Eine Untersuchung von 2019 zeigt, dass Männer oft Führungspositionen einnehmen, ohne etwas Besonderes geleistet zu haben. Vielmehr sind sie dort, weil sie selbstbewusst sind. Gemäss dem Forscher Tomas Chamorro wirken Männer oft überzeugend, ohne tatsächlich etwas zu können. Frauen sind in der Regel zurückhaltender, auch selbstkritischer – selbst dann, wenn sie tatsächlich etwas geleistet haben.
Selbstbewusstsein wird also mit Können verwechselt. Die Folgen: In Gruppen werden oft jene Personen als Anführer:innen gewählt, die aggressive, selbstbezogene und narzisstische Tendenzen aufweisen. Eigenschaften, die aufgrund deren Sozialisation, öfter bei Männern zu finden sind. Das Problem: Man braucht diese Eigenschaften, um in Führungspositionen zu kommen, aber nicht, um erfolgreich zu führen. Chamorro folgert: Die Eigenschaften, die es Menschen ermöglichen, an die Spitze zu kommen, sind die gleichen Eigenschaften, die sie als Führungskraft scheitern lassen. Es sind also nicht nur viel mehr Männer in Führungspositionen als Frauen, diese Männer sind auch noch viel zu oft völlig ungeeignet für eine Führungsfunktion.
Während man Männern Dinge zutraut, die sie gar nicht beherrschen, spricht man Frauen generell Kompetenz ab: Lebensläufe von Frauen werden bei exakt gleicher Qualifikation systematisch schlechter bewertet als jene der Männer.
Aber was braucht man als Führungskraft? Gemäss Chamorro Bescheidenheit, Anpassungsfähigkeit und Teamfähigkeit. Attribute, die, ebenfalls durch Sozialisationsprozesse, deutlich mehr Frauen in sich vereinen – die aber auf dem Weg nach oben nicht gefragt sind.
Frauen müssen mehr leisten
Während man Männern Dinge zutraut, die sie gar nicht beherrschen, spricht man Frauen generell Kompetenz ab: Lebensläufe von Frauen werden bei exakt gleicher Qualifikation systematisch schlechter bewertet als jene der Männer. Eine bekannte Studie über die fünf wichtigsten Orchester der USA zeigt: Erst als man das Auswahlverfahren anonymisierte und alle Bewerber:innen hinter einem Vorhang spielen liess, stieg der Frauenanteil. Weil nun nicht mehr das Vorurteil griff, Frauen seien für komplizierte klassische Musik weniger geeignet als Männer.
Die Folge davon: Um ernst genommen zu werden und um erfolgreich zu sein, müssen Frauen mehr leisten als Männer. «Die Leute werden dir eher zuhören, wenn sie einen Schwanz dahinter vermuten», schreibt die Autorin Siri Hustvedt in «Die gleissende Welt». Im Roman erzählt sie die Geschichte einer Künstlerin, deren Werk erst gefeiert wird, als sie sich als Mann ausgibt.
Höhere Ansprüche
Frauen müssen sich aber nicht nur mehr beweisen, sie müssen auch umgekehrt darauf achten, nicht «zu männlich» zu wirken. Es ist für Frauen oft keine Lösung, einfach Männer zu kopieren und selbstbewusst aufzutreten. Manchmal hilft das zwar, kann aber auch negative Folgen haben: Kelley Massoni und Joey Sprague haben in ihren Untersuchungen zu Gender-Erwartungen im Beruf herausgefunden, dass Frauen beruflich Sanktionen und Nachteile erfahren, wenn sie sich nicht «weiblich» genug verhalten. Konkret: Wenn sie nicht fürsorglich oder empathisch genug sind. Auch Politikerinnen gegenüber wurden Erwartungshaltungen in Bezug auf ihre Empathie festgestellt. Die Tatsache, dass es Hillary Clinton nicht gelang, die erste US-Präsidentin zu werden, beruht zu einem nicht geringen Teil darauf, dass man ihr vorhielt, bestimmte emotionale Skills wie Empathie und Fürsorglichkeit nicht in ausreichendem Mass mitzubringen.
Viele Frauen nehmen Gefühle der Missbilligung bis ins Erwachsenenalter mit. Die Erfahrung, dass ihnen weniger zugetraut wurde, dass sie im Unterschied zu ihren Brüdern kritisiert wurden, wenn sie aus der Reihe tanzten, kann bewirken, dass Frauen sich als unzulänglich und minderwertig begreifen.
Wieso halten sich aber diese Vorurteile, obwohl wir gesetzlich gleichgestellt sind? Sozialisationsprozesse laufen noch immer stereotyp ab: Mädchen werden häufiger dazu aufgefordert, zu gefallen oder sich um soziale Belange zu kümmern wie zum Beispiel um kleine Geschwister. Töchter werden eher verantwortlich gemacht für die Gefühlslagen anderer und sie bekommen Anerkennung dafür, wenn sie sich darum kümmern. Buben wiederum erhalten mehr Lob für Tätigkeiten, die an Autonomie ausgerichtet sind. Dazu gehört etwa, auf einen Baum zu klettern oder ein kompliziertes technisches Gerät zusammenzubauen.
Unterschiede bei der Erziehung
Auch sind Eltern gegenüber Töchtern kritischer als gegenüber Söhnen. Mehr als eine von fünf befragten Müttern gibt zu, dass sie bei Verhaltensweisen von Jungen, für die sie ihre Mädchen tadeln würden, ein Auge zudrücken. Weiter ergaben Untersuchungen, dass Jungen und Mädchen insgesamt gleich viel Lob von ihren Eltern erhalten, dass aber die Art des Lobes unterschiedlich ist: Jungs erhalten bereits dann Lob, wenn sie etwas versuchen, auch dann, wenn noch keine Erfolge oder Resultate vorliegen. Sie werden also allein für ihre Bemühung gelobt. Mit der Folge, dass Jungen im Alter von sieben bis acht Jahren mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit eine so genannte «Wachstumsmentalität» entwickelt haben. Das heisst, dass sie eher darauf eingestellt werden, Dinge einfach auszuprobieren und zu machen, und sich nicht von eventuellen Rückschlägen abschrecken zu lassen.
Frauen stehen massiv unter Druck, andauernd zu gefallen, perfekt zu sein und es allen recht zu machen. Ihre Erschöpfung ist bodenlos.
Viele Frauen nehmen Gefühle der Missbilligung bis ins Erwachsenenalter mit. Die Erfahrung, dass ihnen weniger zugetraut wurde, dass sie im Unterschied zu ihren Brüdern kritisiert wurden, wenn sie aus der Reihe tanzten, kann bewirken, dass Frauen sich als unzulänglich und minderwertig begreifen. Dies könnte auch einer der Gründe sein, warum Frauen weitaus selbstkritischer sind als Männer, die oft eine ungezwungenere Haltung einnehmen, wenn es darum geht, Fehler zu machen und diese zu überwinden.
Frauen stehen massiv unter Druck, andauernd zu gefallen, perfekt zu sein und es allen recht zu machen. Ihre Erschöpfung ist bodenlos.
Franziska Schutzbach ist Buchautorin, promovierte Geschlechterforscherin, feministische Aktivistin sowie Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. 2021 hat sie den Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» veröffentlicht.
Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin.
Es geht weniger um Frauen / Männer sondern viel mehr um Charakterzüge. In unserem System werden Selbstvertrauen, Charisma und Narzissmus befördert, was bei Männer offenbar verbreiteter ist. Oft sind solche Chefs aber schlecht für die Mitarbeitenden und führen zu keiner nachhaltigen Unternehmensentwicklung…
Es besteht ein pathologisches Missverhältnis zwischen den Qualitäten, die uns in einer Führungspersönlichkeit verführen, und denen, die für eine effektive Führung erforderlich sind. Chamorro-Premuzic zeigt auf der Grundlage von Forschungsergebnissen zur Führungspsychologie, dass wir nicht nur kompetentere, sondern auch mehr weibliche Führungskräfte hätten, wenn die Führungskräfte nach Kompetenz statt nach Selbstvertrauen, Bescheidenheit statt nach Charisma und Integrität statt nach Narzissmus ausgewählt würden…
https://m.youtube.com/watch?v=zeAEFEXvcBg
Menschen ziehen in der Wahl ihrer Lebens- oder Arbeitspartner eben eher diejenigen vor, die in allen Belangen ihnen am meisten ähneln punkto anzunehmender Art, Fähigkeiten und Interessen. Daher auch in Führungspositionen. Dies gilt geschlechterweise, rassenweise, zugehörigkeitshalber usw. Ist doch klar. Darum: Verzweifelt nicht, liebe Frauen wenns nicht weitergeht mit der Gleichstellung, und langweilt uns nicht weiter, kontraproduktiv !!
Die letzten Prozente vor dem absoluten Ziel sind heavy.
Forget it, enjoy a little bit all that you (or we?) reached so far.
(74,Ing.ETH, hetero, „classically and crically“ links, Züri Oberland.)