Wir alle wissen es: Die Krankenkassenprämien explodieren. Dennoch hat vorletzte Woche der Nationalrat der Prämien-Entlastungs-Initiative der SP eine Abfuhr erteilt. Die Initiative, die eine Deckelung der Prämienlast auf maximal 10 Prozent des Haushaltseinkommens fordert, kommt nun nächstes Jahr an die Urne.
Heutige Praxis: Vorrang für teure Originalpräparate
Aber wieso steigen die Gesundheitskosten? Ein Kostentreiber sind die Medikamentenpreise. Diese sind in der Schweiz sehr viel höher als im Ausland. Für patentgeschützte Medikamente bezahlen wir durchschnittlich 5,4 Prozent mehr als im Ausland, bei den Originalpräparaten mit abgelaufenem Patent betrug die Differenz 10,8 Prozent und bei Generika sogar 45,5 Prozent.
Damit nicht genug: In der Schweiz sind nicht nur die Preise der Generika zu hoch, es werden auch viel zu wenig Nachfolgepräparate abgegeben. Der Anteil der verschriebenen und bezogenen Generika am Gesamtvolumen liegt bei 22 Prozent, während er in Deutschland bereits 2019 bei über 80 Prozent lag. Das Marktvolumen der patentabgelaufenen Originalpräparate umfasst hierzulande 1,3 Milliarden Franken. Das Einsparpotenzial in diesem Bereich ist also beträchtlich. Tiefere Medikamentenpreise senken die Gesundheitskosten und damit auch die Prämienlast.
Milliardengewinne für die Pharmaindustrie
Mit dem jetzigen System kassiert die Schweizer Pharmaindustrie jährlich Gewinne in Milliardenhöhe. Es ist jedoch schwierig, die Summen genau zu beziffern. In einer Recherche geht die NGO Public Eye der Frage nach, wie die hohen Medikamentenpreise zustande kommen. Gegenüber Tamedia sagte Pharmaexpertin Gabriela Hertig von Public Eye: «Unsere Studie zeigt, dass die reinen Kosten für Produktion, Vertrieb wie auch für Forschung und Entwicklung insgesamt nicht mehr als 10 Prozent ausmachen, der Preis für das Medikament ist schlicht Wucher». Dies führt auch dazu, dass neue Medikamente teilweise mehrere Hunderttausend Franken pro Jahr und Patient:in kosten, wie eine Studie des Preisüberwachers zeigt.
Die SP Schweiz fordert deshalb weiterhin die Senkung der Medikamentenpreise, wie sie in einem neuen Positionspapier schreibt. Bei den Generika sei das Einsparpotential enorm: Dazu brauche es gemäss den Sozialdemokrat:innen eine Generika- und Biosimilar-Pflicht (bei «Biosimilars» handelt es sich um Nachahmerprodukte für Biopharmazeutika) für Originalpräparate, deren Patente abgelaufen sind.
Durch Referenzpreise kann das Bundesamt für Gesundheit einen Höchstpreis für Medikamente festlegen und so die Preise drosseln. Dank Referenzpreisen in Kombination mit Generika- und Biosimilar-Pflicht könnten so unmittelbar und ohne Leistungsabbau jährlich 685 Millionen Franken eingespart werden.
Ein erster Schritt in diese Richtung hat der Bundesrat nun angekündigt: Der Verkauf von Generika und Biosimilars wird nun per Januar 2024 gefördert. Von der entsprechenden Verordnungsanpassung (vgl. hier) erhofft sich der Bundesrat Einsparpotenzial von bis zu 250 Millionen Franken pro Jahr.
Starke Pharmalobby im Bundeshaus
Die Forderung der Sozialdemokrat:innen nach Generika- und Biosimilar-Pflicht wie auch Referenzpreisen ist nicht neu. Aber alle bisherigen Vorstösse in diese Richtung blieben chancenlos. Angesichts der hohen Prämienlast mag dies erstaunen. Zumal die steigenden Krankenkassenprämien gemäss der neusten Sotomo-Umfrage die grösste Sorge der Schweizer Bevölkerung sind.
Ein Blick auf die Lobbymandate der Parlamentarier:innen bringt Licht ins Dunkel: Die Gesundheitslobby ist mit über 121 bezahlten Mandaten die zweitgrösste in Bundesbern. Viele der Mandatsträger:innen sitzen in den Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat. Die Partei mit den meisten Mandaten im Bereich Gesundheit ist die Mitte – dies zeigt eine Analyse von Lobbywatch.
Die zahlreichen Interessenbindungen der Parlamentarier:innen scheinen nicht nur einen relevanten Einfluss auf Reformen punkto Medikamentenpreise zu haben, sondern auch auf die gesundheitspolitische Positionierung der bürgerlichen Mehrheit generell: Denn auch die Mitte half letzte Woche mit, den Gegenvorschlag zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP zu verwässern. Sie stellte sich hinter die absolut ungenügende Variante des Ständerats und verhalf dieser so zu einer Mehrheit. Damit wartet die Bevölkerung weiterhin vergebens auf eine Entlastung bei den Prämien.
Wird ein Medikament von Swissmedic zugelassen, kann der Hersteller einen Preis dafür vorschlagen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vergleicht diesen mit verschiedenen Preisen im europäischen Ausland und stellt einen therapeutischen Quervergleich an. Einigen sich das BAG und der Pharmakonzern auf einen Medikamentenpreis, wird dieser veröffentlicht und von den Krankenkassen übernommen. Ab Marktzulassung unterliegt ein neu entwickeltes Medikament für mindestens 10 bis 15 Jahren einem Patentschutz. Danach dürfen andere Pharmaunternehmen Generika (Medikamente mit gleicher pharmazeutischer Zusammensetzung) herstellen und verkaufen. Dies führt dazu, dass das Medikament günstiger wird.
Diese Art der Preisgestaltung führt dazu, dass die Medikamente zur Gewinnmaximierung der Herstellerkonzerne beitragen. Da die Gesundheit der Bevölkerung im Interesse der Allgemeinheit ist, könnten Medikamente nicht einfach als private Handelsgüter ohne gesellschaftliche Verpflichtungen gesehen werden, schreibt Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des Instituts für Ethik im Gesundheitswesen der Stiftung Dialog Ethik im Magazin «im dialog» der Krankenkasse CSS. «Der Staat ist aus Gerechtigkeitsgründen verpflichtet, für angemessene Medikamentenpreise zu sorgen. Diesbezüglich besteht in der Schweiz Handlungsbedarf, denn es fehlen objektive Kriterien, um die Medikamentenpreise festzulegen.»
Aktuell fordert die Gesundheitskommission des Nationalrats vom Bundesrat, den Beitritt zur «BeNeLuxA-Initiative» zu prüfen. Die BeNeLuxA-Initiative verfolgt das Ziel, die arzneimittelpolitische Zusammenarbeit der Partnerstaaten mit relativ kleinen Märkten (Belgien, Niederlande, Luxemburg, Österreich und Irland) zu vertiefen. Dadurch soll der Zugang zu Arzneimitteln sichergestellt werden, gleichzeitig soll die Informationsasymmetrie zwischen Zulassungsinhaber:innen und Behörden verringert werden.