«direkt»: Die SVP nennt ihre Initiative auch «Nachhaltigkeits-Initiative». Inwiefern ist die Initiative im Sinne des Umweltschutzes nachhaltig?
Antoine Dubiau: Statistisch gesehen ist es so, dass weniger Menschen bei gleichem Lebensstil tatsächlich weniger zur globalen Erwärmung beitragen. Die Fokussierung auf die demografische Dimension verdeckt jedoch die anderen Aspekte des ökologischen Fussabdrucks. Zum Beispiel jene des politischen Regimes, des Wirtschaftssystems und des technologischen Niveaus. Die Initiative will vielmehr einen bestimmten Lebensstil schützen, indem sie ihn der Schweizer Bevölkerung vorbehält, als dass sie den Umweltschutz fördern will. Da die Erderwärmung aber per Definition ein globales Problem ist, das eine international koordinierte Antwort erfordert, würde eine Beschränkung der Schweizer Bevölkerung das Problem lediglich in andere Länder .

«direkt»: Diese Initiative ist also nicht der erste Schritt der SVP in Richtung einer Klimapolitik, die diesen Namen verdient?
Die klimapolitische Frage gewinnt immer mehr an Bedeutung. Keine politische Partei kann es sich leisten, diese zu ignorieren – auch jene Rechtsaussen nicht. Das bedeutet aber nicht, dass die SVP nun zur Umweltschützerin wird. Internationale Beispiele zeigen deutlich, wie unterschiedlich die Positionen gegenüber dem Umweltschutz innerhalb der extremen Rechten sind. Während Donald Trump den Klimawandel leugnet, behauptet der Rassemblement National in Frankreich, einen «Umweltschutz des gesunden Menschenverstandes» zu entwickeln. In beiden Fällen ist dies eine Methode, um sich einem sozialen Umweltschutz zu widersetzen.
Antoine Dubiau promoviert am Geografischen Institut der Universität Genf und beschäftigt sich in seiner Forschung mit politischen Umweltbewegungen. 2022 veröffentlichte er das Buch «Écofascismes» – Ökofaschismen. Darin bricht er mit dem verbreiteten Bild, dass ökologische Anliegen automatisch links verortet sind. Er setzt sich mit ökologischen Strömungen innerhalb der französischen extremen Rechten auseinander und zeigt, wie rechtsextreme Ideologien auch in Umweltideen mitschwingen können, die sonst von der politischen Linken vertreten werden.
«direkt» Zu welcher Gruppe gehört die SVP?
Die SVP verfolgte lange eine «Trump-ähnliche» Linie. Diese Initiative ändert das nun aber ein bisschen. Die SVP eignet sich das Thema des Umweltschutzes an und instrumentalisiert es, um ihren Diskurs gegen die Zuwanderung salonfähiger zu machen.
«direkt» Der Umweltschutz ist also ein Argument, um die Anti-Immigrations-Ideen bei einem breiteren Teil der Bevölkerung beliebt zu machen. Führt die SVP damit die Menschen absichtlich in die Irre?
Wichtiger erscheint mir die Frage, wie sich die Initiative im politischen Feld positioniert. Was will die SVP damit erreichen? Mit welchen Argumenten? Auf der Website der Initiative gibt es nur sehr wenige Artikel, die sich wirklich mit dem Thema Umweltschutz befassen. Obschon der Titel der Initiative etwas anderes vermuten lässt: Bei ihrer Argumentation wird die Nachhaltigkeit nur äusserst selten thematisiert.
«direkt»: Somit ist die Umweltpolitik für die SVP nur zweitrangig?
In der Schweiz ist die Verbundenheit mit der Landschaft und der Natur im Vergleich zu anderen Ländern stark ausgeprägt. Die «traditionelle Schweizer Landschaft» ist ein wichtiger Teil des nationalen Eigenverständnisses – und auch etwas, woran die SVP stark hängt. Es ist eine Sichtweise von Umweltschutz, die sich auf einen ästhetischen Aspekt konzentriert und den Klimaschutz oder den Schutz der Ökosysteme ausser Acht lässt.
«direkt»: Können Sie das weiter ausführen?
Die SVP vertritt eine starre Vision davon, was das traditionelle Schweizer Territorium aus ästhetischer Sicht sein sollte. Diese Vision ist geprägt von der Idee der Harmonie mit der Natur, ja sogar der Liebe zu ihr. Der konkrete Einfluss der Menschen auf diese Natur wird ausgeblendet. Der SVP geht es nicht um mehr Umweltschutz. Im Gegenteil: Sie verteidigt mit ihrer Politik die ultra-karbonisierten und anti-ökologischen Lebensweisen, die in der Schweiz weitgehend vorherrschen. Die Initiative zielt eher darauf ab, die Zahl der extrem privilegierten Personen einzuschränken, als eine echte Veränderung in Richtung mehr ökologische Verantwortung einzuleiten.
«direkt»: Die SVP, insbesondere Bundesrat Albert Rösti, greift regelmässig den Klimaschutz an. Wie gehen diese diese beiden Strategien zusammen, also die «ökologischen» und die «anti-ökologischen» Argumente?
Eben, meiner Meinung nach sind die beiden Strategien gar nicht so gegensätzlich. Mehr Umweltschutz bedeutet nicht zwangsläufig mehr soziale Gerechtigkeit. Es ist durchaus möglich, eine «grüne» Politik vorzutäuschen und gleichzeitig diskriminierende Systeme zu stärken. Umweltschutz ändert fast nichts an der ursprünglichen ideologischen Grundlage einer politischen Gruppierung. Es kommt nur darauf an, wie sie in diese integriert wird. Umweltschutz ist kein fruchtbarer Boden für politische Allianzen zwischen Gruppen, die sich normalerweise gegenüberstehen. Statt einem Umweltschutz, der alle Gegensätze einen will, braucht es einen unmissverständlich sozialen Umweltschutz.