Solidar Suisse: «Die Lage in Myanmar ist dramatisch»

Die Ärmsten spüren den weltweite Rechtsrutsch besonders dramatisch. Mit der Zerstörung der amerikanische Entwicklungsagentur USAID fallen viele lebenswichtige Projekte von heute auf morgen weg. Auch die Schweiz steckt allein im laufenden Jahr 110 Millionen Franken weniger in die Entwicklungszusammenarbeit – und der Sparhammer geht weiter. Wie sich der Backlash im Erdbebengebiet in Myanmar auswirkt, erzählt Felix Gnehm, Geschäftsleiter von Solidar Suisse.

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«direkt»: Anfang April wurde Myanmar von einem Erdbeben der Stärke 7,7 erschüttert. Wie ist heute die Situation vor Ort?

Felix Gnehm: Die Lage ist nach wie vor dramatisch. Tausende Menschen sind gestorben oder schwer verletzt. Aber wegen dem Bürgerkrieg gibt es kaum funktionierende medizinische Hilfe. Die Zahl der Todesfälle und langfristigen Verletzungen liegt dadurch deutlich höher. Besonders betroffen sind Kinder, Frauen und ältere Menschen. Die Temperaturen steigen derzeit auf 40 bis 45 Grad und bald beginnt der Monsun, was die Not noch grösser machen wird.

Felix Gnehm. Foto: zvg
«direkt»: Welche Hilfe wird am dringendsten benötigt?

Felix Gnehm: Am dringendsten gebraucht werden Notunterkünfte, sauberes Trinkwasser, Lebensmittel und Hygieneartikel. Viele Menschen, auch Schwerverletzte, leben unter freiem Himmel oder in provisorischen Unterkünften aus Planen oder Resten zerstörter Häuser. Ohne ausreichend Schutz drohen mit dem Monsun zusätzlich Krankheiten. Doch Hilfe kommt nur schleppend ins Land. Die Militärjunta lässt Unterstützung aus dem Ausland kaum zu.

«direkt»: Es dringen kaum Nachrichten aus Myanmar. Wie kann Solidar Suisse sich überhaupt ein Bild der Lage machen?

Felix Gnehm: Gerade unter repressiven Regimen bleibt es für Solidar Suisse wichtig, soziale Bewegungen und die lokale Zivilgesellschaft weiterhin zu unterstützen, so auch in Myanmar. Auf diese Weise erhalten wir durch unsere lokalen Partnerorganisationen laufend unabhängige und gesicherte Informationen aus den betroffenen Landesteilen.

«direkt»: Bei Katastrophen ist die Nothilfe innert 48 Stunden entscheidend. Was kann Solidar Suisse ausrichten?

Felix Gnehm: Myanmar steckte schon vor dem Erdbeben in einer tiefen Krise: Bürgerkrieg, Vertreibungen, eine brutale Militärjunta und eine Bevölkerung, von der ein Drittel auf humanitäre Unterstützung angewiesen war. Die staatlichen Strukturen waren praktisch zusammengebrochen. In einer solchen Ausgangslage erschwert ein Erdbeben die humanitäre Zusammenarbeit massiv, weil weder logistische noch organisatorische Grundlagen bestehen, um schnell reagieren zu können.

«direkt»: Wie unterstützen Sie die Menschen vor Ort?

Felix Gnehm: Wir arbeiten eng mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. Sie sind sofort nach der Katastrophe aktiv geworden. In einer ersten Phase verteilen die Organisationen Bargeld, damit sich die Betroffenen auf den lokalen Märkten kaufen können, was sie am dringendsten brauchen. Das Bankensystem funktioniert in Myanmar nur ansatzweise. Diese Form der humanitären Zusammenarbeit ist effizienter und würdevoller als Sachspenden.

«direkt»: Wie können Sie die Bevölkerung unterstützen, ohne euch von der Militärjunta instrumentalisieren zu lassen?

Felix Gnehm: Unsere lokalen Partner sind in beiden Gebieten tätig: in den von der Junta kontrollierten Regionen ebenso wie in den Widerstandsgebieten. Sie sind in der Bevölkerung verankert und lassen sich nicht von der Junta steuern. Sollte es Anzeichen geben, dass unsere Projekte missbraucht werden, die Mittel zugunsten des Militärs zweckentfremdet oder wir gezwungen würden, nur bestimmte Gruppen zu unterstützen, würden wir unser Engagement abbrechen. Die direkte Zusammenarbeit mit unabhängigen lokalen Organisationen schützt uns weitgehend davor, instrumentalisiert zu werden.

«direkt»: USAID ist zerschlagen, Milliarden Dollar an Hilfsgelder der internationalen Zusammenarbeit fallen weg. Wie ist das in Myanmar spürbar?

Felix Gnehm: Sehr deutlich. Viele lebenswichtige Programme in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Ernährung wurden eingestellt. Schon vor dem Erdbeben war die Versorgung prekär, jetzt verschlechtert sie sich rapide. Besonders bitter ist, dass viele Menschen, die ohnehin ums Überleben kämpfen, jetzt noch weniger Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen haben.

«direkt»: Hat die Zerschlagung von USAID Auswirkungen auf die Hilfe, die Solidar Suisse leisten kann?

Felix Gnehm: Ja, leider. Solidar Suisse musste in Asien Projekte einstellen, in denen wir uns in Zusammenarbeit mit Arbeitsrechtsorganisationen und Gewerkschaften für Plattformarbeiter stark machten, zum Beispiel Fahrer App-basierter Lieferdienste. Wir mussten zudem acht Mitarbeiter:innen entlassen. Auch in anderen Regionen merken wir, dass Programme wegbrechen oder reduziert werden müssen. Besonders hart ist der kurzfristige Charakter dieser Kürzungen – von einem Monat auf den anderen fallen Mittel weg.

«direkt»: Internationale Zusammenarbeit ist eine Form der Aussenpolitik. Fällt USAID weg, entsteht ein Vakuum. Wer springt in die Bresche?

Felix Gnehm: Im Bereich echter Entwicklungszusammenarbeit springt fast niemand ein. Es ist eher so, dass China, Russland oder auch andere Schwellenländer ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen ausbauen. Sie leisten zwar teilweise auch humanitäre Hilfe, aber gekoppelt an den Zugang zu Rohstoffvorkommen oder geopolitischen Einfluss.

«direkt»: Können Sie ein Beispiel machen?

Felix Gnehm: China war eines der ersten Länder, das Myanmar nach dem Beben Unterstützung angeboten hat – deutlich mehr als westliche Staaten. Gleichzeitig sichert sich China im Norden Myanmars Zugang zu Rohstoffen. Russland wiederum baut in Myanmar derzeit ein kleines Atomkraftwerk. Humanitäre Hilfe Kooperation und wirtschaftliche Interessen gehen hier Hand in Hand.

«direkt»: Auch die Schweizer Entwicklungsgelder werden gestrichen, allein dieses Jahr 110 Millionen Franken. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Arbeit?

Felix Gnehm: Wir haben in den nächsten zwei Jahren rund eine Million Franken weniger zur Verfügung. Das zwingt uns, Projekte zu streichen oder zu verkleinern, denn mit Spenden lassen sich diese Kürzungen nicht ersetzen. Besonders bitter ist, dass der Bedarf an Hilfe weltweit massiv steigt – wegen Klimakrise, Konflikten und globaler Ungleichheit.


Dieses Interview erschien zuerst im «links», Ausgabe 218.


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