Franziska Schutzbach zur Abwertung der Schwachen durch rechte Parteien

Die Geschlechterforscherin fragt sich, warum rechte Parteien derzeit so populär sind. Dahinter stecke die Abwertung von Schwächeren, schreibt Franziska Schutzbach und appelliert an unsere Empathie und Solidarität. Teil I.

Foto: Anne Morgenstern

Derzeit fragen sich viele Menschen, warum rechte Politik so erfolgreich ist. In Deutschland zum Beispiel kam es in den letzten Wochen zu bisher unvorstellbaren Wahlsiegen der AfD. In anderen Ländern geht es in eine ähnliche Richtung, und auch in der Schweiz wird für die aktuellen Wahlen ein Rechtsrutsch vorausgesagt. Auf die Frage, warum rechte und rechtsextreme Angebote hoch im Kurs stehen, gibt es verschiedene Antworten.

Offenbar gibt es eine grosse Sehnsucht danach, dass endlich «durchgegriffen» wird – sei es gegen «unkontrollierte Migration», sei es gegen den «Woke-Wahnsinn». Diese Idee des «Durchgreifens» – die Sehnsucht nach Ordnung in krisengeschüttelten Zeiten – ist nachvollziehbar. Aber sie ist auch autoritär und wird am Ende kaum den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken denn die rechten Programme setzen darauf, Menschen gegeneinander auszuspielen und Feindschaften sowie Aversionen zu schüren.

Ganz zentral ist dabei die Abwertung von gesellschaftlich Schwächeren, also von Minderheiten, Frauen, Kranken, queeren, armen Menschen oder Menschen mit Behinderung. Konkret wirkt sich das in Massnahmen aus, die sich gegen genau diese Gruppen richten. Die SVP etwa will Kürzungen bei jenen, die schon heute wenig haben: Die Sozialhilfe und die Kinderrenten von IV-Rentner:innen sollen gekürzt werden, auch die Ergänzungsleistungen für Menschen mit Behinderung und Betagte, so wie auch die Prämienverbilligung schweizweit. Asylsuchende sollen schlechter gestellt und die Mittel der Gleichstellungspolitik beschnitten werden.

Die SVP verspricht, zuerst zu den «eigenen Leuten» zu schauen. Diese «eigenen Leute» sind aber bei genauer Betrachtung nicht einfache Leute, nicht diejenigen, die von ihrem Lohn leben müssen. Die «eigenen Leute» sind auch nicht arme Menschen, nicht behinderte und betagte Menschen, nicht chronisch Kranke, nicht armutsbetroffene Kinder und schon gar nicht Migrant:innen und Geflüchtete. Auch Frauen und queere Menschen gehören nicht zu den «eigenen Leuten». Das zeigt rechte Politik, die ein ums andere Mal gegen die Umsetzung von Gleichstellung und Antidiskriminierung politisiert. Die «eigenen Leute», die von rechten Massnahmen tatsächlich profitieren, sind in Wahrheit eine verschwindend kleine und privilegierte Minderheit.

Das rechte Gedankengut ist im Kern hierarchisch geprägt, von der Idee also, dass manche Menschen und Lebensweisen anderen überlegen sind, dass manche «Kulturen» (früher Hautfarben) «zivilisierter» sind, dass Männer das Sagen haben und «durchgreifen». Oder davon, dass eine bestimmte Familienform oder eine bestimmte Geschlechtsidentität die richtige ist.

Die Schwachen werden als Starke dargestellt

Schwächere werden aber nicht nur abgewertet, sie werden gleichzeitig und paradoxerweise auch als heimliche Starke mit einer gefährlichen Agenda dargestellt – als «Sozialschmarotzer», «Scheinasylanten» oder «Gender-Lobbyisten». Dies wiederum hat den Effekt, dass Menschen sich als Opfer dieser vermeintlich hinterhältigen Schwachen begreifen und daraus ableiten: Wenn diese Schwachen gefährlich sind und ich das Opfer bin, darf man auch mit allen Mitteln gegen sie vorgehen. Rechte Politik wird dann als eine Art Notwehr legitimiert.

«Bestimmte Gruppen werden mittels einer Sündenbock-Logik zum Ursprung der eigenen Not gemacht. Mit dem Resultat, dass viele Menschen rechts wählen – und damit aber gegen ihre eigenen Interessen stimmen.»

Es handelt sich um ein vielversprechendes Angebot: sich als Opfer zu fühlen. Das verfängt deshalb so gut, weil viele Menschen bereits das Gefühl haben, zu kurz zu kommen. Und dies oft zurecht: Erschöpfung, Ver­un­si­che­rung, Abstiegsängste, Erfah­run­gen von Schwä­che, Sinn­lo­sig­keit, Dis­kri­mi­nie­rung, Ein­sam­keit und Pre­ka­ri­sierung haben meist eine reale Grund­lage. Wahr ist auch, dass Politik zum Teil auf leeren Ver­spre­chun­gen basiert, dass viele Men­schen ver­nach­läs­sigt werden und zu kurz kommen.

Die rechte Rhetorik lenkt diese Gefühle des Zu-kurz-kommens in eine irreführende Inter­pre­ta­tion von Ursa­che und Wirkung. Bestimmte Gruppen werden mittels einer Sündenbock-Logik zum Ursprung der eigenen Not gemacht. Mit dem Resultat, dass viele Menschen rechts wählen – und damit aber gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Denn auch rechte Wähler:innen sind im Verlauf ihres Lebens irgendwann mal schwach, alt, krank, prekär oder erfahren Diskriminierung. Trotzdem wählen sie rechts, weil man ihnen lange genug eingeredet hat: Schuld an ihrem Gefühl, zu kurz zu kommen, sind «Ausländer» und «Sozialschmarotzer».

Anti-Woke-Rhetorik schürt Aversionen gegen die Schwächeren

Oder es sind «die Woken». Millionen Wähler:innen in extrem unterschiedlichen Kontexten und Ländern konnten überzeugt werden, dass nicht ungleich verteilte Chancen und Ressourcen eine Gefahr für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sind, sondern jene, die sich für eine gerechtere Verteilung von Chancen und Ressourcen einsetzen. Auch in der Schweiz ist die Anti-Woke-Rhetorik hoch im Kurs. Sie fügt sich gut ein in die Anti-Schwachen-Politik.

Mit «woke» war ursprünglich gemeint, dass Menschen aufmerksam sind für verschiedene Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung. Der Begriff «Wokeness» verbindet die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit mit der Arbeit am eigenen Bewusstsein, damit, sich in Empathie und Rücksicht zu üben. Das provoziert rechte Akteur:innen – besonders Männer. Die rechtsautoritäre Persönlichkeit ekelt sich vor Rücksicht. In ihrem hierarchisch geprägten Denken gilt nicht nur Gleichwertigkeit, sondern auch Empathie als Ausdruck von Schwäche und Verweichlichung.

«Ein mächtiger Gegner rechter Politik ist tatsächlich unsere menschliche Fähigkeit, das Leid anderer Lebewesen zu empfinden und daraus die Notwendigkeit für eine solidarische und inklusive Politik abzuleiten.»

Die Anti-Woke-Rhetorik ist mehr als ein Kulturkampf. Es geht darum, eine Politik der Ent-Solidarisierung beliebt zu machen. Mit dem Feindbild der woken Bedrohung kann man es sich behaglich einrichten. Wenn Rücksicht und Empathie der Lächerlichkeit preisgegeben werden und als gefährlich gelten, muss man sich zum Beispiel selbst nicht mehr um Solidarität oder Empathie bemühen. Man muss sich nicht mehr bemühen, sein eigenes Handeln an ethischen Standards zu messen. In einer Studie der Soziologin Arlie Hoschschild geben Rechtsextreme an, dass sie «endlich frei sein wollen» von der Anforderung, empathisch zu sein mit Schwächeren. Sichtbar wird eine nihilistische Abkehr von einem sozialen Kompass, letztlich von einem Glauben an eine gerechtere Welt. Das heisst, der Erfolg rechter Politik hängt massgeblich davon ab, wie weit sie Menschen vom Impuls der Solidarität mit Schwächeren abbringen kann.

Wir sollten also klar «Nein» sagen zu der Versuchung, uns den verbreiteten Ressentiments gegen Schwächere hinzugeben. Wir sollten uns die Abscheu gegenüber Empathie, Solidarität und Rücksicht verbitten. Denn ein mächtiger Gegner rechter Politik ist tatsächlich unsere menschliche Fähigkeit, das Leid anderer Lebewesen zu empfinden und daraus die Notwendigkeit für eine solidarische und inklusive Politik abzuleiten. Wir müssen uns diese Fähigkeit konsequent bewahren.

Ausblick: Im Teil II dieser Kolumne im November werde ich darlegen, warum die Anti-Schwachen-Rhetorik auch in der Mitte der Gesellschaft verfängt, und welche Rolle dabei Anti-Wokeness im bürgerlichen Feuilleton spielt.


Franziska Schutzbach ist Buchautorin, promovierte Geschlechterforscherin, feministische Aktivistin sowie Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. 2021 hat sie den Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» veröffentlicht.

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin. 


 

5 Kommentare

  1. Ich kann voll zustimmen was in diesem Artikel beschrieben wird. Wie in den USA gibt es auch in der Schweiz viele Evangelikale die zwar eine Minderheit sind aber so gut organisiert und vernetzt sind das sie „nicht gläubige“ klein reden und Hass gegen sie schüren. Ich habe eine Verwandtschaft die in den konservativsten Freikirchen sind und ich bin als jüngster der Familie aufgewachsen. Die Abneigung von meinen Geschwistern, Onkels, Tanten und Cousin/en die mir mein ganzes Leben widerfuhr ist unglaublich.
    Und ja für diese Konservativen Freikirchler die alle sehr schön singen und beten können gibt es nur eine Partei und zwar SVP, und wer nicht für SVP ist, ist in Ihren Augen ein Idiot

  2. Liebe Frau Schutzbach, danke für ihre Kolumnen, welche ich immer sehr gerne lese und weiterempfehle. Diese sind klar, prägnant und nachvollziehbar geschrieben und ich hoffe, dass sie viele Menschen erreichen werden. Liebe Grüsse. Anna Felicetta

  3. Ganz toller Artikel, enthält zig Argumente gegen die unsägliche SVP & sonstiges rechtes Gesocks.
    Zudem, gemäss Samir hat es offenbar in der SVP am meisten Leute – gemessen an den andern Parteien -, die straffällig geworden sind. Hatte ich auch schon den Eindruck, aber das werde ich jetzt nicht überprüfen.

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