Erhöhung des Rentenalters verschärft soziale Ungleichheit

Der Jungfreisinn fordert mit einer Initiative die schrittweise Erhöhung des Rentenalters von Frauen und Männern. Am Montagabend hat der Nationalrat die sogenannte Renteninitiative zurück in die zuständige Gesundheitskommission geschickt. Diese soll nun einen indirekten Gegenvorschlag ausarbeiten. Zuvor haben die zuständigen Kommissionen, der Ständerat und der Bundesrat sowohl die Initiative wie auch die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags abgelehnt.

Ginge es nach den Jungfreisinnigen, würde das Rentenalter an die Lebenserwartung gekoppelt. Foto: Keystone (Geatan Bally)

Im September 2022 hat die Bevölkerung der AHV21 und somit der Erhöhung des Frauen-Rentenalters auf 65 Jahre zugestimmt. Das ist noch nicht genug, finden die Jungfreisinnigen Schweiz (JFS): Mit ihrer Initiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)» soll das Rentenalter generell auf 66 Jahre erhöht und in einem weiteren Schritt an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Dadurch würde es noch weiter ansteigen. Die Begründung der JFS: Die AHV gehe sonst bankrott, weil die Menschen heute länger leben.

Nach der Ablehnung von Bundesrat, Ständerat und der Gesundheitskommission des Nationalrats ist der Entscheid der grossen Kammer eine Überraschung. Mit nur einer Stimme Unterschied beauftragte der Nationalrat die Kommission damit, einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Damit heizt die bürgerliche Mehrheit die sozialen Probleme in der Altersvorsorge weiter an. «direkt» hat zusammengefasst, warum die Forderung der Jungfreisinnigen problematisch ist:

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Die Drohung der leeren Kassen

Wenn es um die Finanzierung der AHV geht, malen die Bürgerlichen gerne schwarz. Seit Jahren warnen sie davor, dass die AHV vor dem finanziellen Kollaps stehe. Damit zementieren sie die Vorstellung, dass die zurzeit überdurchschnittliche Zunahme der Anzahl Rentner:innen die Altersvorsorge vor unlösbare Probleme stelle. Dies lässt sich jedoch nicht belegen. Bisherige Prognosen haben sich mehrfach als falsch und als zu pessimistisch erwiesen. 2022 schloss die AHV beispielsweise mit einem positiven Umlageergebnis von 1,6 Milliarden Franken ab.

Bei der Diskussion um die Finanzierung der AHV gilt es zu berücksichtigen, dass bereits einige Reformen beschlossen wurden. Das gilt einerseits für die STAF-Vorlage (Steuerreform und AHV-Finanzierung), der die Stimmbevölkerung 2019 zugestimmt hat, andererseits für die AHV21, die bei der Abstimmung im September 2022 eine hauchdünne Mehrheit erzielte.

In der Diskussion wird zudem vernachlässigt, dass die AHV-Finanzierung nicht nur vom demographischen Wandel und der absoluten Anzahl Rentner:innen abhängt. Entscheidend ist auch, wie viel Geld in die AHV fliesst. Dies ist von der Lohnsumme abhängig. Steigt diese, wie dies in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war, steigen auch die Einnahmen der AHV. Die zunehmende Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt ebenso wie das wirtschaftliche Wachstum trugen hier einen wesentlichen Teil dazu bei.

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Frühpension kann sich nur eine Minderheit leisten

Wer im Leben wenig verdient, kann weniger in die Altersvorsorge einzahlen und erhält dadurch eine tiefere Rente. Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen können es sich darum kaum leisten, sich frühzeitig pensionieren zu lassen.

Verlieren diese Menschen kurz vor der Erreichung des Rentenalters ihre Stelle, ist es für sie praktisch unmöglich, noch eine Anstellung zu finden. Es ist also nicht so, dass durch ein höheres Rentenalter die Arbeitslosigkeit gesenkt und dem Fachkräftemangel besser begegnet werden kann. Denn bereits heute braucht es griffige Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit der über 55-Jährigen, die in vielen Fällen keine Stelle mehr finden.

Grosse Unternehmen wie die Swisscom haben aus diesem Grund die «Altersteilzeit» eingeführt. Damit können ältere Angestellte ihr Arbeitspensum reduzieren. Die Arbeitgeberseite zahlt weiterhin Beiträge auf den gesamten versicherten Lohn.

Der von der jungfreisinnigen Initiative vorgesehene Automatismus bei der Erhöhung des Rentenalters berücksichtig gemäss den Angaben des Bundesrats weder die tatsächliche Situation der älteren Angestellten auf dem Arbeitsmarkt noch die sozialen Umstände. Der Zeitpunkt der Pensionierung ist bereits heute nicht von der Gesetzeslage bestimmt: Er ist von der eigenen finanziellen Situation und/oder einem finanziellen Entgegenkommen des Arbeitgebers abhängig.

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Reiche leben tendenziell länger

Reiche können nicht nur früher in Rente gehen, sie leben tendenziell auch länger als Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen. Denn die Lebenserwartung wird massgeblich von Einkommen und Bildungsniveau beeinflusst.

Das zeigt eine Genfer Studie: Zwischen 1990 und 2014 verlängerte sich bei Menschen mit hohem Bildungsstand die gesunde Lebensdauer. Die Gesundheit von Personen mit tiefem Bildungsstand verschlechterte sich früher. Auch die erzliberale NZZ anerkennt diese Tatsache und titelt in Anlehnung an die Studie: «Warum Reiche bessere Chancen auf ein gesundes Leben haben.»

Diese Ungleichheit verstärkt sich mit der Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung: Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen werden damit gleich doppelt bestraft. Sie können es sich nicht leisten, sich früher pensionieren zu lassen, und leben im Schnitt weniger lang als Menschen mit hohem Einkommen. Zusammengefasst: Wer weniger verdient, hat schliesslich weniger Lebenszeit im Ruhestand.

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