Inflation treibt aktuell 78’000 Menschen in der Schweiz in die Armut

Prämienschock, steigende Energiepreise und Inflation fressen ein Loch in die Schweizer Haushaltsbudgets. Die Zahl der Armutsbetroffenen in der Schweiz könnte bald auf mehr als 800’000 Personen ansteigen.

(KEYSTONE/Christof Schuerpf)

Die Forscher:innen, die sich mit Armut beschäftigen, sind besorgt. Denn die steigenden Preise für Strom, Krankenkassen, Lohnnebenkosten und Lebensmittel sorgen bei vielen Haushalten für leere Kassen. Die Inflation treibt so Tausende Personen in die Armut.

Besonders hart trifft es die ohnehin schon weniger Betuchten. Das ärmste Fünftel der Bevölkerung gibt laut den Zahlen des Bundes für Nahrungsmittel, Wohnen und Energie fast die Hälfte des Einkommens aus. Sie werden mit den Preissteigerungen am meisten zu kämpfen haben. Bei einem durchschnittlichen Haushalt machen diese Kosten weniger als ein Viertel des Einkommens aus.

Das ärmste Fünftel der Bevölkerung gibt laut den Zahlen des Bundes für Nahrungsmittel, Wohnen und Energie fast die Hälfte des Einkommens aus.

Oliver Hümbelin, Professor an der Fachhochschule für Soziale Arbeit in Bern mit Forschungsschwerpunkt Ungleichheit und Armut in der Schweiz, rechnet in der Berner Zeitung vor, dass die Zahl der Armutsbetroffenen um 11 Prozent steigen wird. Das heisst konkret, dass 78’000 Personen wegen der steigenden Preise in die Armut getrieben werden.

Bald werden gemäss diesen Berechnungen rund 800’000 Personen in der Schweiz unter der Armutsgrenzen leben. Fast jede zehnte Schweizerin und jeder zehnte Schweizer hat nicht mehr genug Geld, um gut über die Runden zu kommen.

Schnelle Massnahmen gefordert

Was Armut für die Menschen bedeutet, wird in der Berner Zeitung bei einem Besuch in einem Caritas-Laden aufgezeigt, wo Betroffene günstig Bedarfsgegenstände für den Alltag kaufen können. Diese Läden gelten als Frühwarnsystem, um steigende Armut zu erkennen – und deren Alarmglocken klingeln.

Deshalb fordert Caritas schnelle Massnahmen, denn schon Mehrkosten von 50 oder 100 Franken im Monat würden sich auf Menschen an der Armutsgrenze im Alltag drastisch auswirken. «Die Politik darf jetzt nicht weiter zögern mit dem Ausbau der Prämienverbilligungen. Sie sind für Betroffene von existenzieller Bedeutung», so Peter Lack, Direktor Caritas Schweiz.

Auch andere Parteien, Gewerkschaften und Verbände sehen dringenden Handlungsbedarf. AvenirSocial, der Berufsverband der Sozialen Arbeit, fordert eine höhere Sozialhilfe, da diese heute in vielen Kantonen knapp über dem (und in einigen Kantonen sogar unter dem) von der SKOS errechneten Existenzminimum liegt.

Im Parlament hatten SP und die Mitte mit einem Kaufkraft-Paket bereits erreicht, dass bei den Renten ein vollständiger Teuerungsausgleich erfolgen soll. Ob die zweite Massnahme, die Erhöhung der individuellen Prämienverbilligung (IPV) für das kommende Jahr, wirklich kommt ist noch unklar. Mitte-Ständeräte haben entschieden, dass der Ständerat erst in der Wintersession darüber debattieren soll.

Die Warnsignale in den Medien, von involvierten Organisationen und aus der Forschung nehmen zu, die Forderungen werden resoluter. Die Diskussion um den Erhalt der Kaufkraft wird nicht so schnell abflauen.

2 Kommentare

  1. Rund 700‘000 Armutsbetroffene gab es in der Schweiz schon vor der aktuellen Inflation. Immer noch geistert die irrige Annahme durchs Land, wer arm sei, sei selber schuld, hätte sich eben bloss mehr anstrengen müssen, so nach dem Motto, jeder sei seines Glückes Schmied. Tatsächlich aber sind die übermässige Armut wie auch der übermässige Reichtum nichts anderes als die beiden Kehrseiten des selben kapitalistischen Wirtschaftssystems. Reiche sind nicht reich, weil sie besonders viel arbeiten, sondern weil Abertausende andere für ihre Arbeit viel weniger verdienen, als diese Arbeit eigentlich Wert wäre. Deshalb muss man nicht die Armut bekämpfen, sondern den Reichtum. Wenn man den Reichtum bekämpft, dann verschwindet die Armut ganz von selber.

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