Das gesetzlich festgelegte Rentenalter in der Schweiz ist für viele Arbeitnehmende nicht von Bedeutung. Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass Frühpensionierungen beliebt sind. Ab 50 Jahren nimmt die Erwerbsquote stetig ab. Mit 65 Jahren sind gerade noch 36% der Männer und mit 64 Jahren noch 28% der Frauen arbeitstätig.
Hohe Löhne, frühe Pensionierung – und umgekehrt
In der Diskussion um die Erhöhung des Rentenalters wird meist von einer durchschnittlichen Person ausgegangen. Mit der statistisch höheren Lebenserwartung etwa sei klar, dass auch länger gearbeitet werden könne. Doch die durchschnittliche Person gibt es nicht.
Es wird oft ausser Acht gelassen, dass sich die Situation von älteren Arbeitnehmenden sehr stark unterscheidet. Ob man sich frühpensionieren lassen kann, ist unter anderem davon abhängig, in welcher Branche man tätig ist oder was für ein Einkommen vor der Pensionierung erzielt wird.
In der Kredit- und Versicherungsbranche beispielsweise gibt es am meisten Arbeitnehmende, die sich eine Frühpensionierung leisten können. Fast zwei Drittel der Angestellten in der Finanzbranche nutzen diese Möglichkeit. Beim Medianlohn von Bankmitarbeitenden von 10’211 Franken (Lohnstrukturerhebung des Bundes, 2020) können sie es sich auch locker leisten.
Ganz anders sieht es bei Branchen mit tiefen Löhnen aus. Etwa im Detailhandel (4’997 Franken) oder bei den persönlichen Dienstleistungen (4’211 Franken), wo der Medianlohn nicht mal halb so hoch ist. Den Arbeitnehmenden in diesen Branchen bleibt nichts anderes übrig, als bis zur ordentlichen Pensionierung zu arbeiten.
Tiefe Rente, tiefe Lebenserwartung
Ein zweiter, oft unbeachteter Aspekt ist der Zusammenhang von Einkommen und Lebenserwartung. In einer Untersuchung hat Maxime Moix erstmals systematisch die Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Lebenserwartungen und Ungleichheit in der Pensionierung angeschaut. Die Ergebnisse sind eindeutig. Bei den tiefen Einkommen – und folglich tieferen Renten – ist auch die Lebenserwartung deutlich tiefer, sodass real noch viel weniger Rente bezogen wird. Dieser Effekt ist vor allem bei Männern sehr ausgeprägt.
Die einzige wirklich gerechte Lösung wäre eine existenzsichernde Volkspension mit gleicher Rente für alle, von der Putzfrau bis zum Banker. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb ausgerechnet jene, die bereits ein Leben lang in Form von schlechten Arbeitsbedingungen, niedrigem Lohn oder unbezahlt geleisteter Care-Arbeit schon mehr als genug gelitten haben, im Alter in Form einer niedrigen, oftmals nicht einmal existenzsichernden Rente noch ein zweites Mal benachteiligt werden. Die Einführung einer Volkspension würde wohl kaum an den Argumenten scheitern, sondern höchstens an den machtpolitischen Interessen all jener, die vom heutigen System auf Kosten anderer profitieren und nicht bereit sind, den Kuchen, den alle miteinander gebacken haben, auch möglichst gerecht wieder unter alle zu verteilen. Hätten wir eine echte Volkspension, dann bräuchte es keine zweite und dritte Säule mehr – so könnte man sich zugleich auch erhebliche Verwaltungskosten ersparen und all die Bürokratie, das akribische Hin- und Herschieben von Geldern, das eifrige Bemühen, sich Vorteile auf Kosten anderer zu ergattern – all das wäre dann Vergangenheit.