Direkt: Sie mussten mit 16 Jahren aus Guinea flüchten und haben eine gefährliche Flucht durch verschiedene Afrikanische Staaten sowie über das Mittelmeer hinter Ihnen. Können Sie uns von ihren Erfahrungen berichten?
Amine Diare Conde: Wer sich auf diese lebensgefährliche Flucht begibt, hat keine andere Wahl. Es ist die Hoffnung nach einem freien Leben, die uns dazu bringt, alles zu riskieren. Niemand geht freiwillig. Ich habe meine Familie, meine Kultur, meine Sprache hinter mir lassen müssen – alles, was mir etwas bedeutet hat. Ich wusste nicht was kommt und auch nicht, ob ich die Flucht überleben werde.
Sie haben in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Wie ging es während dem laufenden Verfahren für Sie weiter?
Amine Diare Conde: Ich habe in Vallorbe Asyl beantragt. Zuerst musste ich auf den Bescheid warten, ob mein Gesuch überhaupt weiterbearbeitet wird. Als ich dann den positiven Bescheid bekam, war ich überglücklich. Ich wusste ja nicht, was jetzt auf mich zu kommt. Nur dass ich eine Chance habe.
Sie schickten mich daraufhin nach Affoltern am Albis in eine Asylunterkunft für Minderjährige. Sechs Monate später musste ich dort wegen Platzmangel wieder weg, nach Zürich. Ich war ja schon fast volljährig.
Das ganze Verfahren hat weit über drei Jahre gedauert. Ich durfte weder arbeiten noch in die Schule gehen. Für mich war das schlimm, denn ich wollte unbedingt etwas machen und nicht nur rumsitzen. So habe ich einen Helikopter aus Karton gebastelt und ihn meiner Betreuerin gezeigt. Ich wollte ihr beweisen, dass ich arbeiten kann und Fähigkeiten habe. Sie hat dann geschaut, dass ich in verschiedenen Betrieben Praktika machen kann. Ich war sehr fleissig und habe mich richtig angestrengt. Drei Mal wurde mir sogar eine Lehrstelle angeboten. Einmal habe ich einen Vertrag unterschrieben. Mein Chef wurde aber darauf hin verwarnt, weil das für Asylsuchende nicht erlaubt ist.
Ihr Asylgesuch wurde schliesslich abgelehnt. Was haben Sie dann gemacht?
Amine Diare Conde: Ich hatte keine andere Wahl, als in der Schweiz zu bleiben und von Nothilfe zu leben. Das sind 8 Franken und 50 Rappen pro Tag. Es ist unmöglich davon zu leben! Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt schon sehr gut in Zürich vernetzt. Viele Leute haben mir geholfen. Ich konnte in der Autonomen Schule drei Mal am Tag etwas essen und Deutsch lernen. Auch in der St. Jakob-Kirche war ich oft.
In dieser Zeit habe ich begonnen, mich für unsere Rechte zu engagieren. Ich war an Konferenzen und Tagungen in der ganzen Schweiz. Mir war es sehr wichtig, dass die Menschen von unserer Situation erfahren. Ich bin laut und ich wehre mich. Aber nicht alle haben diese Möglichkeit. Mir ist deshalb wichtig, dass diese Menschen auch eine Stimme erhalten.
Trotz der schwierigen Situation haben Sie während der Coronakrise das Projekt «Essen für Alle» gegründet. Worum geht es bei diesem Projekt und was war der Auslöser dafür?
Amine Diare Conde: Durch den Lockdown mussten die Autonome Schule und andere Institutionen schliessen. Wer von Nothilfe leben muss, ist auf solche Angebote angewiesen. Das gilt auch für Papierlose und generell von Armut betroffene Menschen. Mir war bewusst, dass viele jetzt Hilfe brauchen. Sonst sind sie gezwungen illegale Sachen zu machen. Aus diesem Grund habe ich «Essen für alle» gegründet. Es ist ein Projekt mit 100 Prozent Freiwilligenarbeit und es besteht immer noch. Finanziert wird es durch Spendengelder.
2019, fünf Jahre nach dem abgelehnten Asylgesuch, konnten Sie ein Härtefallgesuch einreichen. 2021 haben Sie nun eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Doch der Weg dahin war lang und die Hürden sehr hoch. Was finden Sie, müsste sich im Schweizer Asylsystem ändern, damit Geflüchtete in der Schweiz in Würde leben können?
Amine Diare Conde: Das Asylsystem, wie es jetzt ist, hat viele Probleme. Es könnte aber eine Win-Win-Situation für die Schweiz und die Geflüchteten sein. Zuerst würde ich dieses Nothilfesystem streichen. Es ist unmenschlich. Die meisten bleiben hier und haben keine Chance, sich zu entwickeln. Junge Menschen sollten aber die Möglichkeit haben, eine Ausbildung zu machen. Davon könnte auch die Schweiz profitieren! Die jetzige Situation ist für alle sehr unbefriedigend. Den Staat kostet es viel Geld und Geflüchtete warten jahrelang, bis sie endlich etwas machen dürften.
Sie haben in der Autonomen Schule in Zürich Deutsch gelernt. Diese wird von Freiwilligen getragen und übernimmt eine wichtige Funktion für die Integration von geflüchteten Menschen. Ähnliche Angebote gibt es auch in anderen Regionen der Schweiz. Doch längst haben nicht alle Geflüchteten, die Möglichkeit, eine solche Institution zu besuchen. Welche staatlichen Integrationsmassnahmen erachten Sie als zwingend notwendig?
Amine Diare Conde: Das Wichtigste ist Bildung. Bildung bringt ein selbstständiges Leben. Alle sollten einen Deutschkurs machen können, inklusive Fahrkosten dort hin. Das muss das erste sein, unabhängig vom Aufenthaltsstatus und egal ob jemand noch im Asylverfahren ist. Ohne Sprachkenntnisse kann man hier nichts erreichen. Und das Ziel muss sein, möglichst selbstständig zu sein und sich selbst finanzieren zu können.
Sie sind sehr engagiert und haben viel erreicht in den letzten neun Jahren. Was raten Sie Menschen, die ebenfalls einen negativen Asylentscheid erhalten haben und nun von der Nothilfe leben müssen?
Amine Diare Conde: Ich habe immer für meine Rechte gekämpft. Man muss stark bleiben und sein Leben selbst in die Hand nehmen. Die Menschen bei den Behörden kennen nur dein Dossier. Ich habe mir einen Plan gemacht und bin diesem gefolgt. Natürlich ist es anders, wenn man seine Frau oder sein Kind zurücklassen muss. Aber auch dann ist wichtig, dass man seinen Zielen und sich selbst treu bleibt.
An den diesjährigen Solothurner Filmtagen erhielt der Film über Sie «Amine – Held auf Bewährung» den Publikumspreis. Der Beobachter nominierte Sie 2020 für den Prix Courage. Sie machen eine Lehre als Hochbauzeichner und sind weiterhin engagiert. Wie geht es jetzt weiter?
Amine Diare Conde: Ich engagagiere mich weiterhin politisch, weil ich etwas bewegen will. Ich liebe die Schweiz und sie soll zum guten Beispiel für die ganze Welt werden. Nicht nur für die Privilegierten. Mir ist klar, dass nicht alle hier bleiben können. Aber auch wer geht, hat verdient, wie ein Mensch behandelt zu werden.
Noch eine letzte Frage: Was wünschen Sie sich für die Zukunft und worauf hoffen Sie?
Amine Diare Conde: Niemand sollte Hungern. Ich wünsche mir Freiheit und Frieden für die Menschen. Und ich wünsche mir, dass die Menschen hier verstehen, dass wir alle nur gewinnen können, wenn die Hürden für Geflüchtete nicht so hoch wären! Ich bin jetzt 25 Jahre alt und könnte schon längst selbstständig im Arbeitsleben stehen.
Grosses Kompliment an Amine. Trotz den behördlichen Hindernissen, die Ausdruck unserer politischen Machtverhältnisse sind, könnte mit wenig Aufwand durch Bildung und schnelle Integration in den Arbeitsmarkt eine Win-Win-Situation für die Migranten und die Schweiz erreicht werden. Der ausgetrocknete Arbeitsmarkt kann die Basis dazu bilden.
Die Schweiz hat aus den üblen Erfahrungen des Saisonnierstatuts des letzten Jahrhunderts nichts gelernt.
Dieses eiende Warten, das die Asylsuchenden krank macht. Das Beispiel von Amine zeigt uns wie viel Wartende bereits zu Beginn des Asylgesuchs gefördert werden sollten, unsere Landessprache lernen und Einsätze in der Öffentlichkeit erledigen. Amine hat sich nicht unterkriegen lassen. Er war kreativ. Ist Menschen begegnet, die ihn unterstützt haben, und das kann jede/jeder von uns tun. Eine solche Begleitung ist sehr bereichernd und wir lernen Menschen kennen und nicht „Asylanten“. Da gibt es keinen Raum mehr für Vorurteile. Und das Wichtigste, wir brauchen diese Menschen dringend zur Mitarbeit in unserem Land.