäre. Er schenkt der Medienförderung allgemein kaum Interesse.
«direkt»: Gibt es andere politische Ebenen, die aktiv werden könnten?
Die Kantone müssen dort in die Bresche springen, wo der Bund blockiert. Viele Kantone haben bereits gesetzliche Grundlagen dafür geschaffen. Andere könnten diese schaffen oder auch Ad-hoc-Massnahmen beschliessen, um kleine journalistische Plattformen auf kantonaler oder kommunaler Ebene zu fördern. Dabei geht es immer nur um Teilfinanzierungen und nicht darum, dass die öffentliche Hand die gesamten Produkte bezahlt. Da hätte man einen grossen Hebel, um sehr viel für die Medienvielfalt und Qualität zu erreichen. Gerade jetzt, wo sich die grossen Medienkonzerne wie Tamedia sukzessiv zurückziehen, ohne wirklich Terrain abzugeben. Denn das Vorgehen von Tamedia ist perfide, das haben wir bei «Le Matin» gesehen: Es gab Interesse, den Titel unter anderer Führung zu übernehmen, aber Tamedia wollte das nicht. Sie wollen keine publizistische Konkurrenz. Das ist verheerend, denn diese braucht es für eine lebendige Medienvielfalt.
Heute zudem angekündigt: CH Media plant Abbau von 150 Stellen