«Ich kann Euch alle haben»: das ist der Titel eines Buches, das der Coach Matthias Pöhm zum Thema «wie man Frauen verführt» veröffentlicht hat. Gemäss Klappentext geht es um die «geheimen Rezepte erfolgreicher Frauenflüsterer». Die Haltung dahinter scheint folgende zu sein: Wenn Männer die richtigen Tricks anwenden, bekommen sie jede Frau – weil jede ihnen zusteht.
«Es gibt zahlreiche Handbücher und Videos, in denen erklärt wird, wie man das Nein einer Frau überwindet. Manche legitimieren auch Gewalt.»
Es ist eine Haltung, die in den vergangenen Jahren in zahlreichen Angeboten ähnlicher Art – etwa bei den so genannten «Pick-Up-Artists» oder bei «Männercoaches» – wieder lautstark zum Ausdruck gebracht wird. Eine Haltung, die nicht zuletzt auch durch millionenstarke Influencer wie dem selbst ernannten «Alpha-Male» Andrew Tate verbreitet wird: Männern steht Sex zu, Männern stehen Frauen zu.
Der Mann, der Eroberer
Pick-Up-Artists (PUA) bezeichnen sich als «Verführungskünstler». Sie bieten an, Männern beizubringen, wie sie jede Frau ins Bett kriegen können. Das Modell entwickelte sich zunächst in den USA und produzierte eine Heerschar von selbsternannten Gurus und Coaches, aber auch von Anhängern. PUAs gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt. Sie sind online unterwegs, in Foren und auf Social Media. Sie treffen sich aber auch physisch zu Workshops und zum gemeinsamen «Aufreissen» in Clubs. PUAs reduzieren Frauen in drastischer Weise auf Sexobjekte. Sie wollen eine Welt, in der endlich wieder klar ist, wer die Hosen an hat. Eine Welt, in der Frauen den Männern zur Verfügung stehen. Es gibt zahlreiche Handbücher und Videos, in denen erklärt wird, wie man das Nein einer Frau überwindet. Manche legitimieren auch Gewalt.
Diese Angebote stossen auf eine verunsicherte Männlichkeit, die offensichtlich mit der fortschreitenden Emanzipation der Frauen nicht umgehen kann. Die Pick-Up-Artists und Flirt-Coaches haben eine einfache Antwort auf die Verunsicherung: Macht über Frauen zu beanspruchen. Das mögen Extrembeispiele sein, aber sie kommen aus einer Normalität, die wir verstehen müssen, wenn wir Gewalt an Frauen verstehen wollen. Die Angebote sind erfolgreich, weil sie an tiefsitzende Vorstellungen über Männlichkeit andocken: Männer sind Eroberer. Ihr Verhältnis zur Frau wurde historisch über einen Verfügungsanspruch definiert. Bis vor kurzem war der Anspruch, über Frauen zu verfügen, sogar gesetzlich verankert: Vergewaltigung in der Ehe war in der Schweiz bis 1992 nicht strafbar. Erst seit 2004 ist Vergewaltigung in der Ehe ein Offizialdelikt. Bis vor kurzem hielt also sogar das Gesetz fest, dass der Mann Anspruch auf Sex hat – auch gegen den Willen der Frau.
Die Abwertung der Frauen
Die Gesetze haben wir geändert, aber Gewohnheiten bestehen weiter. Der männliche Besitzanspruch zeigt sich in zahlreichen popkulturellen Erzeugnissen wie Songs, Filmen, Serien. Und er zeigt sich an den Femiziden – den Morden an Frauen – die am häufigsten dann ausgeübt werden, wenn Frauen es wagen, Männer zu verlassen. Die argentinisch-brasilianische Theoretikerin Rita Segato schreibt, dass das «Mandat der Männlichkeit» vom Mann verlangt, sich ständig als solcher zu beweisen. Die Herabwürdigung der Frau, ihre Vergewaltigung und Belästigung werden Segato zufolge oft eingesetzt, um Männlichkeit gegenüber anderen Männern zu beweisen. «Eine Alte» zuhause zu haben, eine «flach zu legen» oder – in der heutigen Jugendsprache – eine zu «smashen» oder «durchzunehmen», bestätigt den männlichen Status.
Männliche Initiation muss auch heute Potenz und Macht über Frauen beweisen. Und dieser Beweis muss vor allem auch gegenüber anderen Männern erbracht werden. Denn selbst dann, wenn ein Täter allein handelt, machen sich in seinem Geist andere Männer bemerkbar, die ihn auffordern, stark und überlegen zu sein. Es sind, wie Segato schreibt, die «Gesprächspartner im Schatten», es ist diese Kameradschaft, die sie auf die Probe stellt, sie drängt. Der Druck unter Männern, es den Frauen «zu zeigen», ist enorm.
«Der Druck unter Männern, es den Frauen ‹zu zeigen›, ist enorm.»
Männlichkeit muss besonders dann bewiesen werden, wenn Männer sozialen Abstieg befürchten oder tatsächlich erfahren. Die Femizide häufen sich weltweit, der Hass gegen Frauen im Netz hat stark zugenommen. Segato und andere gehen davon aus, dass die zunehmende Gewalt auch als eine Wiederherstellung von Männlichkeit in Zeiten grosser Umbrüche, tatsächlicher und befürchteter Prekarisierung und Angst vor Statusverlust betrachtet werden muss. Kurzum: Der ökonomische Abstieg der Männer ist für Frauen gefährlich, das wankende Patriarchat bedrohlich.
Beziehung mit Besitzanspruch
Gleichzeitig ist es wichtig zu verstehen, dass Gewalt gegen Frauen kein Ausnahme- oder Krisenphänomen ist, sondern dass sie der «Normalität» entspringt. Es gehört zum «normalen» und bis heute tief verankerten Geschlechterklischee, dass Männern Frauen zustehen. Wir haben es mit einem historisch gewachsenen Verfügungsverhältnis zu tun, in dem Männern bestimmte Besitzansprüche über Frauen attestiert wurden. Bis vor kurzem waren diese Ansprüche sogar offiziell institutionalisiert: In der Ehe verfügte der Mann über die Frau, sie «gehörte» quasi dem Mann, sie durfte ohne sein Einverständnis nicht arbeiten, sie konnte straffrei von ihrem Mann vergewaltigt werden, Scheidung war nur möglich mit einem Schuldspruch. Die weibliche Reproduktionsarbeit, der Körper der Frau, ihre Sexualität wurden als Eigentum des Mannes betrachtet. Diese Situation ist zwar gesetzlich überwunden, nicht aber gesellschaftlich. Deshalb spricht die Philosophin Eva von Redecker von einem «Phantombesitz» – der Besitzanspruch wird immer noch geltend gemacht, auch wenn er gesetzlich abgeschafft wurde.
«Gewalt gegen Frauen wird eingesetzt, um die männliche Vorherrschaft abzusichern.»
Es handelt sich um eine Kultur der Verdinglichung, die nicht nur im modernen Geschlechterverhältnis wirksam ist, sondern auch im Verhältnis zur Natur, in der Ausbeutung von Lohnarbeit und in der Geschichte von Rassismus und Kolonisierung. Menschen und besonders Männer werden geprägt von einer patriarchalen und kapitalistisch-kolonialistischen Grundordnung, die einen Anspruch auf Aneignung geltend macht und die anderen als Anzueignende, als zu Erobernde sieht. Gewalt gegen Frauen wird eingesetzt, um die heterosexistische Geschlechterhierarchie zu erhalten und männliche Vorherrschaft abzusichern oder wiederherzustellen.
Eine Kultur der Straflosigkeit
Die Strafrechtlerin und Buchautorin Christina Clemm schrieb jüngst auf X (ehemals Twitter), dass in Berlin weniger als fünf Prozent aller angezeigten Taten wegen sexualisierter Gewalt eine Verurteilung zur Folge haben. Man könne von einer «Kultur der Straflosigkeit sprechen». Warum ist das so? Ein zentraler Punkt, der einen institutionell nachhaltigen Umgang mit sexualisierter Gewalt verhindert, ist, dass der juristische Apparat nicht ausreichend geschult und vorbereitet ist. Dies liegt daran, dass er Gewalt gegen Frauen nicht ernst nimmt. Das wiederum kommt daher, dass Gewalt gegen Frauen immer noch als Ausnahme und nicht als strukturelle Regel angesehen wird.
« Zur Investition in die Gleichstellung würde gehören, sich kritisch mit Geschlechterbildern zu befassen und zum Beispiel die männlichen Ansprüche gegenüber Frauen endlich zum Thema zu machen.»
Feministinnen verweisen seit den 1970er Jahren darauf, dass (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen keineswegs am Rande der Gesellschaft vorkomme und auch nicht lediglich ein durch die Persönlichkeit und das Verhalten Einzelner hervorgerufenes Phänomen sei, sondern etwas Alltägliches ist. Das heisst, Gewalt an Frauen ist «Normverlängerung» und keine «Normverletzung», wie es die Soziologin Carol Hagemann-White formulierte. Gewalt an Frauen ist Ausdruck der alltäglichen, also der bis heute wirksamen Geschlechterungleichheit.
Internationale Massnahmenkataloge halten mittlerweile den Zusammenhang zwischen Geschlechterungleichheit und Gewalt in ihren Programmen fest: Die Istanbul-Konvention, die auch die Schweiz ratifiziert hat, verpflichtet dazu, in die Gleichstellung im Allgemeinen zu investieren, denn nur, wenn wir mehr allgemeine Gleichstellung erreichen, wird die Gewalt zurückgehen. Zur Investition in die Gleichstellung gehört neben Lohngleichheit, sozialer Absicherung, Aufwertung von Care-Arbeit und vieles mehr, sich kritisch mit Geschlechterbildern zu befassen und zum Beispiel die männlichen Ansprüche gegenüber Frauen endlich zum Thema zu machen. Zum Auftrag der Istanbul-Konvention gehört auch, dass der Bund Gelder für Gewaltprävention nicht streicht, wie er es derzeit plant, sondern aufstockt.
Im Rahmen der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» finden seit dem 25. November zahlreiche Veranstaltungen in der ganzen Schweiz statt. Hier findet Ihr alle Infos dazu.
Weiterführende aktuelle Literatur (kleine Auswahl):
- Christina Clemm: «Gegen Frauenhass» (2023)
- Agota Lavoyer: «Ist das okay? Ein Kinderfachbuch zur Prävention von sexualisierter Gewalt» (2023)
- Asha Hedayati: «Die stille Gewalt. Wie der Staat die Frauen allein lässt» (2023)
- Ritas Segato: «Wider die Grausamkeit. Für einen feministischen und dekolonialen Weg» (2023)
- Miriam Suter und Natalia Widla: «Hast Du Nein gesagt? Vom Umgang mit sexualisierter Gewalt» (2023)
Franziska Schutzbach ist Buchautorin, promovierte Geschlechterforscherin, feministische Aktivistin sowie Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. 2021 hat sie den Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» veröffentlicht.
Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin.
Umgekehrt können viele Frauen nicht damit umgehen abgewiesen zu werden. Erst recht in der Beziehung…