«Harris erlaubt uns zu hoffen, dass es auch in dieser schwierigen Gegenwart Funken von Gelingendem gibt.»

Der Wahlkampf in den USA hat mit der Kandidatur von Kamala Harris eine überraschende Wende genommen. Dabei geht es nicht nur um ihre politischen Überzeugungen, sondern auch um die Freude, die Harris verbreitet, sagt Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach.

Foto: Anne Morgenstern

Im Musical «Two by Two» von Richard Rodgers, das ich als Kind hörte und das auch meinen Kindern gefiel, fleht Noah Gott verzweifelt an, er möge es sich mit der Überschwemmung des Planeten nochmals überlegen. Noah fragt Gott: «There has to be something, somewhere, something that you like?» Zu Deutsch: Es muss doch irgendwo irgend etwas geben, das du magst?» Gibt es denn nichts, für das es sich lohnen würde, nicht alles zu zerstören? Möchtest du es dir, lieber Gott, vielleicht doch nochmal überlegen, ob du nicht wenigsten ein einziges gutes Haar an den Menschen lassen könntest?

«Reaktionäre Propaganda lebt davon, Dystopien zu verbreiten: Unsere Werte gehen unter, alles ist schlecht, früher war es besser, Schuld sind die anderen.»

Ich glaube, dass Menschen sich derzeit danach sehnen, jemand möge ihnen auch mal wieder sagen: «that there is something, that we like (about ourselves)» – da gibt es etwas, das wir (an uns selbst) mögen.

Trump und der Untergang

Ich weiss nicht, ob Kamala Harris das Musical «Two by Two» kennt, aber wie Rodgers sucht und findet die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten das Gute, das Positive, und greift so einen zentralen Pfeiler von Donald Trumps Narrativ an: Die Untergangsstimmung.

«Die Rhetorik des Untergangs macht keine Vorschläge, wie das Zusammenleben gelingen könnte.»

Reaktionäre Propaganda lebt davon, Dystopien zu verbreiten: Unsere Werte gehen unter, alles ist schlecht, früher war es besser, Schuld sind die anderen. Hört man Donald Trump und anderen zu, gibt es in der Gegenwart nichts, worauf man stolz sein könnte, nichts, wofür es sich zu leben lohnt. Alles Bestehende ist des Teufels. Wie Richard Wagner schreibt: «Die Welt ist schlecht, grundschlecht». Man kann sie nicht verbessern, man kann sie nur niederreissen.

Die Rhetorik des Untergangs macht keine Vorschläge, wie das Zusammenleben gelingen könnte. Ziel ist nicht die Lösung von Problemen, vielmehr geht es um emotionale Erregung und die Mobilisierung von Anti-Haltungen und Zerstörungswut. Gehuldigt wird dem «Dagegensein». Man will keinen Wandel, keine komplexen demokratischen Aushandlungen, keine Reformen, keine gemeinsam gefundenen Lösungen, sondern hartes Durchgreifen.

«Wir haben die Untergangsszenarien schon so verinnerlicht, dass wir uns über Harris gute Laune erstmal die Augen reiben.»

Die Prophezeiung der unabwendbaren Katastrophe war bislang Trumps Trumpf: Amerika geht vor die Hunde, und der Einzige, der das richten kann, ist Trump. Es geht um eine Typologie der Macht, die gewissermassen die Katastrophe will, der bevorstehende Untergang ist identitätsstiftend und legitimiert autoritäres Durchregieren, Ressentiments und Hass. Ähnliches sehen wir beim AfD-Politiker Björn Höcke, wenn er in seinem Buch vom «Volkstod» durch Migration schreibt, den nur er, und zwar mit «wohltemperierter Grausamkeit», wie er schreibt, stoppen könne.

Auftritt Harris

Die Demokratin setzt nun Trumps Nihilismus ein Programm der Freude entgegen. Das ist nicht nur unfassbar kühn in einer krisengeschüttelten Welt, sondern auch überraschend. Wie kann sie es wagen, in dieser kaputten Welt Freude auszustrahlen? Wir haben die Untergangsszenarien schon so verinnerlicht, dass wir uns über Harris gute Laune erstmal die Augen reiben. Manche von uns – ich bekenne, dazu zu gehören – spüren eine tiefe Erleichterung. Endlich ist da eine Person, die das Leben und sogar die Politik zu lieben scheint – trotz allem!

Auch wenn Harris natürlich nicht die Repräsentantin von wirklich linker, emanzipatorischer Politik ist: Ihr könnte es gelingen, eine erneute Präsidentschaft von Trump abzuwenden.  Denn plötzlich scheinen Trump mit seine wabernden Untergangsszenarien «eigenartig» oder «weird», wie Harris ihn bezeichnet. Trump, der seinen Machtanspruch über das Unheil geltend macht, scheint plötzlich der Boden zu entgleiten, auf dem seine Saat gedeihen kann.

Hier ist eine, die seine Untergangsszenarien nicht nur mit Argumenten, sondern vor allem mit schierer Freude entkräftet. Harris und ihr Vizekandidat Tim Walz kündigten diese Freude nicht nur in ihren ersten Ansprachen an, Harris strahlt sie auch glaubwürdig aus. Sie hat, wie es scheint, Freude an der Politik, am Leben, an den Menschen und an Amerika. Harris erlaubt uns zu hoffen, dass es auch in dieser schwierigen Gegenwart Funken von Gelingendem gibt. «She brings back joy», wie Walz über die Präsidentschaftskandidatin sagte – sie bringt die Freude zurück.

«Kamala Harris vermittelt: Schaut, wofür es sich zu kämpfen lohnt!»

Wider die Hoffnungslosigkeit

Wenn Harris fröhlich die Bühne betritt, spürt man, wie satt man selbst das Gerede von der Schlechtheit von allem hatte. Natürlich reicht diese «Freude» nicht. Harris muss auch Kompetenz, Führung, programmatische Inhalte und vor allem realpolitische Angebote für die Menschen mitbringen. Aber Performance zählt nun mal im Wahlkampf, und es gelingt ihr auf traumhaft leichtfüssige Weise, Trumps untergangsbesoffene Freudlosigkeit zu entlarven. Plötzlich steht da eine, die sagt: «Hier auf dieser Welt, hier in diesem Land, gibt es auch ein paar gute Dinge!»

«Vielleicht haben es die Leute satt, dauernd nur untergehen zu müssen. Wenn wir Glück haben, wollen die Menschen auch wieder hören, dass die Welt nicht nur grauenhaft ist, dass sie nicht nur des Teufels sind, sondern manchmal auch ganz okay.»

Kamala Harris vermittelt: Schaut, wofür es sich zu kämpfen lohnt! Zum Beispiel für die Möglichkeit, dass eine wie sie, die erste Frau of Color, als Präsidentschaftskandidatin auf der Bühne steht. Harris macht uns das Geschenk, uns für einen kleinen Moment wieder selbst ein wenig zu mögen.

Vielleicht haben es die Leute satt, dauernd nur untergehen zu müssen. Wenn wir Glück haben, wollen die Menschen auch wieder hören, dass die Welt nicht nur grauenhaft ist, dass sie nicht nur des Teufels sind, sondern manchmal auch ganz okay. Ob Harris gewählt wird, wissen wir nicht, mit Optimismus muss man vorsichtig sein. Aber im Moment bin ich im Team Hoffnung.


Franziska Schutzbach ist Buchautorin, promovierte Geschlechterforscherin, feministische Aktivistin sowie Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. 2021 hat sie den Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» veröffentlicht.

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin.

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