Rudolf Strahm: «Prämienverbilligungen für die unteren und mittleren Einkommen sind gerechtfertigt.»

Im Abstimmungskampf rund um die Prämien-Entlastungs-Initiative wird die Prämienlast kleingeredet. Der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm zeigt in seiner Kolumne auf, wen die Prämienlast trifft und wieso auch die Mehrheit der Mitte- und der SVP-Wählenden die Prämienentlastung befürwortet.

Foto von Rudolf Strahm
Foto: A. Boutellier

Was da zur Prämien-Entlastungs-Initiative nicht alles behauptet wird! Wir erleben derzeit einen regelrechten Kampfjournalismus mit Statistiken, Prognosen und Hypothesen. «SP-Prämieninitiative ist eine Kostenbombe», behauptet etwa die Handelszeitung. «Sind wir etwa selber schuld?», fragt die NZZ am Sonntag. Die liberale NZZ-Wirtschaftsredaktion kommt derweil zum Schluss: «Das Klagen über die Prämienlast ist übertrieben». Auch die Weltwoche am rechten Rand äussert sich zu den «Umverteilungs-Ingenieuren», die mit der SP-Prämieninitiative innerhalb der Schweiz «den soliden Osten gegen den lockeren Westen ausspielen» wollen.

Jetzt, wo es um eine gezielte Stützung jener Haushalte geht, die aufgrund der unsozialen Kopfprämie zu hohe Prämien bezahlen, lamentieren die Gegnerinnen und Gegner mit Durchschnitthaushalten.

Der Hintergrund dieses ausserordentlichen journalistischen Kampfes ist, dass gemäss aktuellen Umfragen 60 Prozent der Stimmberechtigten (darunter auch eine Mehrheit der Mitte- und der SVP-Sympathisanten) heute einen Prämien-Deckel befürworten.

Wer trägt die Last der Prämien?

Die schlagende Waffe der journalistischen Initiativgegner besteht darin, dass sie mit Durchschnitten und Medianzahlen der Haushaltseinkommen und Haushaltskosten fechten. Dabei ist die Prämienverbilligung gemäss der Initiative eben genau ein zielgerichtetes Instrument. Sie zielt gerade nicht auf den Durchschnitt, sondern auf jene, bei denen die Prämienbelastung mehr als 10 Prozent des Einkommens beträgt.

Bei der März-Abstimmung über die 13. AHV-Rente richtete sich die bürgerliche Kampfparole gegen die „Streu-Subvention“ auf alle Rentner und Rentnerinnen, speziell gegen die «Subventionierung der Reichen». Jetzt, wo es um eine gezielte Stützung jener Haushalte geht, die aufgrund der unsozialen Kopfprämie zu hohe Prämien bezahlen, lamentieren die Gegnerinnen und Gegner mit Durchschnitts-Haushalten.

Diese Argumentation mit dem «Durchschnittshaushalt», wie dies die NZZ wiederholt ins Feld führt, ist verwirrend und dient zur Ablenkung von der sozialen Frage.

Laut der Haushaltseinkommens- und Ausgaben-Erhebung (HABE) des Bundesamts für Statistik (BFS), wie sie von der NZZ vorgeführt wird, sind für die «Durchschnittshaushalte» mit durchschnittlich 2,1 Personen im Zeitraum von 2006 bis 2021 die Krankenkassen-Prämien von 483 auf 684 Franken pro Monat gestiegen. Im gleichen Zeitraum sind aber die durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 8551 auf 9788 pro Monat gewachsen. Also: durchschnittlich plus 201 Franken Mehrkosten bei den Prämien, aber durchschnittlich 1237 Franken Mehreinnahmen. Was jammern die denn noch?

Das Problem dabei: Um korrekt zu argumentieren, muss man nach Einkommensklassen differenzieren! Diese Differenzierung der HABE gibt es nämlich – allerdings mit unentschuldbarer Verspätung der Publikation durch das Bundesamt für Statistik.

Die Aufgliederung der HABE nach fünf Einkommensklassen stammt aus den zurückliegenden Dreijahreswerten von 2015 bis 2017, obschon die HABE jährlich bis heute erhoben wird. Diese Verzögerung durch die BFS-Direktion hat eine politische Note: Man drückt sich um sozial differenzierte und einkommensmässig abgestufte Daten.

Die Prämien-Entlastungs-Initiative, über die wir am 9. Juni befinden werden, entlastet genau jene Familien und Haushalte, die entlastet werden müssen.

Weder das Bundesamt für Gesundheit noch das Bundesamt für Sozialversicherung haben diese Differenzierung angemahnt. Durchschnittswerte publiziert man gerne, doch die Differenzierung nach Einkommensklassen vertagt man, bis sie veraltet ist. Mit Statistik macht man Politik. Die nächste einkommensmässig differenzierte Statistik soll erst Ende Juni 2024 (nach der Volksabstimmung!) zugänglich werden. Wir benützen hier faute de mieux die zuletzt verfügbaren Werte von 2015 bis 2017. Dabei muss beachtet werden: Die Prämienlast ist seit 2017 deutlich gestiegen.

Die Aufgliederung der Prämienlast nach Einkommensklassen statt in Durchschnittswerten zeigt damit deutlich: Die enorm grossen Belastungsunterschiede rechtfertigen eine gezielte Prämienverbilligung für die unteren und mittleren Einkommen. Die Prämien-Entlastungs-Initiative, über die wir am 9. Juni befinden werden, entlastet genau jene Familien und Haushalte, die entlastet werden müssen. Nach der Argumentation der Bürgerlichen und der rechten Medien bei der 13. AHV-Rente müssten diese eigentlich am 9. Juni die gezielte Prämien-Entlastungs-Initiative befürworten. Aber sie beweisen mit ihrer Haltung einmal mehr, dass sie die Kaufkraft-Nöte der weniger betuchten Bevölkerung erneut ignorieren.


Rudolf Strahm, war SP-Nationalrat, und eidgenössischer Preisüberwacher. Er war sieben Jahre SP-Zentralsekretär wirkte vier Jahre als Präsident des bernischen und 13 Jahre als Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (Deutschschweiz).

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung des Autors.


 

3 Kommentare

  1. Alle Modelle zur Prämienentlastung funktionieren nur mit der sofortigen Forderung: Runter mit den Gesundheitskosten! Ohne ein massives Vorwärtsmachen in diese Richtung scheitern alle blossen Umverteilungen.

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