Femizide: Die unbequeme Wahrheit

Seit einiger Zeit werden Femizide endlich auch in der breiten Öffentlichkeit thematisiert. Leider werden aber immer noch Fakten verdreht dargestellt. Eine Übersicht zur Einordnung.

Nahaufnahme einer dunklen zerbrochenen Glasscheibe, bei der sternförmige Risse von einem zentralen Loch ausgehen.
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Dass Männer Frauen töten, weil sie Frauen sind, ist schon seit Jahrhunderten ein bekanntes gesellschaftliches Problem. Der Begriff «Femizid» ist in der Schweiz aber erst seit diesem Jahr in nicht-feministischen Kreisen angekommen. Seither wird er medial und politisch debattiert. Zeit, mit Unwahrheiten aufzuräumen. Vier wichtige Fakten über Femizide in der Schweiz.

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Die Anzahl Femizide steigt seit Jahren an

Gewalt im häuslichen Bereich nimmt zu. Das zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik 2024. Auch die Morde aufgrund des Geschlechts haben zugenommen. Weil es aber keine offizielle Stelle gibt, die diese statistisch erfasst, machen dies Freiwillige: Das Rechercheprojekt «Stop Femizid» trägt seit geraumer Zeit geschlechtsspezifische Gewalttaten gegen Frauen zusammen. Dafür lesen die Aktivist:innen Medienberichte, Polizeirapports und vergleichen Statistiken des Bundes, des Statistikamts der EU und der UNO miteinander.

2022 haben Männer 16 Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts getötet. Ein Jahr später verzeichnete «Stop Femizid» 18 Opfer von Femiziden, 2024 waren es 20 getötete Frauen und Mädchen. 2025 sind es bereits 25 – obschon das Jahr noch nicht zu Ende ist. Mindestens neun Frauen und Mädchen haben einen versuchten Femizid überlebt. Die Dunkelziffer dürfte aber weitaus höher sein, wie bei anderen Fällen von häuslicher Gewalt, da längst nicht alle Gewalttaten zur Anzeige gebracht werden und deshalb nicht in den Statistiken erscheinen.

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Der Begriff «Femizid» ist kriminologisch sinnvoll

In der kriminologischen Forschung wurde der Begriff schon einige Male Thema. Zwei deutsche Kriminologinnen schreiben 2022 in einem Paper: «Anders als bei Tötungen zum Nachteil von Männern gibt es bei Frauen einen nicht unerheblichen Anteil, bei denen das Geschlecht ausschlaggebend für die Tötung ist, sei es in der Position als Ehefrau oder Tochter oder bspw. bei Tötungen mit sexueller Motivation – schlicht aufgrund des Frauseins.» Der Begriff Femizid ermögliche es, geschlechtsspezifische Gewalttaten im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu betrachten.

Auch Isabel Haider, Forscherin im Bereich Hate Crime und Femizide, hält in einem Interview fest: Allgemeine Kriminalitätstheorien wurden von weissen, männlichen Kriminologen «ausschliesslich für männliche Opfer entwickelt». Bei Femiziden greifen diese Theorien aber zu kurz, denn: «Oft treiben den Täter frauenverachtende oder -herabwürdigende Motive an.» Und um Präventionsmassnahmen zu entwickeln, brauche es ein anderes Konzept.

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Geschlechtspezifische Gewalt gegen Frauen ist kein kulturelles Problem

Täter ohne Schweizer Staatsbürgerschaft sind in der Kriminalstatistik bei geschlechtsspezifischer Gewalt überrepräsentiert. Die Netto-Zahlen zeigen, dass prozentual mehr Schweizer Staatsbürger Femizide begehen (61 Prozent); sie sind aber auch ein grösserer Anteil der Gesamtbevölkerung (etwa 75 Prozent). Täter ohne Staatsbürgerschaft machen 25 Prozent der Bevölkerung aus, aber 39 Prozent der Femizid-Täter. Daraus wird geschlossen, dass Femizide eher ein «Ausländer»-Problem sind.

Wie immer: Auch hier reichen einfache Erklärungen nicht aus. Misogynie und patriarchale Besitzansprüche gegenüber Frauen sind in allen Schichten und kulturellen Kreisen der Gesellschaft vorzufinden. Die Verschiebung der Verantwortung auf «Ausländer» ist gefährlich, weil sie strukturelle und tief verwurzelte Denkmuster in der gesamten Gesellschaft verdeckt. «Der echte Tabubruch», so SP-Frauen-Co-Präsidentin Tamara Funiciello, «ist zu sagen, dass wir ein Männlichkeitsproblem haben und ein Problem mit Männergewalt.»

Wenn Femizide bekämpft werden sollen, dann müssen Staat und Zivilgesellschaft das Übel an der Wurzel bekämpfen: Es braucht eine Null-Toleranz-Politik gegen geschlechtsspezifische Gewalt, egal, wer sie ausübt.

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Die Schweiz macht viel zu wenig, um Frauen und Mädchen zu schützen

Im Vergleich zu anderen Regierungen, beispielsweise der spanischen Regierung, unternimmt der Bund viel zu wenig, um diese systematische Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Acht Jahre nach der Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist die Bilanz enttäuschend: Die Schweiz erfüllt die zentralen Verpflichtungen der Konvention nicht und erhält vom Netzwerk Istanbul Konvention eine klar ungenügende Note für deren Umsetzung.

Zwar haben Bund, Kantone und Gemeinden dieses Jahr endlich drei dringliche Massnahmen festgelegt, um Femizide zu bekämpfen. Mehr Geld in den Opferschutz investieren wollen die Behörden aber nicht. Dabei schlagen Frauenhäuser schon lange Alarm, denn ohne zusätzliche Mittel können sie die zunehmende Nachfrage nicht stemmen.

Die SP Schweiz und SP Frauen haben deswegen beschlossen, eine Volksinitiative gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu lancieren. Diese soll den Bund dazu verpflichten, das Problem endlich anzupacken. Dazu gehört eine ausreichende Finanzierung der Präventionsarbeit und Opferhilfe sowie die Erarbeitung von verbindlichen Mindeststandards für diese Arbeit. Damit werden Schutz- und Unterstützungsangebote endlich in allen Regionen ausreichend und ohne Diskriminierung zugänglich.


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