Die Arbeit im Homeoffice ist seit der Corona-Pandemie für viele Angestellte zur Normalität geworden. Ob sporadisch, Teilzeit oder ganz von zuhause aus – viele schätzen diese neue Flexibilität. Doch genau diese Entwicklung will die FDP nun nutzen, um das Arbeitsgesetz grundlegend zu schwächen.
In einer parlamentarischen Initiative fordert FDP-Ständerat Thierry Burkart eine massive Ausweitung der maximal zulässigen Arbeitszeit im Homeoffice. Er will die Zeitspanne, die den Angestellten für die Erledigung ihrer Arbeit zur Verfügung steht, von 14 auf 17 Stunden erhöhen. Geht es nach den Vorstellungen von Burkart, wäre jährlich auch an sechs zusätzlichen Sonntagen keine Bewilligung für Sonntagsarbeit mehr nötig. Burkart begründet den Vorstoss mit «mehr Flexibilität für die Angestellten».
Gewerkschaften schlagen Alarm
Bei den Gewerkschaften sorgt der Vorstoss für scharfe Kritik. «Während die Idee von mehr Flexibilität auf den ersten Blick verlockend erscheinen mag, birgt sie erhebliche Risiken für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmenden», schreibt die Branchengewerkschaft syndicom, die unter anderem Mitarbeitende von Swisscom und Post vertritt. Die Flexibilisierungen in der Arbeitswelt sind eine wesentliche Ursache für die Zunahme von Stress und Erschöpfung.
Auch SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard sagt gegenüber dem Sonntagsblick: «Schon heute leisten viele Arbeitnehmende Überstunden, auch während der Ruhezeit. Aber zumindest schützt sie das Gesetz vor den grössten missbräuchlichen Forderungen des Arbeitgebers. Mit dieser Reform müssten die Angestellten fast rund um die Uhr zur Verfügung stehen.»
Die schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit betätigen auch zahlreiche Studien. Laut einer gemeinsamen Analyse der WHO und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sterben weltweit jedes Jahr rund 745’000 Menschen an Herzkrankheiten oder Schlaganfällen, die auf Arbeitszeiten von mehr als 55 Stunden pro Woche zurückzuführen sind. Im Vergleich zu kürzeren Arbeitswochen von 35 bis 40 Stunden steigt das Risiko für einen Schlaganfall um 35 Prozent und jenes für Herzkrankheiten um 17 Prozent. Auch die psychische Belastung nimmt zu. Angestellte mit sehr langen Arbeitszeiten haben ein signifikant erhöhtes Risiko für Depressionen und Burnout.
Internationaler Trend geht in andere Richtung
Während die FDP die Arbeitszeit massiv ausweiten möchte, geht der internationale Trend in eine andere Richtung: Immer mehr Länder und Unternehmen setzen auf eine Arbeitszeitverkürzung. Resultate grossangelegter Pilotprojekte im Ausland, bei denen Unternehmen testweise die Arbeitszeit verkürzten, zeigen durchgehend positive Auswirkungen auf Unternehmen und Angestellte. So war die 4-Tage-Woche in Grossbritannien für den Grossteil der Teilnehmenden «lebensverändernd». Die Mitarbeitenden berichten von weniger Stress und höherer Zufriedenheit, die Unternehmen verzeichnen mehr Produktivität.
Auch in der Schweiz ist ein breit angelegtes Pilotprojekt für eine 4-Tage-Woche im Gange. Einige Firmen wie die Schwendimann AG haben zudem ihre Arbeitszeit permanent gesenkt. «Für unsere Mitarbeitenden bedeutet dies mehr Zeit für Erholung, mehr Zeit für Familie und Freunde, mehr Zeit für Hobbies», schreibt das Unternehmen auf Instagram.
Weitere Deregulierungen geplant
Die geplante Aufweichung des Arbeitsgesetzes ist kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in eine Serie wirtschaftsliberaler Vorstösse. Erst kürzlich kamen die Wirtschaftskommissionen einer Zürcher Standesinitiative nach, die von FDP und SVP durchgedrückt worden war. Sie schlagen nun die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten von vier auf zwölf Sonntage pro Jahr vor. Parallel dazu halten FDP und Jungfreisinnige an ihrer Forderung nach Rentenalter 67 fest, obwohl eine entsprechende Initiative letztes Jahr gerade mal auf einen Ja-Stimmen-Anteil von 25 Prozent kam. Und auch die Gesetzesänderung, die kantonal beschlossene Mindestlöhne aushebeln will, ist weiterhin nicht vom Tisch. Aktuell beschäftigt sich die zuständige Ständeratskommission mit der Vorlage. Stimmt der Ständerat dieser zu, wird es zu einem Referendum kommen.