Nach Aufschrei der Bevölkerung: Recht auf Familienzusammenführung bleibt vorerst bestehen

Die SVP will Geflüchteten aus Kriegsgebieten Familienzusammenführungen verwehren und findet dank Mitte und FDP im Nationalrat eine Mehrheit dafür. Der Ständerat hat das Geschäft nun zurück in die zuständige Kommission geschickt, nachdem über 120'000 Menschen einen Appell der SP zum Schutz der fundamentalen Rechte Geflüchteter unterzeichnet haben.

Foto: Salah Darwish (Unsplash)

Geflüchteten aus Kriegsgebieten, die in der Schweiz eine vorläufige Aufnahme erhalten, soll kein Recht auf Familienzusammenführungen gewährt werden. Das fordert die SVP in einer Motion. Zusammen mit Stimmen der FDP und der Mitte hat eine Mehrheit im Nationalrat dem Geschäft zugestimmt.

Die Mitte-Rechts-Fraktionen missachten damit die fundamentalen Rechte von Geflüchteten. Das Recht auf Familienleben ist sowohl in der Schweizer Bundesverfassung als auch in den von der Schweiz ratifizierten internationalen Menschenrechtsverträgen verankert.

«Asyl-Appell» stoppt Ständerat

Kurz nach dem Entscheid lancierte die SP einen «Asyl-Appell» – eine Petition, die den Ständerat auffordert, den Entscheid des Nationalrats zu korrigieren und den SVP-Vorstoss bachab zu schicken. Innerhalb von 24 Stunden haben mehr als 120’000 Menschen die Petition unterzeichnet. Gemäss Einschätzungen in den Medien ging die Öffentlichkeit vorher davon aus, dass der Ständerat dem Nationalrat folgen wird. Nun entschied die kleine Kammer aber, die Motion zurück in die Kommission zu schicken. Damit ist sie zwar noch nicht vom Tisch, aber die Standesvertreter:innen können sich so nochmals in Ruhe überlegen, ob sie die rechtlichen Vorgaben aus der Bundesverfassung und den internationalen Menschenrechtsverträgen wirklich über den Haufen werfen wollen – bei jährlich gerade mal rund 100 Gesuchen für Familienzusammenführungen. Diese Zahl steht auch in keinem Verhältnis zum angeblichen «Asyl-Chaos», das die SVP während der Beratung der Motion im Nationalrat in gewohnter Manier heraufbeschworen hat.

Hohe Hürden für vorläufig Aufgenommene

Die SVP vermittelte in der Debatte bewusst das Gefühl, dass ein grosser Teil der Migrant:innen in der Schweiz, Familienmitglieder von vorläufig Aufgenommenen sind. Dies ist fernab jeglicher Realität:  Bereits heute sind die Auflagen für Familienzusammenführungen sehr hoch. Ein Antrag kann frühstens nach drei Jahren in der Schweiz eingereicht werden, sofern eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden ist und die Familie finanziell auf eigenen Beinen stehen kann. Gerade für Personen, die vorläufig aufgenommen sind, ist es aufgrund ihres unsicheren Status aber besonders schwierig eine Stelle zu finden und genug Geld für eine ganze Familie zu verdienen. Viele vorläufig aufgenommene Personen sind zudem psychisch stark belastet, weil sie in ständiger Sorge um ihre Angehörigen im Herkunftsland leben müssen.

Kehrtwende bei der FDP

Die SVP hat die Motion im Nationalrat nur dank der Stimmen von der Mitte und der FDP durchgebracht. Besonders bemerkenswert ist hier der Meinungsumschwung letzterer: 2023 hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz aufgefordert, die Frist für Familienzusammenführungen für vorläufig Aufgenommene von drei auf zwei Jahre zu verkürzen. Auch die FDP bekannte sich im Vernehmlassungsverfahren vom Bundesrat zu dieser Anpassung. Anfang August – also erst vor zwei Monaten – schrieb die Partei in ihrer Stellungnahme, dass die Schweiz ihre internationalen Verpflichtungen, insbesondere die aus der EMRK, respektieren und umsetzen müsse. Warum sie nur wenige Wochen später einer Abschaffung der Familienzusammenführungen gestimmt hat, ist schleierhaft.

Das bedeutet vorläufige Aufnahme

Geflüchtete aus Kriegsgebieten können in der Regel keinen persönlichen Asylgrund gemäss Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen. Sprich: Sie sind nicht wegen ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihres Geschlechts an Leib und Leben bedroht. Zudem ist es so, dass in der schweizerischen Rechtspraxis das Erfordernis der gezielten und individuellen Verfolgung restriktiver ausgelegt wird als in der Genfer Flüchtlingskonvention. Die asylsuchende Person muss glaubhaft machen, dass die ernsthaften Nachteile gezielt gegen sie persönlich gerichtet waren.

Asylgesuche von Geflüchteten aus Kriegsgebieten werden daher oft abgelehnt. Aufgrund der akuten Bedrohungslage in ihrem Herkunftsland dürfen sie aber nicht zurückgeschickt werden – weil sie dort an Leib und Leben bedroht sind. Sie erhalten in der Schweiz eine vorläufige Aufnahme. Damit sind sie rechtlich schlechter gestellt als anerkannte Flüchtlinge. Dies, obwohl sie in vielen Fällen aufgrund der Situation im Herkunftsland ebenfalls ein Leben lang in der Schweiz bleiben müssen.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein