Asti Roesle: «Klimakrise heisst nicht, dass es überall heisser wird.»

Hinter uns liegt ein kaltnasser Frühling. Und auch der Sommer lässt auf sich warten. Trotzdem ist 2024 bereits nach einem halben Jahr klimatisch von Extremen geprägt. Asti Roesle von der Klima-Allianz Schweiz erklärt in ihrer Kolumne, warum das so ist und was es jetzt braucht.

Es regnete gefühlt monatelang. Viele Bäche, Flüsse und Seen traten über die Ufer. Sintflutartiger Niederschlag löste im bündnerischen Misox jüngst gar eine Gerölllawine aus, die das Tal verwüstete. Gleichzeitig leiden Menschen in Südosteuropa, Indien und in anderen Teilen der Welt unter erneuter Rekordhitze. Wie kommt es zu dieser riesigen Diskrepanz?

2024 ist global gesehen bereits jetzt ein aussergewöhnliches Jahr in Sachen Klimaauswirkungen. Nur: Nachrichten dazu schaffen es neben den furchtbaren Kriegsereignissen im Gazastreifen, in der Ukraine oder im Sudan kaum mehr in die Schlagzeilen. Oder nur dann, wenn sich die Ereignisse unmittelbar vor unserer Haustür abspielen.

«Wie von den Klimawissenschaftler:innen bereits seit längerem vorhergesagt, häufen sich nicht nur Dürren, sondern alle Arten von extremen Wetterereignissen. Diese werden zudem immer intensiver.»

Weltweite Superlative

Dabei gab es dieses Jahr bereits auf allen Kontinenten verheerende Dürrerekorde. Sambia, Katalonien, Pakistan, Indien oder Texas sind nur einige Beispiele. Werfen wir einen Blick auf eine Region der nördlichen Hemisphäre: Auf das Öl- und Trump-Land Texas in den USA. Katharine Hayhoe, Professorin an der Texas Tech University, bezeichnet ihren Heimatbundesstaat inzwischen als Aushängeschild für extreme Wetterereignisse. Im Februar verbrannte der schlimmste Waldbrand in der Geschichte des Staates mehr als eine Million Hektar Land. Das entspricht ungefähr einem Viertel der Fläche der Schweiz. Im Mai kletterte das Thermometer weit über 40 Grad Celsius, gefolgt von Hagel und Tornados. Gleichzeitig wollen die führenden Politiker:innen des ölreichen Bundesstaates über die regulative Ebene dafür zu sorgen, dass weiterhin in fossile Brennstoffe investiert werden kann. Das mutet schlicht verrückt an.

Schadenskompensation dringend nötig

Wie von den Klimawissenschaftler:innen bereits seit längerem vorhergesagt, häufen sich nicht nur Dürren, sondern alle Arten von extremen Wetterereignissen. Diese werden zudem immer intensiver. Wussten Sie zum Beispiel, dass Dubai, Millionenstadt und ölproduzierender Wüstenstaat in den Vereinigten Arabischen Emiraten, im April von heftigen Überschwemmungen überrascht wurde? Die Regierung des Stadtstaates musste 544 Millionen Dollar für die Reparatur von Häusern bereitstellen. Normalerweise regnet es in Dubai so wenig, dass das Emirat regelmässig auf technische Lösungen wie Wolkenimpfungen zurückgreift, um Niederschläge zu provozieren.

Von technischen Lösungen zur Minderung von Klimaschäden – geschweige denn staatlichen Schadenskompensationen – können die meisten Länder des globalen Südens nur träumen. Jedoch besteht eine winzige Hoffnung, dass bei den nächsten globalen Klimaverhandlungen Massnahmen im Bereich der Klimafinanzierung angestrebt werden. Das wäre auf jeden Fall einer der unabdingbaren Schritte für mehr Klimagerechtigkeit. Auch die Schweiz ist als reiches und gut vernetztes Land gefordert, Lösungsansätze in diesem Bereich voranzutreiben.

«Der Klimawandel hat nicht überall eine kontinuierliche Erwärmung zur Folge, sondern er verändert die Wetter- und Klimamuster weltweit. Diese Veränderungen erfordern koordinierte globale Anstrengung, um die Auswirkungen zu mildern.»

Gleichzeitigkeit von Rekordhitze und Kälte

Zurück zum Schweizer Klima: Mein Eindruck ist, dass sich bei uns die Jahreszeiten verschieben. Die Frühlinge sind länger kalt und nass, die Herbste länger warm und trocken. Gemäss Klimawissenschaftler:innen könnte das mit den sich verändernden Meeresströmungen zusammenhängen. Der Atlantische Ozean und insbesondere der Golfstrom spielen eine wesentliche Rolle im europäischen Klima. Klimamodelle zeigen, dass sich der Golfstrom aufgrund der Eisschmelze in Grönland und dem veränderten Salzgehalt im Meerwasser abschwächen könnte. Das kann zu kälteren Wintern in Europa führen, während andere Teile der Welt Rekordhitze erleben.

Der Klimawandel hat nicht überall eine kontinuierliche Erwärmung zur Folge, sondern er verändert die Wetter- und Klimamuster weltweit. Diese Veränderungen erfordern koordinierte globale Anstrengung, um die Auswirkungen zu mildern und sich an die neuen Realitäten anzupassen. Gleichzeitig sind lokale Initiativen gefragt. Solche sind gerade in der Schweiz mit ihrer föderalistischen Struktur gut möglich.

«Individuelle Massnahmen zur Reduktion des eigenen CO2-Fussabdrucks sind wichtig, aber in erster Linie braucht es kollektive Anstrengungen und politische Massnahmen.»

Verantwortung übernehmen

Individuelle Massnahmen zur Reduktion des eigenen CO2-Fussabdrucks sind wichtig, aber in erster Linie braucht es kollektive Anstrengungen und politische Massnahmen. Als Bürger:innen können wir uns aktiv bei allen anstehenden Abstimmungen, welche Auswirkungen auf das  Klima haben, auf kommunaler, kantonaler wie auch nationaler Ebene einsetzen: Verpassen Sie keine Abstimmung und erinnern Sie ihr Umfeld daran! Oder noch spannender und herausfordernder: Versuchen Sie, Bekannte, Verwandte und Freund:innen mit anderer politischer Haltung davon zu überzeugen, dass Klimaschutzpolitik nicht ein Partikularinteresse von rot-grün ist, sondern das weitere Leben auf diesem Planeten essentiell beeinflusst. Zeigen Sie jenen Politker:innen im Stände- und Nationalrat die rote Karte, die für die Protesterklärung gegen das Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Parlament gestimmt haben.

Es liegt in unserer Verantwortung, die wissenschaftlichen und meteorologischen Erkenntnisse ernst zu nehmen und verschiedene Lösungswege zu unterstützen, um eine nachhaltigere Zukunft zu sichern. Die extremen Wetterereignisse betreffen alle und – je länger, desto mehr auch immer härter.


Asti Roesle ist Koordinatorin bei der Klima Allianz Schweiz zum Thema Finanzsektor und Klima. Die ausgebildete Forstingenieurin und Juristin ist seit über 20 Jahren Klimaaktivistin und arbeitete während 14 Jahren in internationalen Umweltprojekten bei Greenpeace.

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin. 

2 Kommentare

  1. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Frühlinge nässer und kälter sind. 2020 und 2022 habe ich als relativ warme und sonnige Frühlinge in Erinnerung. Im Mai 22 war es ja auch schon um Monatsmitte 30 Grad. Das die Spätesommer/Herbste wärmer werden würde ich aber zustimmen. Ich muss aber zugeben, dass mein Erinnerungsvermögen nicht sehr weit zurückgeht und ich die Veränderungen nicht wirklich bezeugen kann (Jahrgang 2001).

  2. Wolkenimpfen in Dubai??? Wo passiert das sonst noch? Könnte das nicht auch mit einen Grund für das ver-rückte Wetter sein? Co2 ist nur 0.4% in der Atmosphäre. Fragen über Fragen.

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