Franziska Schutzbach: «Frauen haben noch nie nicht Widerstand geleistet.»

Der globale Backlash raubt derzeit vielen die Hoffnung auf eine emanzipatorische Zukunft. Aber das muss nicht sein, findet Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach. In ihrer neusten Kolumne geht es um feministische Widerstandsfähigkeit und um den anhaltenden Strom einer Bewegung von unten.

Franziska Schutzbach. Foto: Anne Morgenstern (zVg)

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Es war eine Zeit der Aufbrüche und der Hoffnung: Die Jahre der feministischen Streiks, der MeToo-Bewegungen, der Women’s Marches, der Black-Lives-Matter-Proteste, der Klimabewegungen. Es schien, als hätten sich die Schleusen geöffnet, als wäre der Anstoss gegeben für eine Veränderung, für eine gerechtere Gesellschaft. Die politische Öffentlichkeit, die Debatten, die Themen schienen plötzlich weiblicher, diverser, auch queerer. Es waren atemlose und aufregende feministische Jahre.

Natürlich liessen die Gegner:innen nicht lange auf sich warten. Antifeminist:innen rotteten sich zusammen und versuchten, die Welt wieder so zu machen, wie sie nie war.

Wie so oft nach Phasen der emanzipatorischen Aufbrüche sind wir gegenwärtig mit Backlash und Rückschritten konfrontiert, mit einer Re-Maskulinisierung von Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Der Aufstieg reaktionärer Kräfte weltweit ist für feministische Anliegen ein herber Schlag.

«Es ist nicht übertrieben, zu hoffen, dass Menschen nicht diskriminiert, Frauen nicht ermordet, queere Menschen nicht ausgegrenzt werden.»

Die Hoffnung der vergangenen Jahre hat uns anfällig gemacht für Enttäuschung. Zuversicht macht verletzlich, weil sie permanent herausgefordert, enttäuscht, gekränkt wird. Zuversicht ist ein Wagnis. Resignation und Zynismus sind einfacher. Sie sind faule, leicht zu habende Gefühle. Es ist leicht, sich der Weltuntergangsstimmung hinzugeben, und es eh schon immer gewusst zu haben, dass der Mensch schlecht ist, dass die Welt schlecht ist.

Dem gegenüber ist die Zuversicht harte Arbeit. Wer sie auf sich nimmt und behalten will, wird jeden Tag auf die Probe gestellt. Derzeit müssen die Zuversichtlichen wieder viel einstecken.

Wenn wir in die Geschichte schauen, sind Feminist:innen darin erprobt. Wir wissen eigentlich, wie politische Resilienz und Hartnäckigkeit geht. Wie wir uns der Verzweiflung widersetzen – auch dann, wenn unsere Kämpfe vergeblich scheinen. Es existiert ein ganzer Schatz an feministischen Anti-Verzweiflungs-Strategien. Zuweilen vergessen wir sie aber – weil feministische Geschichte immer wieder vergessen geht.

Deshalb hier fünf (unvollständige) Erinnerungsversuche:

 1 

Enttäuscht sein bedeutet nicht gescheitert sein

 Enttäuschung ist ein wichtiger Teil der politischen Resilienz-Arbeit. Sie ist zu begrüssen, nicht zu bekämpfen, denn politische Arbeit ist ein andauerndes sich Ent-Täuschen, sich also im Wortsinn mit Täuschungen auseinanderzusetzen, auch mit Selbsttäuschungen. Aber Enttäuschung ist nicht Scheitern – sie ist ein Zeichen dafür, dass wir gehofft haben. Es ist nicht übertrieben, zu hoffen, dass Menschen nicht diskriminiert, Frauen nicht ermordet, queere Menschen nicht ausgegrenzt werden. Es ist richtig, Gerechtigkeit zu wollen. Wer nicht enttäuscht ist, hat auch nichts gewollt.

«Die feministische Revolution ist nicht ein Tag, nach dem alles anders wird, sondern sie ist ein langer gesellschaftlicher Prozess, der Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern kann.»

 2 

Das grosse Ganze im Auge behalten

«Hört auf mit Jammern», sagte Rosa Luxemburg, «haltet das grosse Ganze im Auge, dazu gehören auch Rückschläge.» Enttäuschung hilft uns zu lernen und zu verstehen, dass dieses System und seine Profiteure nichts freiwillig abgeben, dass Veränderung deshalb nicht schnell gehen kann, und dass genau das der Grund ist, warum wir eben kämpfen. Ich glaube, ein wesentlicher Aspekt der politischen Resilienz-Arbeit besteht darin zu verstehen, wirklich zu verstehen, dass die Überwindung des Patriarchats ein langfristiger, nicht-linearer Prozess ist und keine plötzliche schnelle Veränderung. Wenn man den Begriff Revolution hört, denkt man an einen dramatischen Moment, nach dem alles anders wird. Aber wir müssen die feministische Revolution anders verstehen. Die feministische Revolution ist nicht ein Tag, nach dem alles anders wird, sondern sie ist ein langer gesellschaftlicher Prozess, der Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern kann.

Eine grössere Zeitdimension hilft, anders mit Rückschlägen umzugehen. Sie hilft, nicht zu verzweifeln und sie hilft auch, eine aussichtslose Situation nicht als persönliches Scheitern zu erleben.

Dazu gehört aber eben auch, dass wieder ein feministischer Aufbruch kommen wird. Aufbrüche gibt es, seit es Unterdrückung gibt. Der Feminismus ist so alt wie das Patriarchat. Frauen habe noch nie nicht Widerstand geleistet. Sie haben zu keiner Zeit das Patriarchat widerstandslos hingenommen.

 3 

Kontinuum, nicht Held:innentaten

Feministischer Widerstand ist keine Ausnahmeerscheinung, keine Phase, die zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt hochschwappt. Feministischer Widerstand ist ein Kontinuum, ist Teil eines harten, unablässigen Strebens, einer mal lauten, mal leiseren, aber steten Revolution. Deshalb müssen wir unsere eigenen Begriffe hinterfragen: Zum Beispiel die Wellen-Metapher. Oft ist die Rede von feministischen Wellen, von der ersten, zweiten und dritten Welle des Feminismus. Wenn wir aber feministische Bewegungen als «Wellen» begreifen, schreibt die Religionswissenschaftlerin Dolores Zoé Bertschinger, suggerieren wir, dass der feministische Aufstand kein Kontinuum ist, sondern immer wieder eine vollkommen neue Welle erzeugt wird oder werden muss, die nichts mit der Vorherigen zu tun hat.

Die Metapher der Welle impliziert, dass die vorherigen Wellen vergangen und nicht mehr aktuell sind, abgespalten in die Vergangenheit, und wir wieder alles neu erfinden müssen. Das löscht nicht nur feministische Geschichte aus, sondern verengt auch den Blick auf das gegenwärtige Handeln. Wenn wir nur «im Jetzt» leben, erzeugt das enormen Druck, auch «jetzt» sofort alles verändern, alles schaffen zu müssen. Dann gibt es nur dieses Jetzt.

Natürlich sind feministische Bewegungen divers und nicht einheitlich. Konzepte und Forderungen werden weitergedacht und verändern sich. Richtig ist aber auch, dass es immer Anschlüsse und Bezüge gegeben hat, gerade in der Differenz, gerade in Konflikten. Wir stehen immer auf den Schultern von anderen. Wir knüpfen auch dann an Vorgänger:innen an, wenn wir uns von ihnen distanzieren. Religionswissenschaftlerin Bertschinger schlägt vor, die feministische Revolution als nie versiegenden Jahrhunderte-Strom zu verstehen, der nirgends unterbrochen wird. Auch nicht durch Niederlagen. Abgeschwächt ja, aber nicht unterbrochen.

 4 

Der Dringlichkeit widerstehen.

Wenn unsere Wahrnehmung sich nur auf die Gegenwart bezieht, die ersehnte Veränderung jedoch nicht eintritt, können Rückschritte nur als absolute Niederlage empfunden werden. Man muss sich dieser Tyrannei der Gegenwart ein Stück weit entziehen. Natürlich gibt es Notlagen und Dringlichkeiten, auf die unmittelbar reagiert werden muss. Aber jetzt ist nicht die einzige Zeit, in der Veränderung geschieht oder möglich ist. Die gegenwärtigen Kämpfe werden vielleicht im Laufe unseres eigenen Lebens keine Wirkung haben. Auch viele unserer Vorgänger:innen konnten die Früchte ihrer Kämpfe nicht selbst ernten. Sie kamen erst späteren Generationen zugute.

«Wir legen auch in geschwächten Phasen den Samen für den nächsten Aufbruch.»

Wir leben heute – auch durch das Internet – in einer nie da gewesenen Tyrannei der Aktualität, in einem permanenten Dringlichkeits-Infarkt. Das erzeugt einen Druck von Aktionismus, der uns anschreit, dass es jetzt sofort anders werden muss. Auch wenn vieles tatsächlich dringend ist, können wir mit dem Hyper-Dringlichkeits-Gefühl aktivistisch kaum alt werden. Wir können keine politische Resilienz aufbauen, weil wir auf Dauer schlicht ausbrennen und kollabieren.

Die Tyrannei des Gegenwärtigen entwertet die feministische Revolution, weil angesichts der Dringlichkeit alles, was nicht sofortige Lösungen und Wirkung verspricht, nichts wert ist und nicht zählt. Die feministische Revolte ist aber keine Revolution der Sofortigkeit  – und wird es auch nicht sein.

 5 

Politisches Handeln neu definieren

Ich werde oft bei meinen Lesungen gefragt: Was sollen wir jetzt tun? Der Lösungs-Wunsch ist so stark, dass ich mich kaum getraue zu sagen: Das, was ihr ohnehin schon macht. Viele von uns machen bereits unermesslich viel. Selbst wenn wir noch aktivistische dreifach-Saltos oder Kopfstände machen, werden die Veränderungen nicht schneller eintreffen, nicht unmittelbarer wirksam werden. Was wir heute tun, entfaltet vielleicht erst in 20 oder 30 Jahren eine messbare Wirkung.

Man kann die Revolution nicht im Zuge eines einzelnen Lebens erwarten. Und: Wir legen auch in geschwächten Phasen den Samen für den nächsten Aufbruch. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, sehen wir Frauen und queere Menschen, die für Dinge kämpften, die nicht im Laufe ihres Lebens umgesetzt wurden. Ihre Kämpfe mögen ihnen vergeblich erschienen sein, aber sie waren es nicht. Sie waren nötig, um zu einem anderen Zeitpunkt daran anknüpfen zu können.

«Auch heute geschehen zahlreiche Veränderungen schleichend in den Mikrofasern der Gesellschaft.»

Die feministische Revolution ist eine der erfolgreichsten und tiefschürfendsten Revolutionen. Sie hat oft unbemerkt stattgefunden, weil das Handeln von Frauen oft nicht wahrgenommen wird, nicht für wichtig oder geschichtsrelevant befunden wird. Die grösste Revolution ist ohne Triumphgeheul abgelaufen, sie hat «schleichend stattgefunden» (Heike Specht). Es handelt sich, wie manche Historikerinnen sagen, um eine «stille Revolution», in denen Frauen und queere Menschen Alltagspraxen änderten. Sie begannen, anders zu lieben und zu leben, reformierten Gesetze in langwierigen Prozessen. Gemeinsam, nicht durch singuläre Held:innentaten, verfolgten sie leise, aber hartnäckig ihre Ziele. Die Geschlechterrevolution ist eine Revolution von unten, nicht von oben.

Politische Resilienz braucht nicht nur ein anderes Verständnis von Zeit, sondern auch von Handeln. Die feministische Revolution sollte sich nicht an der patriarchalen Vorstellung von spektakulären Taten und schnellen Erfolgen messen. Politisches Handeln kann auch still, unbemerkt und passiv sein.

Auch heute geschehen zahlreiche Veränderungen schleichend in den Mikrofasern der Gesellschaft. In der Art und Weise, wie Menschen Beziehungen führen oder sich ihnen entziehen, in der Weise, wie sie Geschlecht und Sexualität im Alltag leben, wie sie Familien gründen – oder eben nicht. Sehen wir es doch auch so: Die so genannte Care-Krise, die Tatsache, dass es zu wenig Pflegepersonal und Lehrkräfte gibt, ist nicht nur ein Zeichen der Ausbeutung dieser Arbeit, sondern auch Ausdruck einer weiblichen Verweigerung, die sich auch in den niedrigen Geburtenzahlen niederschlägt.

Der grosse Streik, er findet längst statt. Manchmal ist eine Revolution nicht Aktionismus, sondern auch radikales Nicht-Tun.


Artikel
Vorgelesen von Franziska Schutzbach

 


Franziska Schutzbach ist Buchautorin, promovierte Geschlechterforscherin, feministische Aktivistin sowie Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. 2021 hat sie den Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» veröffentlicht.

Die Kolumne ist eine «Carte Blanche» und widerspiegelt die Meinung der Autorin.


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