Kanton Zürich: Ehemaliger Grossmünster-Pfarrer will keine Senkung der Unternehmenssteuer

Am 18. Mai stimmt der Kanton Zürich über eine Senkung der Unternehmenssteuer ab. Wird die Vorlage angenommen, droht dem Kanton ein Steuerloch in der Höhe von 350 Millionen Franken. Pfarrer und Professor Christoph Sigrist lehnt die Vorlage entschieden ab. Für die sozialen Dienste der Kirche hätte sie verheerende Folgen.

Christoph Sigrist ist gegen die Senkung der Unternehmenssteuer. Foto. Urs Jaudas (zgv)

Bereits vor wenigen Jahren hat der Kanton Zürich die Unternehmenssteuer von acht auf sieben Prozent gesenkt. Nun steht eine erneute Steuererleichterung für Unternehmen um ein weiteres Prozent an. Am 18. Mai wird die Stimmbevölkerung darüber abstimmen.

Christoph Sigrist, ehemaliger Pfarrer des Zürcher Grossmünsters, jetzt Titularprofessor für Diakoniewissenschaft an der Universität Bern und Leiter der Forschungsstelle Urbane Diakonie an der Universität Zürich, erklärt im Interview mit «direkt», was er von der Abstimmungsvorlage hält.

«direkt»: Herr Sigrist, am 18. Mai stimmt der Kanton Zürich über eine erneute Senkung der Unternehmenssteuer ab. Was werden Sie auf den Stimmzettel schreiben?

Christoph Sigrist: Ich bin klar gegen diese Vorlage. Warum? Weil ich dagegen bin, dass zivilgesellschaftliches Engagement für die Schwächeren in unserer Gesellschaft noch weiter abgebaut wird. Das widerspricht der Präambel der Bundesverfassung.

«Die bereits jetzt fragile Eisschicht der sozialen Sicherheit wird noch dünner.»

«direkt»: «Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.»

Christoph Sigrist: Genau. Schauen wir doch, wie stark sich die Welt in den letzten vier Monaten verändert hat. Genau in solch unsicheren Zeiten kann die Gesellschaft nur funktionieren, wenn wir auch zu den Menschen schauen, denen es nicht so gut geht. Wir von der Kirche und der Diakonie machen das. Steuersenkungen zugunsten von Grosskonzernen gefährden diese Arbeit und die bereits jetzt fragile Eisschicht der sozialen Sicherheit wird noch dünner.

«direkt»: Gemäss Berechnungen droht dem Kanton bei einem Ja ein Steuerloch von 350 Millionen Franken. Können Sie abschätzen, was die Steuervorlage für die reformierte Kirche konkret bedeuten würde?

Christoph Sigrist: 2021 wurde die Gewinnsteuer bereits von acht auf sieben Prozent gesenkt. Die reformierte Kirche der Stadt Zürich musste eine Kürzung von 2,9 Millionen Franken hinnehmen. Für die reformierte Kirche des Kantons Zürich bedeutete diese erste Senkung damals einen Verlust von rund 8 Millionen Franken. Wird die Gewinnsteuer nun nochmals um ein Prozent gesenkt, würde das ein zusätzlicher Einnahmeverlust von 3,2 Millionen für die reformierte Kirche der Stadt Zürich bedeuten. Wenn man das für den Kanton Zürich rechnet, ergibt sich ein Verlust von 9,5 Millionen Franken, insgesamt für beide Schritte also 18 Millionen Franken. Das ist Geld, das für die Seelsorge, für die Obdachlosenarbeit, für die Begleitung von Migrant:innen und prekarisierter Familien nicht mehr zur Verfügung steht. Kürzungen in diesen Bereichen sind gefährlich für unser gesellschaftliches Zusammenleben.

«Not ist konfessionslos. Sie ist schlicht menschlich.»

«direkt»: Sie waren massgeblich daran beteiligt, eine Wirtschaftsdiakonie aufzubauen. Worum geht es dabei? 

Christoph Sigrist: Die Wirtschaftsdiakonie gibt es seit Anfang 2021 und hat zum Ziel, dass die Kirche wieder mit den KMUs in der Stadt Zürich ins Gespräch kommt. So können wir herausfinden, was die Betriebe von der Kirche erwarten und brauchen. Mit der Wirtschaftsdiakonie können wir die Beziehung von Kirche und Wirtschaft wieder neu aufleben lassen.

Unternehmenssteuern für soziale Arbeit der Kirche

Die Steuerzahlenden der Kirchgemeinden bestehen aus zwei Gruppen: den natürlichen Personen und den juristischen Personen, welche rund ein Drittel dieser Gelder ausmachen. Die Unternehmenssteuern der juristischen Personen dürfen nur für nicht-kultische Zwecke verwendet werden. Dazu gehören Bildungsangebote wie die Schuldenberatung, die kirchliche Seelsorge in Spitälern oder Pflegezentren und die Unterstützung diverser Hilfswerke wie HEKS, Brot für alle oder Solidara.


«80 Prozent der Unternehmen im Kanton zahlen keine oder kaum Gewinnsteuern. Diese Vorlage käme nur Grosskonzernen zugute.»

«direkt»: Wie kommt das an bei den Unternehmen?

Christoph Sigrist: In den letzten rund vier Jahren haben wir zahlreiche Gespräche geführt. Die Wertschätzung, die uns von den KMU entgegengebracht wird, ist sehr gross. Weit über 80 Prozent der 2024 aufgesuchten Firmen zeigten sich sehr dankbar für die sozialen Dienste, die die Kirche und die Diakonie leisten. Für uns ist das eine wichtige Bestätigung: Auch Wirtschaftskreise stehen hinter unserer Arbeit. Uns geht es dabei nicht um missionarische oder finanzielle Absichten, sondern um das Verständnis: Not ist konfessionslos. Sie ist schlicht menschlich.

«direkt»: Würden diese KMUs von der Gewinnsteuersenkung profitieren?

Christoph Sigrist: Nein, die allermeisten KMUs machen keine Gewinne, sondern schreiben eine schwarze Null. 80 Prozent der Unternehmen im Kanton zahlen keine oder kaum Gewinnsteuern. Diese Vorlage käme nur Grosskonzernen zugute. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Steuersenkung am 18. Mai von der Stimmbevölkerung abgelehnt wird.


1 Kommentar

  1. Der letzte Satz im Interview mit Christoph Sigrist ist gefährlich. Er sagt aus, dass er zuversichtlich sei, dass die Steuersenkung am 18. Mai agbelehnt werde. Gerade diese Sicherheit könnte Viele vom Urnengang abhalten. Frau/Man darf im Vorfeld nie allzu sicher sein, dass eine Vorlage oder ein Gesetz an der Urne angenommen oder abgelehnt wird. Gerade das ist Wasser auf die Mühlen des Gegners, besonders für uns Linke.

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