
Ein unabhängiges Expert:innengremium der G20-Länder warnt vor einer «Ungleichheitskrise». Unter der Leitung des Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph E. Stiglitz hat es im Auftrag der südafrikanischen G20-Präsidentschaft einen umfassenden Bericht zur globalen Ungleichheit vorgelegt. Darin kommen die Autor:innen zu dem Schluss, dass extreme Ungleichheit kein Naturereignis ist, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen.
Global ist die Einkommensungleichheit zwischen allen Menschen seit dem Jahr 2000 zwar leicht gesunken, vor allem wegen des Wachstums in China. Sie bleibt jedoch auf einem sehr hohen Niveau. Beim Vermögen sind die Unterschiede noch drastischer: Seit 2000 hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung 41 Prozent des neu geschaffenen Vermögens bei sich angehäuft – die ärmere Hälfte der Menschen im Vergleich dazu gerade mal ein Prozent. Gleichzeitig gelten 2,3 Milliarden Menschen als mässig oder stark von Hunger betroffen.
Starke Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen gefährdet auch Demokratien
Ungleichheit bleibt damit nicht nur eine moralische Frage, sondern wird zur systemischen Gefahr. Das Gremium verweist auf Studien, die aufzeigen, dass Staaten mit hoher Ungleichheit ein deutlich höheres Risiko für demokratischen Rückschritt tragen.
Wo Vermögen, Medien und politische Einflusskanäle in den Händen weniger liegen, verschieben sich die Spielregeln. Reiche Akteure können Wahlkämpfe finanzieren, Gesetzgebung beeinflussen und über klassische wie soziale Medien Debatten prägen. Die Expert:innen sehen darin einen Nährboden für Autoritarismus.
Die Reichsten der Welt schaden unserem Klima mit Luxuskonsum und Investment-Verhalten
Hinzu kommt der ökologische Aspekt. Der Bericht betont, dass Superreiche überproportional zum CO₂-Ausstoss beitragen. Luxuskonsum, grosse Vermögen und hohe Renditeerwartungen treiben ressourcenintensive Produktions- und Finanzstrukturen voran. Die Folgen – Klimaextreme, Ernteausfälle, Gesundheitsrisiken – treffen jedoch häufig jene Regionen, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben. Ungleichheit wirkt damit als Beschleuniger der Klimakrise.
Die Autor:innen machen sowohl historische als auch aktuelle politische Treiber dieser Entwicklung aus. Kolonialismus, ungleiche Handelsstrukturen und rassistische Diskriminierung haben aus ihrer Sicht die Grundlagen für heutige Vermögensunterschiede gelegt.
In den vergangenen Jahrzehnten kamen wirtschaftspolitische Entscheidungen hinzu: Deregulierte Finanzmärkte, eine geschwächte Regulierung der Grosskonzerne, die Erosion von Gewerkschaften und sinkende Spitzensteuersätze zugunsten hoher Einkommen und Gewinne. Gleichzeitig wurde vielerorts öffentlicher Besitz abgebaut, während privates Vermögen stark gewachsen ist.
Handelsabkommen, Patentpolitik und Monopole hemmen globalen Süden
Handels- und Investitionsabkommen begrenzen nach Einschätzung des Gremiums den Handlungsspielraum vieler Länder des globalen Südens. Strenge Patentsysteme sichern den Konzernen Monopolgewinne bei Medikamenten oder Klimatechnologien. Gleichzeitig ermöglichen Steuersümpfe multinationalen Konzernen und Superreichen, Gewinne und Vermögen zu verstecken. Dies entzieht gerade armen Staaten wichtige Steuereinnahmen, die sie für öffentliche Dienstleistungen und Klimaschutz benötigen.
Um dieser Dynamik zu begegnen, schlägt das Gremium eine neue Institution vor: ein «International Panel on Inequality» (IPI). Dieses Gremium soll ähnlich wie der Weltklimarat IPCC arbeiten, jedoch mit Fokus auf Ungleichheit. Es würde keine eigene Forschung betreiben, sondern vorhandene Daten und Studien auswerten, Lücken benennen und in regelmässigen Berichten Trends, Ursachen und Folgen von Ungleichheit darstellen.
Einkommen und Gewinn soll stärker besteuert werden
Die Expert:innen betonen, dass das Panel unabhängig arbeiten und geographisch wie fachlich breit besetzt sein muss. Es soll Regierungen und internationalen Organisationen Entscheidungsgrundlagen liefern, ohne selbst politische Forderungen zu vertreten. National empfehlen die Autor:innen eine Stärkung progressiver Steuern auf hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften; den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen in Bildung, Gesundheit, Pflege und Verkehr sowie wirksame Mindestlöhne und Arbeitsrechte.
International plädieren sie für eine Reform des globalen Steuersystems mit wirksamer Mindestbesteuerung von Konzernen und Superreichen, für Schuldenerleichterungen, neue Sonderziehungsrechte des internationalen Währungsfonds und eine Neuausrichtung von Handels- und Patentrechten, insbesondere bei Medikamenten und Klimatechnologien.
Am Ende steht eine klare Botschaft: Extreme Ungleichheit ist kein unverrückbares Schicksal, sondern das Ergebnis politischer Weichenstellungen – und damit veränderbar. Für die G20, die den Grossteil der globalen Wirtschaftsleistung und der Treibhausgasemissionen verantworten, wird der Umgang mit dem Bericht zum Test. Diese Länder haben die Wahl: Entweder, sie unterstützen den Aufbau eines internationalen Ungleichheitsrats und ändern eigene Regeln. Damit entscheiden sie darüber, ob die Kluft zwischen Arm und Reich weiterwächst. Oder sie verunmöglichen weiterhin eine gerechtere Verteilung von Wohlstand und Chancen.
Dieser Beitrag wurde teilweise von kontrast.at übernommen.


