Natascha Strobl: «Wir müssen eine Zukunft skizzieren, die besser ist als die Gegenwart – solidarisch und demokratisch.»

Vor einem Jahr wurde Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt. Seit Januar ist er nun im Amt. Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl blickt im Interview mit «direkt» auf ein Jahr voller Chaos zurück.  

Image : Christopher Glanzl

«direkt»: Vor einem Jahr hat eine Mehrheit der US-Amerikaner:innen Donald Trump zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt. Seither dominiert Trump die Schlagzeilen mit seinen Executive Orders, Provokationen und Selbstbeweihräucherung. Wie fassen Sie dieses erste Jahr mit Trump an der Macht zusammen?

Natascha Strobl: Aktuell ist es so, dass in einer Woche so viele Dinge passieren, wie sonst in einem ganzen Jahr nicht. Dabei ist es schwierig zu durchschauen, was reines Säbelrasseln und Provokation oder real ist. Wenn ein Bild symbolisiert, was in diesem Jahr geschehen ist, dann der Abriss des East Wings des Weissen Hauses, an dessen Stelle ein pompöser Ballsaal gebaut werden soll.


«Trump hat mit seinen ‹Schlägertrupps› von ICE willkürlich Menschen jagen und verhaften lassen – ohne Gerichtsverfahren. Dadurch geraten wesentliche Bereiche des Rechtsstaats ins Wanken.»


«direkt»: Sie sprechen damit den staatlichen Abbau an.

Natascha Strobl: Ja, dieses Department of Government Efficiency von Elon Musk zu Beginn des Jahres darf keineswegs unterschätzt werden. Das ist wohl der erste wichtige Punkt. Auch wenn einige Kürzungen und Abbaupläne wieder zurückgenommen wurden, ist vieles in der politischen Verwaltung damit kaputt gegangen. Das betrifft zum Beispiel die Auslandshilfe USAID, aber auch Bereiche wie Lebensmittelkontrollen, die Medikamentenaufsicht und Arbeitsplatzinspektionen. Die letzteren Beispiele klingen vielleicht nicht spektakulär, aber stellen wir uns doch mal vor, wir könnten nicht mehr darauf vertrauen, dass wir von den Lebensmitteln im Supermarkt nicht krank werden – von den Medikamenten ganz zu schweigen. Ich denke, das volle Ausmass dieses Abbaus wird erst mit der Zeit fassbar werden.

«direkt»: Der zweite Punkt?

Natascha Strobl: Trump hat mit seinen «Schlägertrupps» von ICE (Immigration and Customs Enforcement, anm. d. Red.) willkürlich Menschen jagen und verhaften lassen – ohne Gerichtsverfahren. Dadurch geraten wesentliche Bereiche des Rechtsstaats ins Wanken. Ein dritter und wichtiger Punkt ist, dass Trump immer wieder die Möglichkeit zu einer dritten Amtszeit in Erwägung zieht, obschon dies gemäss US-Recht nicht möglich ist.

«direkt»: Wie ordnen Sie Trumps aussenpolitisches Vorgehen ein?

Natascha Strobl: Wenn es um die Ukraine und Russland geht, ändert Trump seine Meinung sehr sprunghaft, was ihn unberechenbar macht. Und mit der Waffenruhe im Nahen Osten ist ihm ein Coup gelungen, den er sich jetzt gross auf die Fahne schreibt und der ihn aussenpolitisch stärkt – auch wenn unklar ist, wie es weiter gehen wird und was genau dabei sein Verdienst war.


«Ich habe bei der Führung der Demokratischen Partei tatsächlich das Gefühl, dass sie gar nicht versteht, was eigentlich passiert.»


«direkt»: Das dritte prägende aussenpolitische Thema waren auch die Zölle. Wie ordnen Sie diese ein?

Natascha Strobl: Bei dieser Zollgeschichte gibt es ein deutliches Muster: Trumps Ankündigungen erfolgen jeweils am Freitag. Daraufhin stürzen die Börsenkurse ein. Am Dienstag oder am Mittwoch beschwichtigt er dann wieder und die Börsenkurse erholen sich. Das ist eine Strategie, mit der wohl einige Menschen sehr viel Geld gemacht haben, indem sie rechtzeitig zu einem tiefen Preis gekauft haben. Das zeigt auch, wie das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten dazu verwendet wird, die Familie Trump noch reicher zu machen.

«direkt»: Im Sommer und im vergangenen Oktober gab es zwar die «No-Kings»-Massenproteste gegen die Trump-Regierung. Die Demokraten scheinen aber in Schockstarre. Wie ordnen Sie die Stille der Oppositionspartei ein?

Natascha Strobl: Ich habe bei der Führung der Demokratischen Partei tatsächlich das Gefühl, dass sie gar nicht versteht, was eigentlich passiert. Sie leben immer noch mit der Idee, dass doch das, was Trump macht, gar nicht erlaubt sei und nicht möglich ist. Dabei übersehen sie, dass das alles jetzt wirklich passiert.


«Während viele Demokraten scheinbar unglaubliche Angst davor haben, etwas Falsches zu sagen, zeigen sich sowohl Ocasio-Cortez als auch Mamdani furchtlos.»


«direkt»: Gibt es auch positive Beispiele?

Natascha Strobl: Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez haben vom ersten Tag an Touren durchs Land unternommen, um auch in republikanischen Gebieten mit den Menschen zu sprechen und sie zu fragen, ob es ihnen nun unter Trump besser gehe. Das halte ich für eine sehr wirkungsvolle Strategie und ich könnte mir auch vorstellen, dass sich Ocasio-Cortez zur Vorwahl für das Präsidentenamt stellen wird. Es gibt noch weitere erwähnenswerte Beispiele aus dem linken Flügel der Demokraten – zum Beispiel Zohran Mamdani, der die Wahl zum Bürgermeister in New York mit einem klaren linken Kurs deutlich gewonnen hat.

«direkt»: Ist es überraschend, dass gerade Personen aus dem linken Parteiflügel auffallen?

Natascha Strobl: Diese Personen haben sich alle nicht einschüchtern lassen. Während viele Demokraten scheinbar unglaubliche Angst davor haben, etwas Falsches zu sagen, zeigen sich sowohl Ocasio-Cortez als auch Mamdani furchtlos.

«direkt»: Wie zeigt sich das?

Natascha Strobl: Mamdani wurde immer wieder dafür angegriffen, dass er Muslim ist. Anstatt sich einschüchtern zu lassen, veröffentlicht er eine Wahlwerbung auf Arabisch, um zu unterstreichen, dass Muslim:innen auch ein Teil New Yorks sind – und untermauert damit seine integrative Botschaft. Das wirkt auf viele Wähler:innen sehr überzeugend.


«Trumps Kulturkämpfe und auch die Machenschaften des ICE mit den Ausschaffungen dienen den Rechten in Europa ihre Remigrations-Fantasien weiter zu spinnen – im Sinne von wenn sogar der amerikanische Präsident das macht, dann können wir das auch


«direkt»: Kommen wir zurück nach Europa. Welchen Einfluss hat Donald Trump auf die rechten Parteien hier?

Natascha Strobl: Es gibt einen Personenkult, Lobpreisungen und die Rede vom «Friedenspräsidenten». Trumps Kulturkämpfe und auch die Machenschaften des ICE mit den Ausschaffungen dienen den Rechten in Europa ihre «Remigrations»-Fantasien weiter zu spinnen – im Sinne von «wenn sogar der amerikanische Präsident das macht, dann können wir das auch». Mit der Idee von «Make Europe great again» werden Allianzen in den USA gesucht und dies, obschon der Anti-Amerikanismus in der europäischen Rechten immer sehr gross war. Nicht ins Bild passen hier die Zölle. Da stellt sich manch rechtsextremer Europäer die Frage, warum Trump nun andere «weisse» Nationen der Nordhalbkugel bestraft.

«direkt»: Was hat ein Jahr Trump mit den Medien in Europa gemacht?                                                                                                           

Natascha Strobl: Gerade für den «Friedensplan» in Nahost hat er viel Lobrede erhalten. Manchmal hatte ich das Gefühl, einige haben nur darauf gewartet, dass sie endlich etwas Positives schreiben können. So hiess es denn auch, er habe etwas geschafft, was vor ihm kein Präsident geschafft habe – insbesondere Biden und Obama nicht. Schnell steht die Frage im Raum: Vielleicht ist er ja trotz allen inakzeptablen innenpolitischen Entscheidungen der «Friedenspräsident»?

«direkt»: Welche Lösungsansätze sehen Sie, um diesen politischen Verschiebungen entgegenzuwirken?

Natascha Strobl: Zum Beispiel müssen sich alle Staaten überlegen, wie ihre Daten gesichert werden, so dass die Menschen den Zugang zu Wissen nicht verlieren – egal, wer wo an die Macht kommt. Wissenschaftliche Datenbanken müssen geschützt werden. Und auch die politische Verwaltung braucht Schutz, wie das Beispiel aus den USA zeigt. Zudem müssen wir uns überlegen, welche Momente dazu geführt haben, dass Trump nun wieder an der Macht ist. Hier stellt sich die Frage nach der Parteienfinanzierung. Wer darf wen mit wie vielen Spenden unterstützen und wie viel Einfluss haben die Spender:innen dadurch? Das sind die strukturellen Punkte.


«Ich kenne eigentlich keine Person mehr, die glaubt, dass die Zukunft besser wird als die Gegenwart. Das muss sich ändern.»


«direkt»: Was sind die weiteren Punkte?

Natascha Strobl: Natürlich müssen wir die Demokratie verteidigen, aber da sind wir argumentativ in einer sehr schwachen Position. Denn vielleicht ist die Demokratie derzeit gar nicht so gut, wie sie sein sollte? Wir müssen uns deshalb überlegen, was wir wollen, das sich zu verteidigen lohnt. Ich kenne eigentlich keine Person mehr, die glaubt, dass die Zukunft besser wird als die Gegenwart. Das muss sich ändern. Wir müssen eine Zukunft skizzieren, die besser ist als die Gegenwart – solidarisch und demokratisch. Aktuell sind wir aber dermassen damit beschäftigt, dass das Hier und Jetzt nicht in Trümmer geschlagen wird. Wir müssen deshalb unbedingt wieder in die Offensive kommen!

Natascha Strobl

Natascha Strobl ist österreichische Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie ist Expertin für Rechtsextremismus und für die Neue Rechte. Ihr 2021 erschienenes Buch «Radikaler Konservatismus. Eine Analyse» wurde mit dem Anerkennungspreis des Bruno-Kreisky-Preises für das Politische Buch 2021 ausgezeichnet. Ende 2025 erscheint ihr neues Buch «Kulturkampfkunst».


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