«Wir wollen anerkannt und respektiert werden.»

Non-binäre Menschen sind auf dem Papier entweder Frauen oder Männer. Damit wird ihre Identität nicht anerkannt. Das Transgender Network Schweiz will dies ändern und hat mit Nemo prominenten Support erhalten.

Nemo mit Fans am Flughafen Zürich. Foto: Walter Bieri (Keystone)

Was vor wenigen Wochen noch kaum denkbar war, ist mit dem Sieg von Nemo über Nacht zur Realität geworden: Alle Welt spricht von der Existenz non-binärer Personen. In der Schweiz müssen sich aber non-binäre Menschen entweder als Frau oder als Mann eintragen lassen. Wird sich das nun bald ändern? «direkt» hat bei Anis Kaiser vom Transgender Network Schweiz (TGNS) nachgefragt.

Anis Kaiser vom Transgender Network Schweiz. Foto: zVg
direkt: Ende 2022 hat der Bundesrat beschlossen, vorerst kein drittes Geschlecht im Personenregister einzuführen, weil die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien. Mit dem Sieg von Nemo am Eurovision Song Contest (ESC) im Mai bekommt das Anliegen derzeit sehr viel Aufmerksamkeit. Wo stehen wir heute politisch?

Anis Kaiser: Aktuell arbeitet das Bundesamt für Justiz (EJPD) an einem Bericht, der aufzeigen soll, ob die Situation von nicht-binären Personen verbessert werden kann, ohne das binäre Modell mit weiblichem und männlichem Geschlecht rechtlich in Frage zu stellen. Gesellschaftlich gibt der Sieg von Nemo am ESC dem Anliegen von nicht-binären Menschen viel Schwung. Auch, dass sich Nemo direkt an den Bundesrat gewendet hat, ist natürlich gut für uns. Die Sichtbarkeit ist grösser geworden. Wir wollen diesen Schwung nutzen. Gleichzeitig sehen wir auch, dass es nicht zu schnell gehen darf. Sonst gehen die überraschend geöffneten Türen gleich wieder zu. Schon jetzt gibt es politischen Gegenwind: SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel hat sich bereits mit der Frage an den Bundesrat gewendet, ob dieser bei seiner Haltung von 2022 bleiben wird und auch weiterhin darauf verzichtet ein drittes Geschlecht im Personenregister einzuführen.

«Ein dritter Geschlechtseintrag würde die Realität unserer vielfältigen Geschlechter widerspiegeln.»

Warum ist ein drittes Geschlecht im Personenstandsregister für nicht-binäre Menschen wichtig? 

Anis Kaiser: Es gibt viele Gründe, warum wir einen dritten Geschlechtseintrag brauchen: Er würde uns ermöglichen, dass unsere nicht-binären Identitäten offiziell anerkannt sind. Dadurch würden wir mehr Respekt und Anerkennung bekommen und auch sichtbarer sein. Das wäre ein wichtiger Schritt Richtung sozialer Inklusion und würde Diskriminierung verringern. Mit einem dritten Eintrag hätten wir die gleichen Rechte wie cis Menschen (Personen, deren Geschlecht mit der Zuteilung bei Geburt übereinstimmt, Anm. d. Red.) und könnten auch leichter auf wichtige Dienstleistungen zugreifen. Es würde auch dazu beitragen, dass mehr Menschen die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten verstehen und Stereotypen abbauen. Das ist besonders wichtig, weil trans binäre und nicht-binäre Menschen oft diskriminiert werden. Anerkennung hat auch einen positiven Einfluss auf unsere psychische Gesundheit. Ein dritter Geschlechtseintrag würde die Realität unserer vielfältigen Geschlechter widerspiegeln und folgt auch internationalen Präzedenzfällen.

Viel Gegenwind bläst dem Anliegen von rechts-konservativen Kreisen entgegen. Wie erklären Sie sich deren ablehnende Haltung?

Anis Kaiser: Die aggressive Haltung rechts-konservativer Kreise lässt sich durch das Konzept der ideologischen Hegemonie gut verstehen. Dabei geht es um die Bewahrung von Machtstrukturen und die Kontrolle über gesellschaftliche Normen und Werte.

«Indem sie die Identitäten von Minderheiten delegitimieren, versuchen rechts-konservative Kräfte, ihre eigene Macht zu festigen.»

Diese Kräfte versuchen uns in zwei Gruppen zu spalten: Die «Betroffenen» und die «Aktivist:innen». Die erste Gruppe wird pathologisiert und als schwach dargestellt, die «Hilfe» benötigt. Wer sich politisch für die Rechte von trans und nicht-binären Menschen einsetzt, wird als «Aktivist:in» der «Gender-Ideologie» abgestempelt, die eine Gefahr für die bestehende Ordnung darstellen würden.

Diese Spaltung zielt vor allem darauf ab, die Solidarität innerhalb der Gesellschaft zu untergraben. Indem sie die Identitäten von Minderheiten delegitimieren, versuchen rechts-konservative Kräfte, ihre eigene Macht zu festigen und ihre hegemoniale Kontrolle über die Diskurse aufrechtzuerhalten. Sie nutzen Angst und Vorurteile, um Veränderungen zu verhindern, die mehr Gleichheit und Inklusion bringen könnten.

«Es ist auch eine Frage des Respekts, sich darauf einzulassen und eine Person so anzureden, wie sie es wünscht.»

Oft wird von diesen Gruppen angemerkt, dass unsere Sprache gar nicht auf ein drittes Geschlecht ausgelegt ist. Sie setzten sich mit Vehemenz gegen eine gendergerechte Sprache ein. 

Anis Kaiser: Für mich ist das eine Frage des Willens. Die Gesellschaft verändert sich. Dass sich damit auch die Sprache verändert, ist logisch. Natürlich kann man sich dagegen wehren, aber dann liegt das Problem nicht in der Sprache, sondern bei der Ideologie. Es ist so, dass im Deutsch ein Pronomen für non-binäre Menschen fehlt. Aber es gibt viele Vorschläge, die aktuell getestet werden. Es ist auch eine Frage des Respekts, sich darauf einzulassen und eine Person so anzureden, wie sie es wünscht. Übrigens: Auch ich scheitere manchmal und misgendere Personen. Das ist normal und nicht schlimm! Es ist ein Lernprozess für uns alle.

Auch viele Feminist:innen äussern sich kritisch. Sie befürchten, dass die etablierten Schutzräume der Frauen verloren gehen könnten. Wie beurteilen Sie diese Angst? 

Anis Kaiser: Die zentrale Frage lautet: Wo liegt die Quelle der Gefahr? Die Antwort: In den allerwenigsten Fällen geht sie von trans oder nicht-binären Personen aus, sondern von einer bestimmten Form hegemonialer Männlichkeit.

«Ich verstehe Feminismus als einen Kampf für soziale Gerechtigkeit für alle.»

Feminismus, so wie ich ihn verstehe, kämpft nicht nur gegen toxische Männlichkeit und patriarchale Dominanz, sondern erkennt auch die vielfältigen Erfahrungen und Identitäten von Frauen an, insbesondere von marginalisierten, trans Frauen und nicht-binären Menschen. Ich verstehe Feminismus als einen Kampf für soziale Gerechtigkeit für alle, der auch die intersektionalen Aspekte von Rasse, Klasse, Sexualität, Gesundheit und Geschlecht berücksichtigt.

Unter toxischer Männlichkeit leiden nicht nur cis Frauen, sondern auch nicht-binäre und trans Personen, sowie oft nicht heterosexuelle und nicht weisse cis Männer. Deshalb müssen wir diesen Weg gemeinsam beschreiten. Allerdings gibt es keine perfekte Lösung, und es bleiben viele Fragen offen. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass wir alle davon profitieren werden, wenn wir gemeinsam nach Wegen suchen, die uns mehr Sicherheit, mehr Solidarität und mehr Verständnis füreinander geben.

Die beiden SP-Bundesrät:innen sind sehr offen gegenüber der Diskussion um ein drittes Geschlecht. Wie relevant ist diese Unterstützung für euch?

Anis Kaiser: Es freut uns sehr, dass sich mit Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans zum ersten Mal zwei Mitglieder des Bundesrats so offen für unsere Anliegen aussprechen. Das gibt uns zusätzlich Sichtbarkeit. Wir sind gespannt, wie das Gespräch zwischen Nemo und Beat Jans verlaufen wird.

«Wir sind bereits heute schon viel weiter als noch vor zehn Jahren.»

Welche Hindernisse müssen in der Schweiz noch überwunden werden, bis wir einen dritten Geschlechtseintrag im Personenregister haben werden?

Anis Kaiser: Unser Ziel ist die Einführung eines dritten Geschlechtseintrags. Aber der Weg dahin ist noch weit. Wir werden weiterhin versuchen, den Graben zwischen der Gesellschaft und den politischen Fronten zu verkleinern. Das geschieht mit Sensibilisierungsarbeit. Wir führen Gespräche mit der feministischen Bewegung und mit Vertreter:innen aus der politischen Mitte. Auch der Bericht vom EJPD wird unserem Anliegen Sichtbarkeit verleihen. Im Juli werden wir und mehr Menschen von der Community zum Beispiel an einem Workshop des Bundesamts teilnehmen. Das ist ein Novum und zeigt: Wir sind bereits heute schon viel weiter als noch vor zehn Jahren.

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