USA-Expertin: «Harris will das Land voranbringen und die Lebensrealitäten der Leute verbessern.»

Am 5. November finden in den USA Präsidentschaftswahlen statt: Kamala Harris von den Demokraten gegen Republikaner Donald Trump. Wofür stehen die beiden Kandidat:innen? USA-Expertin Teresa Eder gibt Antworten. Sie lebt seit 2015 in den USA und arbeitet als Programmdirektorin für Aussen- und Sicherheitspolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C. Ein Interview von kontrast.at.

Die Kandidatur von Kamala Harris hat gerade unter den Jüngeren in den sozialen Medien einen Hype ausgelöst. Foto: Wikimedia Commons
Sie leben schon seit fast zehn Jahren jetzt in der USA. Wie ist aktuell die Stimmung dort?

Teresa Eder: Die Stimmung hat sich in den letzten Wochen extrem gedreht. Noch vor zwei Wochen war klar, dass Trump mehr oder minder als klarer Favorit in diese Wahl gehen wird – nach dem Parteitag und dem Attentatsversuch. Doch als Biden den Rücktritt bekannt gegeben und Kamala Harris seine Unterstützung ausgesprochen hat, haben sich binnen kürzester Zeit alle wichtigen demokratischen Politiker:innen hinter sie gestellt. Zuvor gab es immer wieder die Befürchtung, dass Kamala Harris eine zu schwache Kandidatin ist, die demokratischen Wähler:innen nicht begeistern und vereinen kann. Doch jetzt gibt es diese spürbare Euphorie, und zwar nicht nur bei Leuten, die tagtäglich die Politik verfolgen. Auch ein kollektives Aufatmen, dass es zumindest wieder eine Chance für die Demokraten gibt, die Wahl zu gewinnen.

«Es wird die grosse Frage sein, ob die Demokraten diesen Hype bis November halten können.»

Was machen die Demokraten jetzt anders?

Eder: Mit Harris haben sie sich entschieden, nicht den sichersten Weg zu gehen, sondern etwas zu riskieren. Erstmalig wird Trump offensiv Kontra gegeben. Unter Biden war das alles sehr verhalten. Trump als Person wurde eher selten wirklich attackiert.

Es wird die grosse Frage sein, ob die Demokraten diesen Hype bis November halten können. Bisher sieht es so aus, als würde die Trump-Kampagne noch nicht wissen, wie man mit dieser neuen Kandidatin umgeht, also wo es eine Angriffsfläche gibt. Hillary Clinton wurde jahrelang als Feindbild aufgebaut, als das absolut Böse, inklusive Verschwörungstheorien rund um sie und die Clinton-Familie. Bei Kamala Harris ist das schwieriger, weil sie von den Republikaner als jemand dargestellt wurde, den man nicht ernst zu nehmen braucht. Damit ist es viel schwieriger, die eigenen Leute anzusprechen.

Wofür steht Kamala Harris? Was sind ihre drei wichtigsten Themen?

Eder: So ganz wissen wir das noch nicht, aber es gibt natürlich Anzeichen. Ganz klar wird ein Fokus weiterhin auf Abtreibung, reproduktive Rechte gelegt werden und damit verbunden natürlich auch Menschenrechte und Bürger:innenrechte. Sie ist die erste Person aus dem Weissen Haus, die je eine Abtreibungsklinik besucht hat. Sie hat auch vor dieser Kandidatur schon wirklich viel Vertrauen bei diesem Thema gewonnen. Gleichzeitig ist der ganze Wahlkampf darauf ausgerichtet, Trump zu verhindern.

Der zweite Punkt ist also der Kampf um die Demokratie. Und drittens glaube ich, wird die Care Economy ein Fokus sein. Da deutet sie schon ein paar Sachen an. In den USA gibt es ja zum Beispiel keine Elternzeit. Diese Themen rund um leistbare Gesundheit, leistbares Familienleben, leistbare Pflege wird sie abarbeiten und auch einiges anbieten, wie zum Beispiel Kindergeld. Ich glaube, da kann sie nur gewinnen, weil das ist etwas, das wirklich die Mehrheit der Amerikaner:innen betrifft und wo sie auch die Mittelklasse stärken kann.

Zur Person: Teresa Eder

Teresa Eder lebt seit 2015 in den USA und arbeitet als Programmdirektorin für Außen- und Sicherheitspolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C. Zuvor war sie als Producerin  für das ZDF Washington Studio und als Außenpolitik-Redakteurin bei der Zeitung DER STANDARD tätig. Ihr Spezialgebiete sind unter anderem US-Politik, Gesellschaftspolitik und transatlantische Beziehungen.

Harris hat sich als Vize Tim Walz ausgesucht. Wofür steht er?

Eder: Ich glaube, diese Wahl war eine sehr kluge. Man kann ihn definitiv nicht der politischen Elite der Demokraten zurechnen, weil er zum Beispiel keinen juristischen Abschluss von einer Elite-Uni hat. Er entspricht nicht diesem konventionellen Bild des Politikers, sondern war auch lange Zeit im Militär, beim National Guard und High School Lehrer. Auch die Art und Weise, wie er mit den Leuten spricht, ist anders. Es gibt auch rund um ihn eine Euphorie, die es früher bei Vize-Kandidaten nicht gegeben hat.

Inhaltlich ist er progressiv, etwa was Familienpolitik oder LGBTIQ-Rechte anlangt. Er hat zum Beispiel als Governeur in Minnesota Gratismittagessen an Schulen eingeführt – für alle Kinder, ganz egal ob arm oder reich. Solche Dinge sind in den USA flächendeckend undenkbar.

Donald Trump scheut sich nicht davor, Lügen zu verbeiten. Foto: Wikimedia Commons (Gage Skidmore)
Auf der anderen Seite steht Donald Trump. Gibt es zwischen der Demokratin Harris und dem Republikaner Trump auch Gemeinsamkeiten?

Eder: Zwischen Harris und Trump als Personen sehe ich wenig Gemeinsamkeiten. Der eine ist ein verurteilter Straftäter und die andere eine Staatsanwältin und erfolgreiche Politikerin. Der eine will die Demokratie zurückbauen und macht eine von Eigeninteressen getriebene Politik. Und Kamala Harris – das kann man schon sagen – will das Land voranbringen und die Lebensrealitäten der Leute verbessern. Aber wenn man sich die Politik der Demokraten und der Republikaner anschaut, gibt es durchaus Themen, wo sie einen ähnlichen Kurs fahren. Das eine wäre die Anti-China-Politik, bei der China als grösste geopolitische Bedrohung gesehen wird. Und zweitens haben sich die Demokraten beim Thema Immigration in den letzten Monaten auch sehr stark den Republikanern angenähert. Das ist dem Druck geschuldet, den die Republikaner ausüben. Die Demokraten wollen nicht als die dastehen, die für offene Grenzen sind. Die Politik ist natürlich nicht gleich, aber es gab in den letzten Jahren eine Annährung.

«Für die Trump-Wähler:innen geht mit den Demokraten das Land den Bach runter und damit auch die Zerstörung ihres Lebensstils. Und für die Demokraten bedeutet ein Sieg Trumps das Ende der US-Demokratie.»

Warum kann Donald Trump trotzdem so viele Menschen überzeugen? 

Eder: Es gibt natürlich unterschiedliche Faktoren. Teilweise geht das auf die Identitätspolitik in den USA zurück. Es wird ja immer den Demokraten vorgeworfen, sie würden Identitätspolitik betreiben. Aber das, was Trump macht, ist für mich Identitätspolitik in Reinform. Er spricht natürlich die Frustration, die Sorgen und die wirtschaftliche Ungleichheit an und gleichzeitig werden die Demokraten, Migranten, wer auch immer ihm da einfällt, als Feindbild hochgehalten. Das Problem in den USA ist, dass die Politik von den Republikanern mittlerweile so vergiftet ist, dass der Wahlausgang als existenziell wahrgenommen wird: Für die Trump-Wähler:innen geht mit den Demokraten das Land den Bach runter und damit auch die Zerstörung ihres Lebensstils. Und für die Demokraten bedeutet ein Sieg Trumps das Ende der US-Demokratie.
Diese Spaltung im Land ist schon so sichtbar, dass sie mit diesen Identitätsmarkern verknüpft ist: Man kann oft wirklich schon von der Automarke ablesen, ob jemand Republikaner ist oder Demokrat, oder wo jemand einkauft. Solche Dinge gibt es in der Form in Europa mit Mehrparteiensysteme nicht.

«Wahlentscheidend wird sein, wie viele unabhängige und unentschlossene Wählerinnen und Wähler letztlich zur Wahl gehen. Gerade in den Swing States.»

Viele Republikaner leben nicht mehr in derselben Realität wie Demokraten. Es gibt wenig Raum, um Dinge überhaupt noch auszuhandeln. Und wenn sich Republikaner nonstop in diesen verschwörungstheoretischen, rechtsextremen Medienwelten aufhalten, braucht man sich nicht wundern, dass es diesen Aushandlungsprozess oder auch die Solidarität mit jemandem, der anderer Meinung ist, nicht mehr gibt. Ausserdem ist Trump nach wie vor ein Anti-Establishment-Kandidat. Das Vertrauen vieler Republikaner in die Regierung ist unterirdisch, man vertraut sämtlichen Behörden nicht mehr und dann kommt Trump und macht sein Ding.

Werden die kommenden Wahlen knapp?

Eder: Ich glaube, sie werden definitiv knapp. Sie sind ja auch in der Vergangenheit oft knapp gewesen und ich glaube nicht, dass wir am Wahlabend schon ein Ergebnis haben. In Wahrheit geht es nur um einige wenige Wahlbezirke, die das dann entscheiden. Wir wissen, wie Kalifornien wählen wird. Wir wissen, wie Washington D.C. wählen wird. Wir wissen, wie Maryland wählen wird. Es geht eigentlich nur um die Swing States. Und in den Swing States wiederum nur um einige wenige Bezirke, die einmal republikanisch, einmal demokratisch wählen.

Wie sehen die Chancen und Umfragen in den Swing States aus?

Eder: Wahlentscheidend wird sein, wie viele unabhängige und unentschlossene Wählerinnen und Wähler letztlich zur Wahl gehen. Gerade in den Swing States. Michigan wird etwa extrem wichtig sein. Dort gibt es eine sehr grosse Arab-American, Muslim-American Community, die Biden aufgrund der derzeitigen Nahostpolitik nicht wählen wollte. 2020 sind 145’000 aus diesen Communities in Michigan zur Wahl gegangen, gleichzeitig konnte Biden den Bundesstaat mit nur 150’000 Stimmen Vorsprung gewinnen. Das zeigt, wie wichtig es sein wird, diese Wählergruppe zu überzeugen, und wie knapp es werden könnte.

Ich denke, dass diese Wähler:innen wahrscheinlich trotzdem unzufrieden sein werden mit Harris, weil sie die Aussenpolitik in den nächsten zwei, drei Monaten nicht radikal ändern kann. Erstens ist sie nicht die Präsidentin und zweitens kann sie deshalb nur im Ton nicht aber in der Substanz anders agieren. Die grosse Frage wird bleiben, ob die Leute der Meinung sind, dass es wichtig ist, Trump und eine noch pro-israelischere Aussenpolitik zu verhindern oder nicht.

Welche Wählergruppen könnten darüber hinaus das Zünglein an der Waage sein? Die Generation Z, Frauen?

Eder: Ja, definitiv Generation Z. Bis zum Antritt von Harris waren junge Wähler:innen laut Umfragen nicht unbedingt geneigt zur Wahl zu gehen. Das könnte sich jetzt schnell ändern. Es gibt hier auch einen Gender Gap, den man berücksichtigen muss: Junge Frauen wählen in den USA vorwiegend demokratisch und junge Männer vorwiegend republikanisch. Wenn Kamala Harris gewinnen will, muss sie auch versuchen, diesen Gender Gap zumindest etwas zu überwinden.

«Wenn sich eine Partei von der Demokratie abwendet und radikalisiert, kann das in der Berichterstattung nicht einfach so hingenommen werden.»

Medien haben auch in den USA einen grossen Einfluss auf die Wahlen. Wo stehen die grossen Medien wie Fox News oder CNN?

Eder: Ich würde behaupten, dass die Redaktionen der grossen Qualitätsmedien wie New York Times und Washington Post mehrheitlich die Demokraten unterstützen, auch wenn das vielleicht in der Berichterstattung nicht so explizit formuliert wird. Fox News ist nicht so extrem wie One American News Network (OAN) oder Newsmax. Diese Sender stehen ganz klar hinter Trump – haben aber ein zweifelhaftes Verständnis von Journalismus oder eben keines. Ich würde sie als Propaganda-Sender einstufen.

Was ich bei den etablierten Medien wie New York Times, Washington Post, CNN und Co. sehr problematisch empfinde, ist die Tendenz, immer beide politischen Parteien als gleichwertig darzustellen. Wenn sich eine Partei von der Demokratie abwendet und radikalisiert, kann das in der Berichterstattung nicht einfach so hingenommen werden. Man kann die Demokraten in ihrer Politik kritisieren, aber rechtsradikale Ideen der Republikaner und den «Grossen Austausch» als gleichwertig darzustellen, halte ich für sehr problematisch. Auch dass es etwa bei der CNN-Debatte keine Fact-Checks gab und Trump ungehindert seine Lügen verbreiten konnte, ist einfach unverantwortlich.


Dieses Interview wurde in gekürzter Fassung von kontrast.at übernommen.

 

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