Franziska Schutzbach: «Der antifaschistische Widerstand wird ein Langstreckenlauf – wir müssen unsere Kräfte gut einteilen.»

Die hoch beschworene Brandmauer gegen rechts bröckelt. Franziska Schutzbach beschreibt in ihrer Kolumne, wie die Mitte der Gesellschaft zum Resonanzraum für rechtsextreme Ideologie wird – und was wir alle dagegen tun können. Handlungsempfehlungen gegen rechts.


Artikel anhören

Bestürzt beobachten wir, wie die so genannte Brandmauer gegen rechts bröckelt oder gar einstürzt: Vermeintlich bürgerliche Medien wie die NZZ präsentieren rechtsextreme Politik als «normale» Variante unter anderen Politangeboten. In Österreich hat die konservative ÖVP ihr Versprechen gebrochen, nicht mit der rechtsextremen FPÖ zu koalieren. In Deutschland rückt CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit asylpolitischen Hardliner-Ansagen immer näher an AfD-Forderungen heran. In den USA ist Meta-Inhaber Mark Zuckerberg auf den Trump-Musk-Zug aufgesprungen. In der Schweiz hofieren Teile der Schweizer Wirtschaftseliten rechtsextreme Akteur:innen und wir beobachten Schulterschlüsse bürgerlicher Parteien und Politiker:innen mit rechten Positionen, indem sie etwa die Forderungen der SVP nach Zuwanderungsbegrenzung und Anti-Gender-Politik übernehmen. Und natürlich paktiert man – das gilt für viele Länder – mit Rechtsaussen, wenn es darum geht, Steuererhöhungen zu verhindern oder tiefere Rentenleistungen zu erzwingen.

Die Mitte der Gesellschaft ist keine Brandmauer gegen rechts, sondern ihr Resonanzraum.

Wenn konservative Parteien und die bürgerliche Mitte keine stabile Abgrenzung mehr gegen rechtsextreme Politik schaffen, wird es gefährlich. Der Historiker Daniel Ziblatt hat in einer eindrücklichen Studie gezeigt, dass historisch der Faschismus immer dann stark wurde, wenn die reichen Eliten sowie konservative Parteien und Menschen der Versuchung nicht widerstehen konnten, mit dem Rechtsextremismus Allianzen zu schmieden – bis sie schliesslich selbst hinweggespült wurden.

Von Schuldzuweisungen und Relativierungen

Es sind aber nicht nur aktive Allianzen, die eine Gefahr darstellen. Auch die schleichende Verschiebung von Symbolik und Sprache zeigt eine Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte: Ausdruckweisen, die vor einigen Jahren noch als extrem galten, sind heute in der Mitte der Gesellschaft verbreitet. Der Kulturkampf gegen eine vermeintliche «Minderheiten-Diktatur» und «politische Korrektheit» (heute «Wokeness») zum Beispiel wurde in den 1990er von rechtsextremen Akteuren aus den USA in den deutschsprachigen Raum importiert. Heute ist die dauernde Beschwörung dieser angeblichen «Minderheiten-Diktatur» im bürgerlichen Feuilleton normal geworden und der Kampf um «Meinungsfreiheit» wurde von Rechtsaussen gekapert. Ähnlich verhält es sich mit rechtsextremen Begriffen wie «Remigration», die zunehmend im normalen Sprachgebrauch vorkommen. (Zur «Rhetorik der Rechten» gibt es hier mein Buch gratis zum Download.)

Nicht zuletzt sind es auch das passive Kopfschütteln, Ignorieren und Verharmlosen des Rechtsrucks, die schwer wiegen: Das Ignorieren funktioniert unter anderem deshalb, weil der Alltag für viele (privilegierte) Menschen zunächst wie gewohnt weiter geht. Die Gefahr zeigt sich für sie nicht unmittelbar. Die meisten können ihr Leben problemlos weiterleben und sind (noch) nicht selbst Opfer reaktionärer Kultur und Politik.

«‹Vernünftig bleiben› ist derzeit das Credo der Tatenlosen. Und zugleich macht man sich ein wenig gemein mit den Rechten, es ist oft kein aktives Überlaufen, eher ein vorsichtiges Andienen, um eigene Vorteile abzusichern, falls die wirklich noch mehr Macht bekommen.»

Man kann es sich leisten, zu relativieren – «naja, vielleicht war das doch kein Hitlergruss von Elon Musk» – oder eine tatenlose Zuschauerhaltung einzunehmen. Wenn dann ärgert man sich lautstark über die Fehler der «Woken», der Linken, Feminist:innen und Transaktivist:innen, die «zu weit gegangen sind», bei denen man den «eigentlichen Kern des Problems» verortet. Und schwupps, ist man selbst von jeglichem Handeln und Dagegenhalten befreit. Die Trumps und Orbans dieser Welt erlebt man weniger als Gefahr denn als Beleidigung des guten Geschmacks, das sind doch einfach irrlichternde Idioten – sie passen so gar nicht ins liberale Weltverständnis und ins humanistische Bildungsideal. Gegen eine so niveaulose Politik mag man sich nicht die Hände schmutzig machen. Und dann: Antifaschismus – das sind doch die mit den schwarzen Hoodies und den vermummten Gesichtern, diese Radikalen. Haben wir nicht gelernt, uns vor jeglichem Extremismus zu verwahren? Haben wir nicht gelernt, dass ruhige Skepsis die Haltung der Stunde ist?

«Vernünftig bleiben» ist derzeit das Credo der Tatenlosen. Und zugleich macht man sich ein wenig gemein mit den Rechten, es ist oft kein aktives Überlaufen, eher ein vorsichtiges Andienen, um eigene Vorteile abzusichern, falls die wirklich noch mehr Macht bekommen. Man rechtfertigt das vor sich selbst vielleicht so: Haben die nicht irgendwie einen Punkt? Sie sind ein bisschen extrem, aber im Kern, da sagen sie doch richtige Dinge, oder? Die machen immerhin etwas, das sehen wir ja jeden Tag auf allen Kanälen, deren Erfolg und Potenz, da muss also was dran sein.

Seien wir realistisch: Wenn es hart auf hart geht, wenn es um die Verteidigung von Macht, Ressourcenverteilung und Kapital geht, kooperieren Parteien und Akteur:innen der bürgerlichen Mitte auch mit Rechtaussen. Wenn bestimmte Kapitalfraktionen ihren Reichtum verteidigen wollen, werden sich viele eher mit Rechtsextremen und Rechten zusammentun, als an der aktuellen Verteilungslage zu rütteln, oder gar eine «Brandmauer» zu bilden.

«Der Rechtsextremismus ist kein Phänomen an den Rändern der Gesellschaft.»

Der Neoliberalismus und die Mauer im Kopf

Diese Haltung ist aber nicht nur opportunistisch, sondern Ausdruck dessen, dass Ausbeutung und Gewalt strukturell in unserer Gesellschaft angelegt waren und sind. Die Schwachen werden geschwächt, die Reichen bereichert, die Minderheiten diskriminiert. Man läuft also streng genommen nicht über, sondern kann einfach konsequenter, offener und noch rücksichtsloser das tun, was auch zuvor getan wurde.

Der Rechtsextremismus ist kein Phänomen an den Rändern der Gesellschaft. Trumps Mauern entstehen seit Jahren in den Köpfen von uns allen. Der Neoliberalismus hat Ungleichheit, Spaltung, Konkurrenz, Hierarchie und Ressentiments stets befeuert. Er hat Menschen in Arme und Reiche, Gewinner:innen und Verlierer:innen, «Ausländer» und «echte Schweizer», «Starke» und «Schwache» eingeteilt und gegeneinander positioniert. Vor allem hat er Menschen allein gelassen und gekränkt: Die Versprechen der grossen Wachstums- und Fortschrittserzählung sind für die meisten nie eingetroffen. Die letzten 40 Jahre Neoliberalismus haben das Leben an vielen Orten immer prekärer gemacht und immer erschöpfter, atemloser.

Die soziale Entsicherung, die ungerechte Verteilung, die Ausgrenzung von Schwächeren, die Ausplünderung des Planeten und des globalen Südens, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit, die nationalen Grenzziehungen und vieles mehr waren und sind Kernelemente unserer neoliberalen Gesellschaften. Naturalisierende (biologistische) Konzepte wie «Volk», «Nation», «bürgerliche Familie» oder das «Gesetz des Stärkeren», sind keine radikalen Randphänomene, sondern tief in unserer Gesellschaft verankerte Vorstellungen.

Die Gewalt ist nicht neu. Neu ist nur ihre offene Zurschaustellung.

Es gibt keine ideologisch unbelastete «bürgerliche Mitte», in deren Schoss radikalisierte «Idioten» bloss zurückgeführt werden müssten. Die Radikalisierten sind keine irrlichternden Subgruppen, sondern Verstärker von dem, was als «normal» gilt. Sie sind auch kein Widerstand oder Protest, sondern letztlich handelt es sich um «konformistische Rebellen» die das verstärken, was ohnehin verbreitet ist. Ihr Brennstoff sind Einstellungsmuster, die in der gesamten Gesellschaft zu finden sind. Sie sind erfolgreich, weil sie an das andocken, was im Mainstream ohnehin normal ist.

Wir können Faschismus also nicht einfach leichtfertig als «Extremismus» externalisieren, sondern müssen ihn als Probleme in der Mitte der Gesellschaft verstehen und bekämpfen.

Keine Flirts mit rechten Ideen

Aber was bedeutet das konkret für progressive Kräfte, für den Antifaschismus? Aus meiner Sicht bedeutet es, dass wir zum einen – klar – nicht mit rechten und rechtsextremen Ideen und Diskursen flirten. Zum anderen: Es reicht nicht, «nicht rechtsextrem» zu sein. Man muss diese Haltung auch für andere sichtbar zum Ausdruck bringen.

«Alternative, solidarische Gesellschaftsmodelle lassen sich nicht so leicht aus dem Ärmel zaubern, auch deshalb nicht, weil der Neoliberalismus uns so erschöpft hat und sich als alternativlos darstellt.»

Darüber hinaus reicht es nicht, den neoliberalen Status quo zu verteidigen, weil gerade in diesem Status quo der Faschismus immer wieder neu entsteht. Wir müssen deshalb als Antwort zum gegenwärtigen System auch eine emanzipatorische und solidarische Alternative anbieten, solidarische Gesellschaftsmodelle entwickeln und beliebt machen.

Das klingt gross und schwierig, ich weiss. Alternative, solidarische Gesellschaftsmodelle lassen sich nicht so leicht aus dem Ärmel zaubern, auch deshalb nicht, weil der Neoliberalismus uns so erschöpft hat und sich als alternativlos darstellt. Emanzipatorische Gegenmodelle sind tatsächlich derzeit stark marginalisiert und nicht mehrheitsfähig. Wir müssen uns wohl auf kühle Jahre mit reaktionären Mehrheiten an vielen Orten dieser Welt einstellen. Uns muss klar sein: Der antifaschistische Widerstand wird ein Langstreckenlauf. Wir müssen unsere Kräfte gut einteilen.

Aber was können wir tun? Was können wir tun, damit irgendwann aus emanzipatorischen Gegenmodellen, dem «guten Leben für alle», vielleicht doch eine einigermassen mehrheitsfähige Utopie wird? Neben den bekannten und wichtigen Massnahmen (wählen, demonstrieren, Haltung im Alltag zeigen usw.) glaube ich, dass wir derzeit vor allem eines tun sollten: Wir müssen uns (besser) organisieren und solidarisch verbünden. Und zwar möglichst da, wo wir uns im Alltag beruflich, wohnend, freizeitlich usw. bewegen.

«Organisiert euch! Bleibt nicht allein. Findet heraus, was für euch passt und dann tut es mehrere Jahre, aber um Himmels willen, tut es.»

Die Arbeit an einer anderen Gesellschaft ist ein langfristiges Projekt. Wenn wir Solidarität als grosse Idee glaubhaft machen wollen, brauchen Menschen zunächst mehr konkrete solidarische Mikro-Erfahrungen. Die solidarische Gesellschaft wird im Moment als abstrakte Forderung kaum überzeugen, aber vielleicht wird sie glaubhafter, wenn wir sie im Alltag gezielt organisieren und erfahrbar machen. Solidarität muss in unserer zerrissenen, vereinzelten, gewaltvollen Konkurrenz-Welt ganz konkret umgesetzt und erarbeitet werden. Wenn Solidarität im Kleinen erlebt wird, kann sie vielleicht auch als grosses Ideal glaubhaft werden.

Wenn ihr es noch nicht seid: Organisiert euch! Werdet in euerm konkreten Feld, in eurer Stadt, in eurem Dorf, in eurer Gemeinde, in eurer Schule, an eurem Arbeitsplatz antifaschistisch tätig, das heisst solidarisch wirksam. Antifaschistische Arbeit geht im Anzug, in Stöckelschuhen, in Hoodies. Und mit organisieren meine ich wirklich organisieren. Es ist schön, einer alten Person über die Strasse zu helfen, solche individuellen Akte sind wichtig, aber sie reichen nicht. Erst wenn wir das «Gute» organisiert multiplizieren, kann es eine breite Wirkung entfalten.

Bleibt nicht allein. Findet heraus, was für euch passt und dann tut es mehrere Jahre, aber um Himmels willen, tut es. Und: Verbündet euch auch über Differenzen hinweg, verlasst eure Bubbles. Wir können eine bessere Welt nur gemeinsam entwickeln, und wir kommen der «Wahrheit» nur streitend näher. Als Unfertige und Fehlerhafte, die wir alle sind. Solidarität ist ein nie abgeschlossener Prozess, sie muss immer wieder neu erarbeitet werden.

Was tun?
Hier sind ein paar unabgeschlossene konkrete Ideen für die solidarische (antifaschistische) Organisierung. Hast du weitere, ergänze gern in Kommentaren, ich freue mich auf Ideen:
  • Suche die Nähe zu anderen progressiv eingestellten Menschen (am Arbeitsplatz, im Dorf, im Verein usw.), tausche dich regelmässig aus, teile deine Besorgnis, solidarisiert euch, plant kleine Treffen, eine regelmässige Kaffeerunde. Sprecht!
  • Schliesse dich einer progressiven Gruppe an, die in einem Feld aktiv ist, das dir besonders am Herzen liegt. Keine gefunden? Gründe selbst ein!
  • Informiere dich zum Thema «politische Organisierung», es gibt Wissen, Bücher und zahlreiche Infos im Netz dazu, hier ist nur ein Beispiel.
  • Engagiere dich in einer Partei und/oder in einer Gewerkschaft.
  • Suche das Gespräch mit bürgerlichen Menschen, die noch nicht nach rechts abgedriftet sind. Sie sind wichtige Verbündete, wir müssen sie bestärken, standhaft zu bleiben und darin unterstützen, in ihren eigenen Reihen für eine antifaschistische bzw. demokratische Brandmauer einzutreten. Trefft euch. Sprecht!
  • Geh regelmässig raus aus dem Internet. Trag deinen Antifaschismus auf die Strasse und vor allem raus aus deiner Bubble.
  • Organisier Lese- und Diskussionsgruppen oder nimm daran teil.
  • Lies politische Bücher und höre Podcast zu progressiven Gegenstrategien, zum Beispiel «Dissens» oder «Was tun?». Bilde dich weiter!
  • Bist du Unternehmer:in: Gründe auch in der Schweiz Zusammenschlüsse oder Netzwerke wie «Unternehmen gegen Rechts» oder «Gesicht zeigen», die öffentlich eine antifaschistische bzw. Demokratie fördernde Haltung vertreten.
  • Spende Geld an politisch progressive Projekte, wenn du kannst.
Vergiss dabei nie, zu dir selbst zu schauen. Beachte dafür folgende Punkte:
  • Sei dir bewusst, dass es vermutlich noch schlimmer wird. Mach dich bereit, dass wir viele Jahre durchhalten müssen. Die erträumte solidarische Weltgemeinschaft ist im Moment weit weg, «aber auch in einer sich ständig verschlechternden Welt haben wir immer noch die Fähigkeit, Räume für gutes Leben herzustellen», so Tadzio Müller in der WoZ (21. Nov. 2024).
  • Respektiere deine Grenzen und übernimm dich nicht, es ist okay, sich auf Dinge zu fokussieren, du musst nicht «die ganze Welt» retten. Aktivismus-Burnout ist leider oft Realität.
  • Such dir eine Resilienzgruppe oder gründe eine. Tauscht euch regelmässig aus, um besser mit der Weltlage klarzukommen und Gegenstrategien zu entwickeln.
  • Politische Arbeit ist nicht einfach. Da werden Leute sein, mit denen du nicht einer Meinung bist. Ihr werdet diskutieren und streiten. Das kann sowohl zermürbend wie produktiv sein, auf jeden Fall ist es aber notwendig.
  • Seid nett zueinander. Sei nett zu dir selbst. Übt euch in Wohlwollen und Akzeptanz in euren Gruppen, auch wenn ihr nicht immer einer Meinung seid.
  • Vergiss nicht, auch mal zu feiern, tut euch gegenseitig Gutes. Wir wollen nicht nur Brot, sondern auch Rosen («Bread and Roses»), wir wollen nicht nur den politischen Kampf, sondern auch tanzen (sinngemäss zitiert nach Emma Goldman). Das gibt Energie für weiteres Engagement.
  • Merke dir folgendes Zitat vom deutschen Journalisten und Autor Arne Semsrott: «Selbst wenn es zu spät ist, ist es nicht zu spät. Der Rechtextremismus ist kein unaufhaltsames Ereignis wie eine Lawine, er ist eine von Menschen angetriebene Gefahr, die auch von Menschen gestoppt werden kann.»

Artikel
Vorgelesen von Franziska Schutzbach

Was tun? 

Vorgelesen von Franziska Schutzbach

Franziska Schutzbach ist Buchautorin, promovierte Geschlechterforscherin, feministische Aktivistin sowie Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. 2021 hat sie den Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» veröffentlicht.

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin.


Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein