«direkt»: Die USA verstehen unter dem «Fixpreis» für die F-35-Kampfjets etwas anderes als die Schweiz. Nun drohen Mehrkosten von über einer Milliarde Franken. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfuhren?
Oswald Sigg: Ich antworte Ihnen gerne als Bürger – nicht als ehemaliger Bundesratssprecher. Tatsächlich ist es mir rätselhaft, wie ein solch gravierendes «Missverständnis» zustande kommen kann. Solche Verhandlungen werden immer protokolliert – jedes Wort wird schriftlich festgehalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei diesen Verhandlungen anders war. Deshalb finde ich es auch nicht akzeptabel, dass es jetzt heisst, man wisse nicht genau, was die amerikanische Seite unter dem Begriff «Fixpreis» verstanden habe. Solche Skandale um Kampfjet-Beschaffungen haben aber in der Schweiz eine gewisse Tradition. Denken Sie nur an die Mirage-Affäre in den 60er-Jahren. Da wurde das Kostendach auch massiv überschritten und am Schluss musste der Bundesrat das Projekt stark redimensionieren.
«Der Gesamtbundesrat hätte Amherd hier stärker unterstützen müssen. Es geht mir dabei nicht um die Person Viola Amherds, sondern um das Prinzip der Kollegialität.»
«direkt»: Anscheinend wusste die ehemalige VBS-Chefin Viola Amherd bereits seit Sommer 2024, dass es sich beim Verständnis des Fixpreises um ein Missverständnis handeln könnte. Den Gesamtbundesrat hat sie aber erst im Dezember informiert. Nun sind weitere sechs Monate vergangen, bis die Öffentlichkeit darüber informiert wurde. Wie erklären Sie sich das?
Oswald Sigg: Für mich liegt die Schuld bei dieser ganzen Angelegenheit nicht nur bei Viola Amherd, sondern auch beim «kollegialen» Bundesrat. Bei einem Geschäft mit solcher Wichtigkeit und finanzieller Grössenordnung muss das Prinzip der Kollegialregierung besser funktionieren. Der Gesamtbundesrat hätte Amherd hier stärker unterstützen müssen. Es geht mir dabei nicht um die Person Viola Amherds, sondern um das Prinzip der Kollegialität.
«direkt»: Der Gesamtbundesrat hat seine Verantwortung nicht wahrgenommen?
Oswald Sigg: Es gibt immer wieder Geschäfte, die politisch sehr bedeutsam sind und auf den Schultern des Gesamtbundesrats getragen werden müssen. Die Kampfjet-Beschaffung für 6 Milliarden ist ein solches Geschäft, das nicht nur das VBS betrifft. Die gesamte Regierung muss dahinterstehen. Ich finde es nicht in Ordnung, wie mit Amherd umgegangen wurde. Sie musste sich mit Tränen in den Augen aus dem Bundesrat verabschieden – so etwas habe ich noch nie gesehen. Ich habe den Eindruck, dass die anderen Bundesratsmitglieder sie mit diesem Geschäft allein gelassen haben. Dabei war klar, wohin das Ganze führen wird.
«Aktuell sieht es nämlich so aus, als möchte der Bundesrat die Beschaffung wie geplant durchführen. Für das Vertrauen in die Landesregierung wäre das aber höchst problematisch.»
«direkt»: Die Stimmbevölkerung hat im September 2021 mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,1 Prozent der Kampfjetbeschaffung für maximal sechs Milliarden Franken zugestimmt. Wenn der Kauf nun teurer kommt: Müsste die Abstimmung wiederholt werden?
Oswald Sigg: Der Bundesrat kann jetzt einfach weitermachen und versuchen, mit den USA über den Preis zu verhandeln. Aktuell sieht es nämlich so aus, als möchte der Bundesrat die Beschaffung wie geplant durchführen. Für das Vertrauen in die Landesregierung wäre das aber höchst problematisch.
«direkt»: Der Bundesrat müsste also eine erneute Abstimmung ermöglichen?
Oswald Sigg: Wenn er tatsächlich beim Kauf der F-35 bleiben will, halte ich es politisch gesehen für sinnvoll, wenn die Stimmbevölkerung nochmals dazu befragt wird – gerade auch, weil die erste Abstimmung so knapp ausfiel. Sonst sinkt das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen. Für eine erneute Abstimmung bräuchte es allerdings einen Bundesbeschluss des Parlaments.