Eine halbe Million Unterschriften: Wenn Frauen sich mobilisieren

In der zweiten Woche der Wintersession lehnte der Nationalrat mit Stichentscheid weitere Gelder für die Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt ab. Das löste eine riesige Welle der Empörung aus, die eine Korrektur dieser Entscheidung ermöglichte.

Rückansicht von Tamara Funiciello, die in einem Halbkreis mit Holzmöbeln sitzt, vor ihr Reihen von Schreibtischen, die mit Akten, Blättern und einem Laptop übersät sind. Sie trägt eine schwarze Jacke mit einer roten Aufschrift „Ni Una Menos” (Nicht eine weniger), die zwei stilisierte Rosen umgibt.
Foto: Anthony Anex (Keystone)

Eine zusätzliche Million Franken waren für die Prävention sexistischer und sexualisierter Gewalt gegen Frauen vorgesehen. Während der Budgetdebatte im Nationalrat stimmte eine Hälfte der Parlamentarier:innen dagegen, die andere dafür. Letztlich musste der Präsident, Pierre-André Page (SVP), seinen Stichentscheid geben. Er stimmte dagegen, obwohl die Schweiz im Jahr 2025 bereits 27 Femizide und einen Anstieg geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt verzeichnet.

Rekordmobilisierung zum Schutz der Frauen

Eine «unglaubliche» Entscheidung, kommentierte die sozialdemokratische Nationalrätin Tamara Funiciello. Daraufhin mobilisierten die SP Schweiz und die SP Frauen sofort Hunderttausende Menschen mit einem Aufruf. Dieser richtete sich an die Mitglieder des Ständerats, der am nächsten Tag entscheiden musste, ob die Million Franken – ein Bruchteil des Gesamtbudgets des Bundes von neun Milliarden – zur Rettung von Leben gerechtfertigt sei oder nicht.

Innerhalb von weniger als 24 Stunden unterzeichneten 250’000 Personen den Appell – 300 bis 400 Personen pro Minute, was die Website der SP Schweiz zeitweise zur Überlastung brachte. Am Dienstagabend demonstrierten zudem Hunderte Menschen vor dem Bundeshaus für einen besseren Schutz der Frauen in der Schweiz.

Ständerat lenkte ein

Diese gewaltige Mobilisierung zeigte Wirkung: Am Mittwoch sprach sich der Ständerat für die zusätzliche Million aus. Das Geschäft geht damit zurück in den Nationalrat. Der Ständerat genehmigte zudem – gleich wie der Nationalrat – eineinhalb Millionen Franken für eine nationale Präventionskampagne.

Zeitgleich verbreitete sich der Appell weiterhin. Am Donnerstag – einen Tag nach der Lancierung des Aufrufs – haben sich bereits 430’000 Personen eingetragen und am Montag darauf war es eine halbe Million Menschen. Nun hat auch der Nationalrat für die zusätzlichen Mittel gestimmt. Alles dank des Drucks, den Aktivist:innen und die SP Frauen auf das Parlament ausübten.

«Wir wollen leben»

Welche Lehren lassen sich aus diesen Tagen ziehen? Erstens: Die feministische Bewegung ist aktiv und kann innerhalb weniger Stunden Hunderttausende Menschen in der ganzen Schweiz mobilisieren. Zweitens, die rechte Parlamentsmehrheit ist bereit, ihre Meinung zu ändern, wenn der Druck aus der Bevölkerung gross genug ist. Und drittens: Frauen und Männer, die die feministische Bewegung unterstützen, fordern einen besseren Schutz von Frauen durch den Staat und lassen sich nicht länger vertrösten.

Die von der SP geplante Initiative gegen patriarchale Gewalt könnte daher über ihr eigentliches Wähler:innenklientel hinaus auf Zustimmung stossen. Die Initiative will in der Verfassung verbindliche Mindeststandards zum Schutz der Opfer und zur Prävention verankern. Damit wäre der Opferschutz von Kanton zu Kanton nicht mehr unterschiedlich. Zudem würde die Eidgenossenschaft verpflichtet, Schutzmassnahmen zu finanzieren.


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