Im Oktober 2024 entschied der Bundesrat, eine EU-Sanktion gegen Russland nicht zu übernehmen. Die Sanktion verpflichtet Rohstoffunternehmen «nach besten Kräften» sicherzustellen, dass ihre Tochtergesellschaften in Drittstaaten die Sanktionen gegen Russland nicht umgehen. Dem Entscheid von SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin ging erfolgreiches Lobbying der Rohstoffhändler gegen die Sanktion voran. «direkt» hat beim international renommierten Korruptionsexperten Mark Pieth nachgefragt, welche Folgen dieser Entscheid hat.
«direkt»: Herr Pieth, die Rohstofffirmen haben es mit ihrem Lobby-Powerplay geschafft, dass der Bundesrat die EU-Sanktionen gegen Russland nicht vollständig übernimmt. Was sagen Sie dazu?
Mark Pieth: Dass sich die Lobby der Rohstoffhändler in Bern durchsetzt, ist nichts Neues. Die Schweiz ist stolz darauf, dass wir eine Demokratie sind, was über weite Strecken auch korrekt ist. Aber wir sind auch eine gekaufte Demokratie. Mit unserem Miliz-Parlament ist es relativ leicht und auch billig, Parlamentarier:innen dafür zu zahlen, dass sie irgendwelche Interessen vertreten. Im weitesten Sinne ist das eine Form von Korruption. Und da schauen wir einfach darüber hinweg.
«direkt»: In diesem Fall war es sogar so, dass der Bundesrat Widerstand vonseiten der Branche via parlamentarische Vorstösse befürchtete und präventiv gehandelt hat.
Mark Pieth: Genau, hier musste man nicht einmal einen Parlamentarier zahlen. Es wurden Lobbyisten zum Seco geschickt. Dieses entschied dann im Interesse der Rohstoffbranche. Was wichtig zu wissen ist: Die Branche ist ein ähnlich grosser Komplex wie die Finanz- oder die Pharmaindustrie. Im Vergleich zu den eher schwächlichen Schweizer Behörden ist das ein regelrechter Elefant.
«Tochterfirmen, wenn sie mehrheitlich kontrolliert werden, sind abhängig. Natürlich kann man sie zwingen!»
«direkt»: Dann ist es keine Überraschung, dass die Exekutive gegenüber den Rohstoffunternehmen so einknickt?
Mark Pieth: Ja, es ist peinlich, aber es ist so. So war es auch exemplarisch bei der sogenannten «Tonnagesteuer». Da hat die Rohstoffbranche, repräsentiert durch Swissnégoce, praktisch eigenhändig die Botschaft des Bundesrats verfasst. Alles, was die Branche vorgeschlagen hat, wurde übernommen, inklusive Statistiken. Das Projekt wurde dann aber vom Parlament beerdigt, weil andere Branchen sich ähnliche Steuervorteile gewünscht hätten.
«direkt»: Die Rohstoffbranche argumentiert, dass die Konzerne ihre Tochterunternehmen nicht zwingen können, sich an die Sanktionen zu halten. Stimmt das?
Mark Pieth: Tochterfirmen, wenn sie mehrheitlich kontrolliert werden, sind abhängig. Natürlich kann man sie zwingen! Was die Rohstoffhändler eigentlich sagen möchten, ist: «Wenn wir das nicht mehr machen, dann macht jemand anderes das Geschäft.» Diese Haltung kennen wir schon lange, aber sie verfängt kaum. Die Frage ist, wie reagieren die anderen Staaten, die EU und die USA? Mit den USA ist es ein bisschen schwierig, weil wir nicht wissen, wie sie sich in Zukunft verhalten werden. Sie sind im Moment mit sich selbst beschäftigt. Auch mit der EU haben wir momentan tatsächlich wichtigere Dossiers. Allerdings hält uns die EU aufgrund des Sanktionsthemas für ziemlich unzuverlässig.
«Man hält uns nicht für zuverlässig, sondern sogar für Profiteure. Das ist aber nicht neu – das sind wir schon lange! Bis jetzt haben wir uns offensichtlich gut durchgemogelt.»
«direkt»: Können sich Rohstoffkonzerne dank dem Bundesrat jetzt wieder mit dem Krieg in der Ukraine bereichern?
Mark Pieth: Wir haben immer schon gute Geschäfte mit Rohstoffen gemacht. Es ist ein altes Geschäftsmodell, das in der Schweiz schon seit über 200 Jahren existiert. Seit den 1970er Jahren wächst der Rohstoffplatz – also Genf, Zug, Lugano – wie verrückt. Das wesentliche dabei ist: Man macht grosse Rohstoffgeschäfte, ohne dass die Rohstoffe je in die Schweiz kommen müssen. Das Problem für die «offizielle» Schweiz ist folgendes: Orte, die keine Russlandsanktionen kennen, wittern jetzt Morgenluft. Dazu gehören Dubai, Singapur, Hongkong. Schweizer Rohstoffhändler haben teilweise auch Büros dort. Böse gesagt, kommen unsere «sieben Zwerge» (der Bundesrat, Anm. d. Red.) angesichts dessen unter Druck von der hiesigen Branche.
«direkt»: Was konkret bedeutet, dass die Rohstoffbranche in Sachen Sanktionen gegen Russland die Zügel in der Hand hält.
Mark Pieth: Ja, das sind die Machtverhältnisse. Das hat mit Recht eigentlich nichts zu tun, es ist Machtpolitik. Das führt zu Kritik aus dem Ausland. Wie schon gesagt, man hält uns nicht für zuverlässig, sondern sogar für Profiteure. Das ist aber nicht neu – das sind wir schon lange! Bis jetzt haben wir uns offensichtlich gut durchgemogelt.