«direkt»: Frau Hertig, wie kommen die Medikamentenpreise in der Schweiz zustande?
Gabriela Hertig: Insgesamt machen die Medikamentenkosten etwa 25 Prozent der gesamten Gesundheitskosten der obligatorischen Krankenversicherung aus. Drei Viertel dieser Kosten werden durch patentierte Medikamente verursacht. Die hohen Preise sind darauf zurückzuführen, dass Pharmaunternehmen eine Monopolmacht basierend auf Patenten und anderen geistigen Eigentumsrechten haben und entsprechend hohe Medikamentenpreise verlangen können.
«Die Industrie selbst legt nie transparent offen, wie viel sie tatsächlich investiert hat.»
«direkt»: Sie haben bei Public Eye die hohen Margen bei Krebsmedikamenten untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Gabriela Hertig: Die Pharmaindustrie rechtfertigt ihre Monopolmacht und die hohen Preise damit, dass Forschung und Entwicklung sehr teuer seien. Public Eye hat deshalb auf Basis von wissenschaftlichen Publikationen die Forschungs- und Entwicklungskosten für sechs Krebsmedikamente geschätzt und die Profitmargen für die Schweiz berechnet. Die Industrie selbst legt nie transparent offen, wie viel sie tatsächlich investiert hat. Sie behauptet aber, dass der Patentschutz mindestens 20 Jahre dauern müsse, damit sich ihre Investitionen lohnen.
«direkt»: Welche Auswirkungen hat das auf die Margen?
Wir haben Profitmargen von 40 bis 90 Prozent auf Krebsmedikamente berechnet. Das ist enorm viel, denn unsere Berechnung berücksichtigt schon die Kosten von Misserfolgen – also von Medikamenten, die es nie auf den Markt schaffen. Natürlich wurden wir nach Publikation unserer Ergebnisse sofort vom Schweizer Branchenverband Interpharma angegriffen. Dieser tat die Untersuchung als «abenteuerlich» ab, obwohl sehr klar ist, dass wir fundiert recherchiert haben.
«Die hohen Margen kommen daher, dass das Geschäftsmodell der Pharmaindustrie der Profitmaximierung dient.»
«direkt»: Hat der Pharmaverband daraufhin eigene Zahlen offengelegt?
Gabriela Hertig: Nein, ihre Kritik an unserer Vorgehensweise blieb sehr vage. Darum vermuten wir, dass unsere Schätzung wohl nicht so weit von der Realität entfernt liegt.
«direkt»: Die hohen Margen haben demnach keine Grundlage?
Gabriela Hertig: Die hohen Margen kommen daher, dass das Geschäftsmodell der Pharmaindustrie der Profitmaximierung dient. Die effektiven Investitionen in Forschung und Entwicklung sind zweitrangig. Bis heute fehlen transparente Zahlen der Industrie selbst. Aktuell sind Pharmakonzerne private Unternehmen und ich will nicht sagen, dass sie keinen Profit machen dürfen, aber: Wenn man die Margen in der Pharmaindustrie mit jenen anderen Industrien vergleicht, stehen Pharmaunternehmen sehr gut da. Und das auf Kosten des Zugangs zu Medikamenten und des Menschenrechts auf Gesundheit für alle.
«Die Debatte, die die SP so angestossen hat, ist wichtig, um die Idee in die Öffentlichkeit und ins Parlament tragen zu können.»
«direkt»: Die SP hat vorgeschlagen, Sandoz, den führenden Hersteller von Generika in der Schweiz, staatlich zu übernehmen. Was würde das bedeuten?
Gabriela Hertig: Der Kauf von Sandoz läuft unter der Idee von «Public Pharma» – einer öffentlichen Kontrolle der Medikamentenentwicklung und -herstellung basierend auf den öffentlichen Bedürfnissen. Das soll den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten für alle garantieren. Die Debatte, die die SP so angestossen hat, ist wichtig, um die Idee in die Öffentlichkeit und ins Parlament tragen zu können. Es ist auch eine Frage, die europaweit diskutiert wird. Gerade nach der Covid-19-Krise, wo augenscheinlich wurde, wie stark öffentliche Gelder privaten Gewinn finanzieren. Die Staaten hatten keine Kontrolle und waren komplett abhängig von der Pharmaindustrie.
«direkt»: Und diese Abhängigkeit könnten wir mit dem Kauf von Sandoz vermindern?
Gabriela Hertig: Die entscheidende Frage ist, welche Probleme mit welchen Massnahmen gelöst werden können und wo der Staat am sinnvollsten und wirkungsvollsten intervenieren kann. Wenn wir also über die Versorgungssicherheit mit Generika sprechen und darüber, dass gewisse Medikamente nicht mehr produziert werden, weil es nicht lukrativ ist, müsste man zuerst Transparenz bei den Lieferketten schaffen und genau analysieren, wo die Probleme liegen. Wollen wir eine bedürfnisorientierte Entwicklung von Medikamenten und weg vom profitorientierten Geschäftsmodell, ist das nochmal eine etwas andere Diskussion. Bei teuren, patentierten Medikamenten ist unter anderem Transparenz über Preise sowie Forschungs- und Entwicklungskosten und die Nutzung existierender Mechanismen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit entscheidend. Bei all diesen Punkten ist die regionale und internationale Zusammenarbeit zentral. Wir sind stark vernetzt, da ist es wenig sinnvoll, nur auf eine nationale Strategie oder eine einzelne Firma zu setzen.
«Vor einigen Jahren waren alle ausgehandelten Preise im Grundsatz öffentlich. Immer häufiger werden jedoch im Rahmen sogenannter Preismodelle vertrauliche Rabatte verhandelt – aktuell ohne eigentliche Rechtsgrundlage.»
«direkt»: Wie transparent ist denn die Preisbildung?
Gabriela Hertig: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Pharmakonzerne handeln den Preis für patentierte Medikamente aus, wenn diese von der Grundversicherung bezahlt werden. Das BAG nimmt dabei zwei Vergleiche vor: einen geografischen mit Referenzpreisen aus neun anderen europäischen Ländern und einen therapeutischen, also Preise von ähnlichen, auf dem Markt erhältliche Behandlungen. Aktuell wird im Parlament die Revision des Krankenversicherungsgesetzes beraten, die «Geheimrabatte» für patentierte Medikamente legalisieren würde.
«direkt»: Was bedeutet das konkret?
Gabriela Hertig: Vor einigen Jahren waren alle ausgehandelten Preise im Grundsatz öffentlich. Immer häufiger werden jedoch im Rahmen sogenannter Preismodelle vertrauliche Rabatte verhandelt – aktuell ohne eigentliche Rechtsgrundlage. Publiziert wird nur noch ein «Schaufensterpreis», den tatsächlich bezahlten Preis kennen nur noch die Pharma und das BAG. Zudem wären diese vertraulichen Preise mit der Gesetzesänderung grundsätzlich vom Öffentlichkeitsprinzip ausgeschlossen. Die Pharmakonzerne hebeln damit de facto den geografischen Vergleich aus. So lassen sich die Länder gegeneinander ausspielen.
«Das Parlament opfert für diese Geheimrabatte somit ein Grundprinzip unserer Demokratie: das Öffentlichkeitsprinzip. Das ist ein absoluter Präzedenzfall und gibt der Pharmaindustrie noch mehr Macht.»
«direkt»: Und wieso akzeptiert der Bund das?
Gabriela Hertig: Der Bundesrat und das BAG argumentieren, dass die Preisverhandlungen schneller abgewickelt und die Kosten gesenkt würden, weil die Unternehmen eher bereit seien, tiefe Preise zu akzeptieren, wenn diese geheim bleiben. Dafür haben wir aber keine Evidenz gefunden. Die Studien, mit welchen der Bund dieses Argument untermauert, sind entweder veraltet, von der Pharmaindustrie in Auftrag gegeben oder stammen aus der Feder von Pharma-nahen Kreisen.
«direkt»: Wird das Parlament dem zustimmen?
Gabriela Hertig: Aktuell ist die Gesamtvorlage in der Differenzbereinigung. Bei den betroffenen Gesetzesartikeln haben sich National- und Ständerat nun auf Geheimrabatte geeinigt und das Öffentlichkeitsprinzip ausgehebelt. Das Parlament opfert für diese Geheimrabatte somit ein Grundprinzip unserer Demokratie: das Öffentlichkeitsprinzip. Das ist ein absoluter Präzedenzfall und gibt der Pharmaindustrie noch mehr Macht.