Mindestlöhne helfen gegen Armut

Rund 55'000 Menschen leben in der Schweiz trotz hohem oder Vollzeitpensum in Armut. In immer mehr Städten und Kantonen schützen Mindestlöhne vor Dumpingsalären.

Foto: Keystone (Christian Beutler)

Menschen, die in der Stadt Zürich und in Winterthur arbeiten, sollen von ihrem Lohn leben können. Dieser Meinung waren bei den Abstimmungen am 18. Juni 2023 weit mehr als zwei Drittel der Stimmbevölkerung. Tieflohnbetroffene werden damit bald mindestens CHF 23.90 pro Stunde verdienen. Die Stimmberechtigten haben damit Dumpinglöhnen einen Riegel geschoben.

Mindestlöhne schützen vor Armut

Bürgerliche Politiker:innen stellen sich gerne vor Unternehmen, die Tiefstlöhne auszahlen. Sie behaupten, dass Mindestlöhne Jobs gefährdeten und schädlich für die Wirtschaft seien. Doch die Forschung sagt etwas anderes: Gemäss Michael Siegenthaler, Leiter des Forschungsbereichs Arbeitsmarkt bei der Konjunkturforschungsstelle KOF gibt es hunderte Studien zu den Beschäftigungseffekten. Verdikt: Mindestlöhne führen zu keinem Arbeitsplatzabbau.

Gegenüber «direkt» sagt Siegenthaler, dass Mindestlöhne am unteren Ende der Lohnskala einen effektiven Anstieg der Löhne bewirkten. «Die Forschung zeigt auch, dass die Umsetzung recht gut funktioniert. Die Menschen erhalten einen höheren Lohn und verlieren ihre Stelle nicht», so Siegenthaler. Besonders Frauen profitierten davon, denn sie arbeiten überdurchschnittlich häufig in Tieflohnbranchen.

Initiativen in der ganzen Schweiz

Mindestlöhne sind bisher nur auf kantonaler Ebene geregelt: Der Kanton Neuenburg kennt seit 2017 Mindestvorgaben, gefolgt vom Kanton Jura, Genf, dem Tessin und Basel-Stadt. Die städtischen Mindestlöhne in Zürich und Winterthur sind ein Schweizer Novum – und sie könnten einen Trend auslösen: SP-Stadtparlamentarier:innen in Bern und Biel fordern in Vorstössen eine Mindestlohnregelung. In Luzern wurde im März eine städtische Initiative eingereicht. Auch in diversen Kantonen laufen Mindestlohn-Initiativen.

Bürgerlicher Angriff durch die Hintertür

­­Trotz klaren kantonalen und kommunalen Abstimmungsresultaten versuchen bürgerliche Politiker:innen die Entscheide zu kippen. In der Stadt Zürich wollen die Gegner:innen das Abstimmungsergebnis – ohne Aussichten auf Erfolg – wenn nötig bis zum Bundesgericht anfechten. Damit verzögern sie die Einführung eines fairen Lohns um viele Monate. Auf nationaler Ebene hat die rechte Mehrheit einer Motion zur Umgehung von kantonalen Mindestlöhnen von Mitte-Ständerat Erich Ettlin zugestimmt. Dieser möchte Mindestlöhne aushöhlen. Gesamtarbeitsverträge sollen kantonale und kommunale Vorgaben ausser Kraft setzen. Dieser Frontalangriff auf die kantonale Souveränität entlockte sogar SVP-Bundesrat Guy Parmelin ein Votum für die Mindestlöhne: «Ein kantonales Gesetz zum Mindestlohn hat per definitionem eine demokratische Legitimation und muss daher mehr Gewicht haben als ein für allgemeinverbindlich erklärter Gesamtarbeitsvertrag.»

 

Sommerserie «Armut in der Schweiz»

Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Trotzdem ist ein beachtlicher Teil der Bevölkerung armutsbetroffen oder armutsgefährdet. Und: Die Armutsquote steigt seit 2014 an. Welche politischen Massnahmen braucht es, damit die Armut zurückgeht? Dieser Frage gehen wir in dieser Sommerserie nach. Abonniere jetzt unseren Newsletter, um auf dem Laufenden zu bleiben.

 

Weitere Artikel zum Thema:

1 Kommentar

  1. Ein Mindestlohn, der die Lebenshaltungskosten deckt, ist dringend nötig! Aber bitte in allen Bereichen, auch in der Landwirtschaft. Ausserdem braucht es eine echte Kontrolle mit etwas mehr Augenmass. Da werden heute für Migranten die Löhne durchs AWA kontrolliert, offiziell um Lohndumping zu vermeiden, in der Realität aber nur um billige Arbeitskräfte zu generieren (5000,- im Monat bei einer Bank als Anfangsgehalt für eine Personen mit mässigen Deutschkenntnissen als zu niedrig abgelehnt, aber 15.- pro h als Landarbeiter mit Zwangslogis und Zwangsverpflegung, also 1500,- pro Monat gut geheissen, es ging um dieselbe Person).

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein