Die Schweiz zeigte sich in der Vergangenheit immer wieder stolz auf den gut ausgebauten Sozialstaat. «Kein Land leistet Sozialhilfe so umfassend und grosszügig wie die Schweiz», heisst es auch auf der SVP-Webseite. Die Partei ist mit der angeblichen «Grosszügigkeit» allerdings gar nicht glücklich. Sie unternahm in den letzten Jahren zahlreiche Angriffe auf die Sozialhilfe.
Die SVP startete gleich in mehreren Kantonen Vorstösse, um die Sozialhilfe zusammenzustreichen. Sozialhilfebezüger:innen sollen nach dem Willen der SVP nur noch einen Bruchteil des Existenzminimums in der Schweiz erhalten. Ein Grund für die radikalen Kürzungsvorschläge: «Die SKOS-Anspruchsmentalität hat Sogwirkung in den Bereichen Migration und Asyl», behauptet die Partei.
Eine aktuelle Studie, die im American Journal of Political Science veröffentlicht wurde und die Situation in der Schweiz genau analysiert, enthüllt nun allerdings, dass dieses Argument wenig mit der Realität zu tun hat. Drei Forscher:innen haben untersucht, ob Migrant:innen Gemeinden mit höherer Sozialhilfe bevorzugen – und sie haben keinen Anhaltspunkt gefunden, dass die Stimmungsmache gegen Migrant:innen begründet ist.
Sie haben mit Hilfe der Daten des Bundesamtes für Statistik nachgeforscht, ob die Höhe der Sozialhilfe einen Einfluss darauf hat, ob sich Bezugsberechtigte in solchen Gemeinden niederlassen. Und sie kamen zum Schluss, dass weder Schweizer:innen noch Migrant:innen ihren Wohnort so auswählen, dass sie möglichst viel Sozialhilfe kassieren.
Sozialleistungen haben keinen Einfluss auf Wohnortwahl
Zwar seien Migrant:innen bei der Wohnortwahl sehr flexibel, kommt die Studie zum Schluss. Die Sozialleistungen haben dabei aber keinen wesentlichen Einfluss. «Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die Wohnortentscheidungen der Zuwander:innen im Durchschnitt von anderen Erwägungen geleitet werden, als gemeinhin angenommen wird.»
Dennoch habe das Vorurteil, das sich in den Köpfen einiger Politiker:innen festgesetzt habe, zu negativen Konsequenzen für Migrant:innen geführt. So hätten in der Schweiz verschiedene Kantone und Gemeinden das Leistungsniveau gekürzt oder die Anspruchsberechtigung eingeschränkt, um die vermeintliche «Sogwirkung» abzuschwächen.
Sie kamen zum Schluss, dass sogar eine Erhöhung der Sozialhilfe nicht zu einer «Sogwirkung» führen würde. Im Gegenteil: selbst wenn die Beiträge um 100 Franken angehoben werden, lässt sich kein Effekt aus den Zahlen ablesen.
Die Studie wertete Daten von knapp 370’000 Personen in der Schweiz aus. Sie betrachtete, wie sich Personen, die Sozialhilfe beziehen, in einem Zeitraum von 10 Jahren bei der Wohnungssuche entscheiden.